Shervin Hadjipour schenkte der Protestbewegung mit „Baraye“ einen Song, der sofort viral ging und der seitdem weltweit auf jeder Iran-Demo läuft und mitgesungen wird.
Weder die Zensur noch die Verhaftung des Komponisten mit dem Vorwurf „Propaganda gegen das Regime“ konnten den Erfolg des Liedes verhindern, auch wenn sich Hadjipour unter Druck davon distanzieren und es von seinem Instagram-Kanal löschen musste. Doch da war es längst zu spät – andere hatten das Lied aufgegriffen, verbreitet, bearbeitet.
Auf Deutsch übersetzt bedeutet „Baraye“ entweder „für“ oder „wegen“. Die Liedzeilen vertonen Tweets von Iranerinnen und Iranern, in denen sie begründen, warum sie auf den Straßen protestieren:
Für das freie Tanzen in den Gassen
Wegen der Angst, sich zu küssen
Für meine Schwester, deine Schwester, unsere Schwestern
Für die Erneuerung des verrosteten Denkens
Für die verarmten Väter mit leeren Händen
Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben
Für das Kind, das im Müll wühlt, und für seine Träume
Wegen der korrupten Wirtschaft
Wegen der von Abgasen verschmutzten Luft
Für die Vali-Asr-Straße und ihre verdorrten Platanen
Für den letzten vom Aussterben bedrohten Geparden
Wegen der Ermordung unschuldiger Straßenhunde
Für die endlosen Tränen
Für die Zeit, nach der sich unsere Eltern sehnen
Für die lachenden Gesichter
Für die Studierenden und für ihre Zukunft
Wegen des aufgezwungenen Paradieses
Für die Intellektuellen in den Gefängnissen
Für die afghanischen Kinder
Wegen all dieser FÜR und WEGEN
Wegen all der hohlen Parolen
Wegen all der eingestürzten Häuser
Für den Seelenfrieden
Für die Sonne nach langen Nächten
Wegen der Beruhigungspillen und Schlaftabletten
Für die Menschen, das Heimatland und den Wohlstand
Für das Mädchen, das sich wünschte, ein Junge zu sein
Für Frauen, Leben, Freiheit
Für Freiheit
Für Freiheit
Für Freiheit
Relativ schnell war klar, dass es sich nicht nur wie in den vergangenen Jahrzehnten um Proteste handelt, sondern dass eine Revolution im Gange ist. Es ist eine friedliche feministische, antirassistische, intersektionale Revolution, bei der es mitnichten nur um die „Kopftuch-Frage“ geht, sondern um Frauen- und Menschenrechte und Demokratie. Es gibt für – nicht nur feministische – Organisationen und Einzelpersonen in Deutschland viele Anknüpfungspunkte, die es wert sind, diese Revolution zu unterstützen. Außer der Solidarität für unsere Schwestern nennt das Lied zahlreiche Themen, die auch uns berühren und betreffen:
Deshalb kann und darf uns diese Revolution nicht kalt lassen, nur weil sie scheinbar weit weg stattfindet. Sie verlangt über die großen politischen Fragen wie die Terrorlistung der Revolutionsgarde oder die Stellung des Iran im Machtgefüge des Nahen Ostens hinaus nach unserer aktiven Unterstützung. Es ist prima, dass es bereits fast 300 politische Patenschaften von deutschen Abgeordneten für akut von Hinrichtung bedrohte Gefangene gibt, und täglich kommen weitere hinzu. Was können wir noch tun?
Überlegen Sie sich, ob Sie durch Veranstaltungen Ihr Umfeld informieren und aufklären können, z. B. durch Lesungen, Theateraufführungen oder Ähnliches. Die persische Kultur ist alt und vielfältig, nur leider viel zu unbekannt bei uns.
Es gibt darüber hinaus viele Wege, aktiv zu werden: an Demos teilnehmen, sich und andere informieren (z.B. über die Großdemonstration in Paris am 11. Februar), Beiträge in den sozialen Medien teilen, die Hashtags verbreiten, an Politiker*innen schreiben, Internetbandbreite zur Verfügung stellen (mittels Snowflake). Glauben Sie nicht alles, was in den Medien steht (manchmal ist das schlicht Regime-Propaganda mangels Zugang zu objektiven Informationen). Über vieles wird in den offiziellen Medien auch gar nicht berichtet, z.B. über die Demonstration von 12.000 Menschen am 16. Januar 2023 in Straßburg vor dem Europäischen Parlament.
Ganz wichtig ist auch: Reden Sie mit Iraner*innen in Ihrem Bekanntenkreis darüber, wie ihre Situation ist, und sprechen Sie ihnen Mut zu. Die meisten leiden unter fehlendem Kontakt zu Ihren Familien und fehlenden Besuchsmöglichkeiten, unter der anhaltenden Sorge um ihre Angehörigen, unter dem Stress und der Dauerbelastung durch das Organisieren und die Teilnahme an hiesigen Protesten. Die Hand der Mullahs reicht bis nach Deutschland, der Geheimdienst marschiert auf den Demos mit, exponierte Aktivist*innen werden auch hier in Deutschland bedroht. Das alles ist sehr kräftezehrend – fragen Sie nach, seien Sie wach, zeigen Sie Solidarität und üben Sie ggf. bei der Arbeit Nachsicht mit den erschöpften Mitbürger*innen.
Für die Freiheit
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