Darlegungs- und Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen

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Was der Arbeitnehmer im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens alles vortragen muss, wenn er prozessual eine Überstundenvergütung geltend machen will.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

soviel darf ich bereits vorwegnehmen. Die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019, Az. C-55/181 mit der das Gericht eine Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit postuliert hat, hat keine Auswirkung auf die bisherigen Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Geltendmachung von Überstundenvergütung. Damit bleibt nach der Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/212 also erst einmal alles beim Alten.

Die Entscheidung des BAG wurde mit großer Spannung erwartet und wird sicherlich in jedem Jahresrückblick seinen angestammten Platz finden.

Was war denn nun eigentlich das Problem?

Der Kläger war bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt, vom 01.10.2014 bis zum 30.06.2019 als Auslieferungsfahrer für Lebensmittelbestellungen beschäftigt. Die Arbeitszeiterfassung bei der Beklagten erfolgt mittels technischer Zeitaufzeichnung. Die Mitarbeiter erfassen damit Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit, wobei regelmäßig auch die Pausen mittels der Zeiterfassung registriert werden. Dies galt für den Kläger als Fahrer aber nicht. Dieser hatte keine Möglichkeit, Pausenzeiten zu erfassen.

Im Rahmen des späteren arbeitsgerichtlichen Verfahren verlangte der Kläger insgesamt die Vergütung von 348 Überstunden. Er begründete sein Begehren damit, dass er keine Pausen gemacht, sondern stets gearbeitet habe. Pausen seien nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Daraus resultiere auch der positive Saldo der Zeiterfassung. Also keine Pausen gemacht, dafür aber Überstunden abgeleistet. So lässt sich der Sachverhalt wohl kurz zusammenfassen.

Der Weg zum BAG und die Entscheidung des 5. Senats:

  1. Das ArbG Minden hat in seiner in der Praxis viel beachteten Entscheidung der Klage zunächst im vollen Umfang stattgegeben, da der Arbeitgeber seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Arbeitszeiterfassung nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH nicht nachgekommen sei.

  2. Das LAG Niedersachsen kam zu einem vermittelnden Ergebnis. Es verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung von 78,25 Überstunden.

  3. Nach Auffassung des BAG habe der Kläger die 348 Überstunden zwar schlüssig dargelegt. Er konnte jedoch gleichzeitig nicht hinreichend darlegen, dass auch alle diese Überstunden durch die Beklagte veranlasst waren. Damit war die Klage abzuweisen. Denn erbringe der Arbeitnehmer Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang, sei der Arbeitgeber zu deren Vergütung nur dann verpflichtet, wenn er die Leistung von Überstunden veranlasst habe oder sie ihm zumindest zuzurechnen sei. Der Arbeitnehmer könne sich nicht über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus selbst Arbeit „geben“ und seinen Arbeitsumfang erhöhen.

Hinweis! Nach der Rechtsauffassung des 5. Senats ist damit vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung gerade nicht wegen der Entscheidung des EuGH zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit abzurücken. Dies hätte man aus meiner Sicht sicherlich auch mit guten Argumenten – wie ja auch die Entscheidung des ArbG Minden zeigt – anders sehen können.

Im Ergebnis kann damit zusammenfassend attestiert werden, dass es bei den allgemeinen zivilprozessrechtlichen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast auch in Überstundenprozessen bleibt und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Einführung eines hinreichenden Arbeitszeiterfassungssystems nicht nachgekommen ist.


Ich wünsche Ihnen damit noch eine schöne vorweihnachtliche Zeit.

Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann


1 EuGH 15.05.2019 – C- 55/18 –, ZTR 2019, 381.

2 BAG 04.05.2022 – 5 AZR 359/21 –, ZTR 2022, 598.

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