Liebe Leserinnen, liebe Leser,
mit seiner Entscheidung vom 26.04.2022, Az. 9 AZR 367/211 hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zum Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nachdrücklich geschärft.
Der Kläger ist seit 1994 bei der Beklagten in Vollzeit beschäftigt. Der Beklagten war nicht nur bekannt, dass der Kläger einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hatte. Der Kläger hatte sie zudem auch über die Ablehnung des Antrags durch Bescheid vom 24.11.2017 informiert. Erst im März 2019 erfuhr die Beklagte jedoch, dass der Kläger dagegen mit Erfolg das Widerspruchs- und Klageverfahren angestrengt hatte. Eine entsprechende Information erfolgte im Vorfeld nämlich nicht. Aufgrund eines vor dem Sozialgericht abgegebenen Anerkenntnisses hatte das Landesamt für Soziales des Saarlands ihn am 5.3.2019 rückwirkend zum 11.08.2017 als schwerbehinderten Menschen mit einem GdB von 50 anerkannt. Daraufhin verlangte der Kläger von seiner Arbeitgeberin Anfang April 2019 die Gewährung von Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen. Dieses Begehren lehnte die Beklagte für die Jahre 2017 und 2018 mit dem Hinweis ab, dass der Anspruch verfallen sei.
Die darauf hin erhoben Klage wurde vom Arbeitsgericht Trier stattgegeben. Das LAG Rheinland-Pfalz wies diese jedoch ab. Das Bundesarbeitsgericht hat abschließend einen Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub für das Jahr 2017 bejaht, einen Anspruch für das Folgejahr jedoch verneint.
Der Kläger erwarb gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung einen Anspruch auf (anteiligen) Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen im Umfang von zwei Arbeitstagen für das Jahr 2017 und gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der seit dem 01.01.2018 gültigen Fassung einen Anspruch auf Zusatzurlaub von fünf Arbeitstagen für das Jahr 2018.
Hinweis! Tatbestandliche Voraussetzung des Anspruchs auf Zusatzurlaub ist nur das objektive Vorliegen einer Schwerbehinderung. Auf deren Feststellung durch die zuständige Behörde kommt es nicht an. Damit hat ein Feststellungsbescheid des Versorgungsamts nach § 2 Abs. 2, § 152 SGB IX keine rechtsbegründende (konstitutive), sondern lediglich eine erklärende (deklaratorische) Wirkung . Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht zudem unabhängig davon, ob der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers Kenntnis hat.
Der Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus dem Jahr 2017 sei nicht mit dem Ablauf des Urlaubsjahrs erloschen. Demgegenüber sei der Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG am 31.12.2018 verfallen.
Wichtig für Sie! Hat der Arbeitgeber nämlich keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers und ist diese nicht offenkundig, verfällt der Anspruch auf Zusatzurlaub auch dann gemäß § 7 Abs 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahrs oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Der Arbeitgeber hat unter diesen Voraussetzungen keinen Anlass, vorsorglich auf einen Zusatzurlaub hinzuweisen und den Arbeitnehmer aufzufordern, diesen in Anspruch zu nehmen.
Dasselbe müsse nach der Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes gelten, wenn der Arbeitnehmer einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hat, ohne seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten soweit die Schwerbehinderung nicht offensichtlich ist.
Besonderheiten ergäben sich, wenn der dem Arbeitgeber bekannte Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung zunächst durch behördlichen Bescheid zurückgewiesen und die Schwerbehinderung aufgrund eines vom Arbeitnehmer eingelegten Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels später rückwirkend festgestellt werde. Die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers bestünden in einem solchen Fall zunächst bis zu der ablehnenden Entscheidung der zuständigen Behörde. Ist der Arbeitgeber vor dem Erlass des ablehnenden Bescheids seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht rechtzeitig nachgekommen, unterliege der Zusatzurlaubsanspruch, über den der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bis dahin hätte rechtzeitig belehren können, nicht dem Fristenregime des § 7 Abs 3 BUrlG. Der Ablehnungsbescheid ändere daran nichts mehr.
Ansprüche auf Zusatzurlaub, hinsichtlich derer der Arbeitgeber nicht rechtzeitig vor Ablehnung des Antrags seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommen konnte, erlöschen allerdings - auch ohne dass der Arbeitgeber zuvor seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt hat - mit Ablauf der gesetzlichen Verfallfristen, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht rechtzeitig über den weiteren Gang des Anerkennungsverfahrens unterrichtet.
Um den Anspruch auf Zusatzurlaub aus dem Jahr 2017 nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zu befristen, hätte die Beklagte dem Kläger gegenüber ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten bis zum Erlass des Ablehnungsbescheids vom 24.11.2017 erfüllt haben müssen. Da sie dies unterlassen hat, konnte der Zusatzurlaub aus dem Jahr 2017 nicht mit Ablauf des 31.12.2017 erlöschen.
Nach Zurückweisung seines Antrags auf Feststellung der Schwerbehinderung durch Bescheid vom 24.11.2017 hat der Kläger es hingegen unterlassen, seine Arbeitgeberin über den Fortgang des Anerkenntnisverfahrens zu unterrichten. Dementsprechend ist der Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 verfallen.
Das soll es zum Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen gewesen sein. Bleiben Sie bitte gesund!
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 BAG 26.04.2022 – 9 AZR 367/21 – ZTR 2022, 544.
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