Liebe Leserin, lieber Leser,
die sprichwörtliche „Sonne“ aus Arbeitgebersicht bzw. der sprichwörtliche „Teufel“ aus Arbeitnehmersicht ist das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.04.2022 (5 Ca 189/22).
Beschäftigte in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen hatten spätestens am 15.03.2022 bzw. bei Beginn der Beschäftigung nach dem 15.03.2022 spätestens zum Arbeitsbeginn
gemäß § 20a IfSG dem Arbeitgeber vorzulegen.
Es gibt bereits Gerichtsentscheidungen zu § 20a IfSG in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, nach denen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendbarkeit und Durchführung bestehen.
„Impfunwillige“ Arbeitnehmer in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen versuchen den gesetzlich geforderten Nachweis teilweise durch gefälschte Impfpässe, durch gefälschte ärztliche Bescheinigungen und häufig durch sogenannte „vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigungen“ aus dem Internet zu erfüllen. Insbesondere eine Ärztin, die angeblich im Raum Stuttgart praktizieren soll, stellt eine Vielzahl solcher vorläufigen Online-Impfunfähigkeitsbescheinigungen aus. Mit einer einfachsten Recherche im Internet erscheinen zahlreiche Treffer für Strafanzeigen, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und sonstige Veröffentlichungen zu dem missbräuchlichen Geschäftszweck. Auf den ersten Blick sieht die Bescheinigung täuschend echt aus und ist vergleichbar mit „richtigen“ ärztlichen Bescheinigungen. Das Zustandekommen der „vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung“ ist aber offensichtlich missbräuchlich und das muss auch jeder Arbeitnehmer erkennen:
Die Ärztin und gegebenenfalls weitere angebliche Ärzte haben zahlreiche solcher unwirksamen und rechtsmissbräuchlichen Bescheinigungen ausgestellt. Es verwundert deshalb nicht, dass zahlreiche Kündigungsschutzprozesse bei den Arbeitsgerichten rechtshängig sind. Es ist zu erwarten, dass eine Vielzahl an Entscheidungen in den nächsten Wochen und Monaten ergehen wird.
Das Arbeitsgericht Lübeck hatte über eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Impfunfähigkeitsbescheinigung zu entscheiden. Arbeitgeber ist eine Klinik. Die Arbeitnehmerin ist seit 2001 als Krankenschwester tätig. Wie in allen Pflege- und Gesundheitseinrichtungen wurden die Beschäftigten gemäß § 20a IfSG angewiesen, der Arbeitgeberin einen entsprechenden Nachweis über die Impfung oder einen Nachweis über die Genesung oder ein ärztliches Zeugnis über eine Schwangerschaft bzw. eine medizinische Kontraindikation vorzulegen. Die Krankenschwester legte der Klinik eine vorläufige Online-Impfunfähigkeitsbescheinigung aus dem Internet vor. Die Krankenschwester hat diese Bescheinigung ohne Besprechung mit der Ärztin, ohne tatsächliche medizinische Untersuchung durch Beantwortung der Suggestivfrage erhalten.
Das Arbeitsverhältnis wurde von der Klinik außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt. Die Arbeitnehmerin behauptete, dass es nicht Aufgabe der Klinik sei, die vorgelegten Nachweise zu überprüfen und arbeitsrechtliche Sanktionen ausgeschlossen seien. Ausschließlich das Gesundheitsamt sei handlungsberechtigt und könne die Nachweise überprüfen.
Das Arbeitsgericht Lübeck hat – aus Arbeitgebersicht – erfreulich entschieden, dass aus § 20a IfSG kein arbeitsrechtliches Kündigungsverbot entstehe. Das Arbeitsgericht Lübeck hat zudem entschieden, dass die Vorlage einer solchen „ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung“, ohne dass vorher eine Untersuchung erfolgt ist, eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten darstelle, die das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung zerstört. Damit liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vor. Das Arbeitsgericht Lübeck hat in diesem Fall auf Ebene der Interessenabwägung die außerordentliche Kündigung als nicht gerechtfertigt angesehen, da eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren bestand. Das Arbeitsgericht Lübeck hat aber entschieden, dass jedenfalls die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtmäßig beendet. Begründet wird die Entscheidung auch damit, dass der Arbeitnehmerin klar sein muss, dass die vorgelegte Bescheinigung den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erweckt, in Wahrheit aber nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruht.
„Lügen haben kurze Beine“.
Mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen
Ihr Dr. Erik Schmid
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