Liebe Leserinnen, liebe Leser,
heute habe ich Ihnen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Thüringen vom 03.05.2022, Az. 1 Sa 18/211 mitgebracht. Man muss ja nicht immer ins höchste Regal greifen, um interessante Dinge zu entdecken.
Das Gericht musste sich in seiner Entscheidung mit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnises auseinandersetzen. Die Arbeitgeberin hatte zwar zunächst auch außerordentlich gekündigt. Gegenstand des Berufungsverfahrens war allerdings nur noch die ordentliche Kündigung.
Die Klägerin war in einem Jobcenter beschäftigt. Dort gilt eine zwischen dem Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung und dem Personalrat des Jobcenters abgeschlossene Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. In § 9 der Dienstvereinbarung ist auszugsweise Folgendes geregelt:
„Die Arbeitszeit ist bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen. Dies gilt ebenso für das Erfassen der Pausen (Raucherpausen, Pausen in der Kantine sowie in den Sozialräumen oder am Arbeitsplatz).“
Anfang Januar 2019 stellte die Vorgesetzte der Klägerin Unregelmäßigkeiten bei den Arbeitszeitbuchungen der Klägerin fest. Es ging hierbei insbesondere um verschiedene Raucherpausen, die die Klägerin nicht im Arbeitszeiterfassungssystem verbucht hatte.
Nach Durchlaufen der personalvertretungsrechtlichen Verfahren sprach die Beklagte die fristlose Kündigung, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.09.2019 aus. Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin am selben Tag überreicht. Mit ihrer am 26.02.2019 beim Arbeitsgericht Suhl eingegangenen und der Beklagten am 11.03.2019 zugestellten Klage hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben.
Die Kündigungsschutzklage war nicht erfolgreich, da die zuletzt noch in Streit befindliche ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG als verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Verstöße gegen Dokumentationspflichten und daraus folgenden Arbeitszeitbetrugs sozial gerechtfertigt gewesen sei. Dies ergebe sich aus folgenden Überlegungen:
Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stelle eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfülle an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB.
Hinweis! Damit ist im Falle eines Arbeitszeitbetruges eines Beschäftigten regelmäßig auch der Anwendungsbereich der außerordentlichen Kündigung eröffnet.
Dasselbe gelte auch für den Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren.2
Hinweis! Es kommt dabei nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an. Denn der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit von am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmern vertrauen können.
Auch dann, wenn der Arbeitnehmer wiederholt Pausen erheblich überzieht und seine Arbeitszeit falsch dokumentiert, ist wegen des damit verbundenen Vertrauensverlusts ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB an sich gegeben.
Ebenso ist die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen.
Hinweis! Klar dürfte sein, dass Pflichtverletzungen, die an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, erst recht geeignet sind, eine ordentliche Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen. Denn die ordentliche Kündigung ist ja letztlich als Minus in der außerordentlichen Kündigung enthalten, da § 626 Abs. 1 BGB einen über § 1 Abs. 2 KSchG hinausgehenden besonders wichtigen und damit qualifizierten Kündigungsgrund fordert.
Da der Klägerin die ihr im Rahmen der Kündigung vorgeworfenen Pflichtverletzungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch nachgewiesen werden konnten, konnte die Kündigungsschutzklage keinen Erfolg haben, so dass diese zu Recht abgewiesen worden ist.
Ich wünsche Ihnen noch eine schönes restliches Jahr 2022 und bleiben Sie gesund.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 LAG Thüringen 03.05.2022 – 1 Sa 18/21 –, ZTR 2022, 617.
2 Siehe hierzu auch BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 –, ZTR 2011, 628.
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