Liebe Leserin, lieber Leser,
ich bin nicht Giovanni Trapattoni, Trainer von Bayern München, sondern Erik Schmid, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht von ADVANT Beiten in München. Ich bin aber diese Woche ähnlich sauer auf das BAG, wie Giovanni Trapattoni am 10.03.1998, als er seine legendäre Wut-Rede über Mehmet Scholl, Mario Basler und insbesondere Thomas Strunz hielt. Überraschend hat das BAG am 13.09.2022 (1 ABR 22/21) entschieden, dass Unternehmen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch erfassen und kontrollieren müssen.
Die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes sind unflexibel und passen vielfach nicht mehr zu den heutigen Arbeits- und Arbeitszeitmodellen. Das Arbeitszeitgesetz verpflichtet die Arbeitsvertragsparteien zur Einhaltung
höchstzulässiger täglicher und wöchentlicher Arbeitszeiten: die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten (§ 3 S. 1 ArbZG) und die werktägliche Arbeitszeit darf maximal auf zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb eines Ausgleichzeitraums von sechs Monaten der Durchschnitt von acht Stunden werktäglich nicht überschritten wird (§ 3 S. 2 ArbZG),
zu Ruhepausen: im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten müssen bei einer Arbeitszeit von sechs bis neun Stunden und von mindestens 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden eingehalten werden (§ 4 ArbZG),
und zu Ruhezeiten: eine ununterbrochene Ruhezeit nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit von mindestens elf Stunden muss eingehalten werden. Nach den beispielsweisen Regelungen des ArbZG.
Der Arbeitgeber ist bisher gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet, nur die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und zu dokumentieren.
Der EuGH ist der Auffassung, dass die Arbeitszeitrichtlinie und die Grundrechtecharta der Europäischen Union Arbeitgeber dazu verpflichten, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung sowie die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich nur mit einem System zu ermitteln. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass diese Rechte der Arbeitnehmer nicht ausgehöhlt werden. Nach dem Urteil des EuGH müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die alltägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Alle Arbeitgeber in der EU müssen die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer vollständig erfassen. Ein solches System erleichtert den Arbeitnehmern den Nachweis ihrer Rechte und den Behörden und Gerichte die Kontrolle.
Die bisher überwiegende Auffassung war der Ansicht, dass das Urteil des EuGH zwar große Auswirkungen auf die bisherige Arbeitszeit-Praxis in Deutschland haben wird, dass die Regelungen aber nicht unmittelbar gelten, sondern in nationales Recht umgesetzt werden muss.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall ging es um den Antrag eines Betriebsrats für die Einführung einer digitalen Stechuhr durch Einsetzung einer Einigungsstelle. Insbesondere ging es um die Frage, ob der Betriebsrat ein Initiativrecht für die Einführung einer solchen technischen Einrichtung habe. Dieser Antrag wurde letztendlich abgewiesen. Der Betriebsrat könne nicht die Einführung eines Systems der elektronischen Arbeitszeiterfassung im Betrieb mit Hilfe der Einigungsstelle erzwingen.
Das BAG hat den Antrag auch deshalb abgelehnt, da dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG zustehe, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit schon gesetzlich geregelt sei. Nach Ansicht des BAG sei unter unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG der Arbeitgeber ohnehin verpflichtet, alle Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Das BAG stimmt damit mit der Entscheidung des EuGH von 2019 überein. Die Entscheidung des BAG ist überraschend. Insbesondere in diesem Fall, in dem es an sich nur um den Umfang des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats ging. Die Rechtsunsicherheit in Deutschland wird mit dem Beschluss des BAG noch größer.
Ich habe fertig!
Mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen
Ihr Dr. Erik Schmid
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