Gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“ noch für neu eingestellte Arbeitnehmer?

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Im ersten Semester des Studiums lernen Jurastudenten einen Grundsatz, den viele nicht beim Namen benennen können, aber ihn dennoch einhalten: den Grundsatz „pacta sunt servanda". Das ist Juristenlatein und bedeutet umgangssprachlich „Vertrag ist Vertrag“. Ganz genau bedeutet der Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind. Der Grundsatz ist unter anderem im BGB als Verpflichtung zur Erfüllung von Schuldverhältnissen in § 241 Abs. 1 BGB geregelt. Im Umkehrschluss bedeutet der Grundsatz, dass derjenige, der Verträge bricht, rechtswidrig handelt.

Liebe Leserin, lieber Leser,

es kommt nicht darauf an, ob Sie irgendwann Jurastudent im ersten Semester waren oder nicht. Die allermeisten Menschen in Deutschland wissen, dass ein Vertrag einzuhalten ist, insbesondere wenn ein schriftlicher Vertrag mit Unterschrift abgeschlossen wurde. Auch Arbeitsverträge sind Schuldverhältnisse, für die der Grundsatz „pacta sunt servanda“ gilt. Das wird von neu eingestellten Arbeitnehmern immer weniger beachtet.

„Pacta sunt servanda“ im Arbeitsverhältnis

„Pacta sunt servanda“ meint nicht, dass Arbeitsverträge für eine unendlich lange Zeit gelten müssen. Arbeitsverträge können z.B. nach dem TzBfG befristet oder nach dem KSchG gekündigt werden. Sie müssen aber, solange sie gelten und solange sie nicht z.B. kraft Direktionsrecht geändert werden, eingehalten werden. Beispielsweise in den Jahren 2008/2009, während der weltweiten Finanzmarktkrise mit Massenentlassungen und Einstellungsstopps hatte ich in meiner arbeitsrechtlichen Praxis keinen Fall, in dem ein Bewerber einen Arbeitsvertrag abschloss und dann die Stelle einige Tage oder Wochen später doch nicht angetreten ist. Jeder Bewerber war froh, überhaupt einen Arbeitsplatz gefunden zu haben.

Die Situation hat sich in den letzten knapp 15 Jahren geändert. Die Finanzmarktkrise ist vorüber. Es herrscht Fach- und Arbeitskräftemangel und eine neue Generation an Arbeitnehmern betritt zum ersten Mal den Arbeitsmarkt. Ich beziehe mich nicht auf eine empirische Studie. In meiner täglichen Praxis habe ich aber häufig mit Fällen zu tun, dass Bewerber einen Arbeitsvertrag unterschreiben und sich vor dem tatsächlichen Arbeitsbeginn melden und absagen oder sich nicht melden und schlicht nicht erscheinen. Wenn sie absagen, dann mit Begründungen, wie, habe was Besseres gefunden, habe was gefunden, das näher an meinem Wohnort liegt oder habe was besser Bezahltes gefunden. Es entsteht – jedenfalls bei mir – der Eindruck, dass Bewerber vorschnell einen Arbeitsvertrag unterschreiben, sich dennoch nicht an das Arbeitsverhältnis gebunden fühlen und weiterhin nach anderen, besseren Arbeitsplätzen Ausschau halten. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ wird von den neu eingestellten Arbeitnehmern schlicht ignoriert.  

Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber

Arbeitgeber wünschen sich für die jeweilige Stelle gut geeignete bzw. gut qualifizierte, engagierte und motivierte Arbeitnehmer. Wenn es mit Arbeitnehmern aber schon vor dem tatsächlichen Beginn des Arbeitsverhältnisses Probleme gibt und der Arbeitnehmer doch lieber bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten wollen, verlieren auch die Arbeitgeber in verständlicher Weise das Interesse am Arbeitsverhältnis. Dennoch ein paar Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber. Dabei geht es einerseits darum, Bewerber, die es mit dem tatsächlichen Arbeitsbeginn nicht so ernst nehmen, vom Abschluss des Arbeitsvertrags abzuhalten, andererseits darum, Bewerber, die einen Arbeitsvertrag bereits abgeschlossen haben, vom Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber abzuhalten.

