Das BVerwG hat am 27. Februar 2018 ein vielbeachtetes Urteil in Sachen Luftreinhaltepläne gesprochen. Das Urteil basiert auf zwei untergerichtlichen Entscheidungen (VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2016 - 3 K 7695/15 - und VG Stuttgart, Urteil vom 26. Juli 2017 - 13 K 5412/15).
Hintergrund der Klage
Mit der Abnahme der in der Vergangenheit dominierenden Luftschadstoffe aus Industrieanlagen bzw. Kraftwerken wie Schwefeldioxid und Ruß sind die Luftverunreinigungen aus dem Verkehr wie Feinstaub und Stickstoffoxide (NOx) sowie sekundär gebildetes Ozon zunehmend in den Blickpunkt der Betrachtung gerückt sind (SRU 2012). Besonders problematisch sind dabei die hohen Stickstoffdioxidkonzentrationen in den Städten, diese stellen bekanntermaßen eine besondere Gesundheitsbelastung für empfindliche Bevölkerungsgruppen wie Kinder oder Personen mit Atemwegserkrankungen dar.
Regelmäßig wurde der Jahresgrenzwert der EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG zum Schutz der menschlichen Gesundheit (Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Kommentar, L 2.18) von 40 μg/m3 Stickstoffdioxid an deutlich mehr als der Hälfte der verkehrsnahen Messstationen überschritten (Umweltbundesamt 2016: „Stickstoffdioxid (NO2) im Jahr 2015“). Die in der Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG festgelegten Luftqualitätsgrenzwerte für Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) dienen dem Schutz der Gesundheit. Der Kurzzeitgrenzwert für Feinstaub aus der Luftqualitätsrichtlinie wird weiterhin insbesondere in den Ballungsräumen an vielen verkehrsnahen Messstationen überschritten.
Im Gegensatz zu dem EU-Grenzwert (Jahresmittelwert) für die Stickstoffdioxidkonzentration (NO2) in der Außenluft liegt der Arbeitsplatzgrenzwert mit 950 µg/m³ wesentlich höher (TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“). Bei dem Arbeitsplatzgrenzwert handelt es sich um ein Wert für die zeitlich begrenzte Belastung gesunder Arbeitender (vgl. § 2 Abs. 7 GefStoffV), während durch NO2 in der Außenluft auch empfindliche Personen rund um die Uhr betroffen sein können (UBA, https://www.umweltbundesamt.de/themen/unterschied-zwischen-aussenluft). Dieser große Unterschied scheint im Ergebnis nicht unproblematisch zu sein, er hat aber keinen Einfluss auf die Urteile bzgl. der Luftreinhaltepläne.
Von den Arbeitsplatzgrenzwerten sind die hohen Feinstaubemissionen des Straßenverkehrs zu unterscheiden. Diese resultieren insbesondere aus dem Ruß, dem Reifenabrieb und der Aufwirbelung von Straßenstaub. Besonders schädlich für die Gesundheit sind Partikel aus Verbrennungsprozessen wie Dieselruß, da sie oft Träger von reaktiven Verbindungen sind. Feinstäube sind Auslöser für negative Effekte in der Lunge wie Entzündungsreaktionen und wirken verstärkend hinsichtlich allergischer Atemwegserkrankungen. Sie stehen des Weiteren im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen (SRU 2008).
Zu der Thematik der Grenzwertüberschreitung gab es bislang verschiedene Urteile. Die Grundlage für das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 basiert wie gesagt auf der Sprungrevision der Urteile VG Düsseldorf und VG Stuttgart.
Die aktuelle Entscheidung
In einem Rechtsstreit der Deutschen Umwelthilfe gegen das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtete das VG Düsseldorf (Urteil vom 13.9.2016 - 3 K 7695/15) die Beklagte den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO2) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen.
In einem weiteren Rechtsstreit der Deutschen Umwelthilfe, diesmal gegen das Land Baden-Württemberg, verpflichtete das VG Stuttgart die Beklagte den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NO2 von 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Dabei habe die Beklagte ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen. Verkehrsbeschränkungen für Kraftfahrzeuge mit Grüner Plakette können mit dem Instrumentarium der Straßenverkehrsordnung durchgesetzt werden.
Nach Ansicht des VG Stuttgart können freiwillige Nachrüstungen von Kraftfahrzeugen, die in einem Luftreinhalteplan nicht verbindlich festgelegt werden können, keine geeigneten Luftreinhaltemaßnahmen im Sinne des § 47 Abs. 1 S 3 BImSchG darstellen. Sie können aber zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit etwaiger Verkehrsbeschränkungen im Rahmen einer Ausnahme- und Befreiungskonzeption im Luftreinhalteplan Berücksichtigung finden.
Im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens hatte der VGH München (Beschluss vom 27.2.2017 - 22 C 16.1427, BImSch/ES § 40 Nr. 10) bzgl. der Fortschreibung des Luftreinhalteplans München ausgeführt, dass das Ermessen des beklagten Freistaats dadurch dahingehend eingeschränkt sei, dass er bis zur Ausräumung der derzeit noch bestehenden straßenverkehrsrechtlichen Ungewissheiten nicht mehr rechtsfehlerfrei davon absehen kann, in eine Fortschreibung des Luftreinhalteplans für München Verkehrsverbote für Fahrzeuge mit Selbstzündungsmotor („Dieselfahrzeuge“) einzuarbeiten (hierzu das Urteil VG München vom 9.10.2012 - M 1 K 12.1046).
Nach dem Urteil des BVerwG vom 27. Februar 2018 sind die beiden verwaltungsgerichtlichen Urteile aus unionsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Die Mitgliedstaaten sind durch europäisches Recht verpflichtet, in Luftreinhalteplänen durch geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NO2 so kurz wie möglich zu halten.
Dabei gilt aber, dass das Bundesrecht Zonen, etwa streckenbezogene Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge nicht zulässt. Der Erlass von Ausnahmen von Verkehrsverboten nach § 40 BImSchG regelt die 35. BImSchV (Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung). Die 35. BImSchV knüpft für die Ausnahme von Fahrverboten an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen an. Entsprechend der „Plakettenregelung“ (rote, gelbe und grüne Plakette) kann es dann auch zu Fahrverboten kommen.
Ist jedoch mit den nationalen Regelungen die unionsrechtlichen Verpflichtungen nicht zu erfüllen, dürfen die nationalen Regelungen nicht zur Anwendung kommen. Sind z.B. Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge die einzige geeignete Maßnahme um den Zeitraum eine Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte zu kurz wie möglich zu halten, kommt die Plakettenregelung sowie die StVO nicht in Betracht.
Das VG Stuttgart hat in seinem Urteil festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt.
Bildet das Fahrverbot quasi das ultima ratio, muss wie bei allen in einem Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bleiben. Dies betrifft eine phasenweise Einführung von Fahrverboten und Ausnahmeregelungen z.B. für Anwohner und Paketdienste.
Fazit
Für die Kommunen stellt die Aufstellung von Luftreinhaltepläne eine große Herausforderung dar. Neben technischen Lösungen zur Reduzierung von Feinstaub und Stickstoffdioxidkonzentration kommen als ultima ratio auch Fahrverbote in Betracht. Diese müssen sich aber auch an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientieren.
Wir möchten in diesem Zusammenhang hinweisen auf:
VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2016 - 3 K 7695/15
VG Stuttgart, Urteil vom 26. Juli 2017 - 13 K 5412/15
VGH München, Urteil vom 27. Februar 2017 - 22 C 16.1427
UBA, https://www.umweltbundesamt.de/themen/unterschied-zwischen-aussenluft
SRU, Umweltgutachten 2008
SRU, Umweltgutachten 2012
SRU, Stellungnahme: Kohleausstieg jetzt einleiten, 2017.
Jochen Schumacher, 25.4.2018
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