  • Ausschluss der Kündigung vor Vertragsbeginn

Häufig wird der Arbeitsvertrag mündlich oder schriftlich Wochen oder Monate vor dem tatsächlichen Arbeitsbeginn abgeschlossen. Um eine Kündigung des Arbeitnehmers vor dem Vertragsbeginn zu vermeiden, sollte die Kündigung vor Vertragsschluss ausgeschlossen werden. Z.B. „Vor Beginn des Arbeitsvertrages ist die ordentliche Kündigung ausgeschlossen.“ Im Ergebnis wäre eine Kündigung erst am ersten Tag des Arbeitsverhältnisses möglich und der Arbeitnehmer müsste währen der Kündigungsfrist tätig werden oder krank machen. Diese Regelung ist aber aus rechtlicher und psychologischer Sicht für den Arbeitnehmer eine gewisse Hemmschwelle das Arbeitsverhältnis einzugehen, wenn er an sich noch nach besseren Arbeitsverhältnissen Ausschau halten will. Der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber noch vor Tätigkeitsantritt ist jedenfalls erschwert.

  • Vertragsstrafe und Schadensersatz

Im Arbeitsvertrag kann auch eine Regelung zur Vertragsstrafe und zum Schadensersatz eingefügt werden. Die Vertragsstrafe soll den Arbeitnehmer daran hindern, zu einem anderen Arbeitgeber vertragswidrig zu wechseln. Der Schadensersatz soll die zusätzlichen  Kosten, z.B. für weitere Stellenanzeigen, Headhunter etc. ersetzen. Eine Klausel könnte lauten: „Wird die Arbeit vom Arbeitnehmer nicht oder verspätet aufgenommen, vorübergehend verweigert oder wird das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist aufgelöst oder wird das Arbeitsverhältnis durch vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers außerordentliche gekündigt, entsteht eine Vertragsstrafe des Arbeitnehmers. Die Vertragsstrafe beträgt für den Fall der verspäteten Aufnahme der Arbeit, der vorübergehenden Arbeitsverweigerung und der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der Kündigungsfrist für jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Bruttotagesgehalt, maximal für die Dauer der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist. Im Übrigen beträgt die Vertragsstrafe ein Bruttomonatsgehalt.“

  • Nachvertragliches Wettbewerbsverbot

Ein Nachvertragliches Wettbewerbsverbot verbietet es dem Arbeitnehmer bei einem Konkurrenten während der Dauer des Wettbewerbsverbots tätig zu werden. Es gelten strenge Maßstäbe hinsichtlich Dauer, Tätigkeit und Räumlichkeit. Für die Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots sind mindestens 50% der bisherigen bzw. der vertraglich vereinbarten Vergütung als Karenzentschädigung zu bezahlen. Arbeitnehmer, die ihre Stelle trotz Arbeitsvertrag nicht antreten, werden häufig nicht bei einem Konkurrenten tätig. Im Ergebnis müsste dann einem Vertragsbrüchigem eine Karenzentschädigung bezahlt werden. Das ist nicht gewollt. Das (ggf. vorübergehende) nachvertragliche Wettbewerbsverbot ist daher nur ein geeignetes Instrument für extrem spezialisierte Arbeitnehmer, die ausschließlich in einer Wettbewerbsbranche eingesetzt werden können.

  • Aufhebungsvertrag

Bei Arbeitnehmern, die sich nach Abschluss des Arbeitsvertrags aber vor tatsächlichem Arbeitsbeginn beim Arbeitgeber melden und um eine „Aufhebung“ bitten, muss der Arbeitgeber überlegen, ob der Arbeitsbeginn erzwungen wird und der Arbeitnehmer von der Tätigkeit überzeugt wird oder ob der Beendigung zugestimmt wird. Wenn auch der Arbeitgeber kein Interesse am Arbeitsbeginn des Arbeitnehmers hat, sollte die Beendigung rechtswirksam erfolgen. Das bedeutet nicht telefonisch oder per E-Mail sondern unter Wahrung der Schriftform (§ 623 BGB) durch Aufhebungsvertrag. Im Aufhebungsvertrag kann sich der Arbeitgeber als „Gegenleistung“ Kosten für die erneute Suche nach einem Kandidaten ersetzen lassen.


Pacta sunt servanda und mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen

Ihr Dr. Erik Schmid

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