Liebe Leserinnen, liebe Leser,
in der Praxis passiert es immer mal wieder, dass übergangene schwerbehinderte Bewerber Entschädigungsansprüche nach dem AGG wegen behaupteter Diskriminierung geltend machen. Hiermit musste sich das Landesarbeitsgericht Hamm mal wieder in einer aktuellen Entscheidung vom 30.03.2023, Az. 11 Sa 878/22 beschäftigen. Die Entscheidung ist Stand heute bei juris leider noch nicht veröffentlicht worden.
Der am 29.10.1965 geborene Kläger verfügt über eine Qualifikation als Diplomverwaltungswirt. Er ist mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Unter dem 17.02.2021 erhielt der Kläger einen Vermittlungsvorschlag der Arbeitsagentur, woraufhin er sich am 18.02.2021 bei der Beklagten auf die ausgeschriebene Stelle als Sachbearbeiter im Jugendamt bewarb. Der Kläger wies auf der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Karriereseite (dortmund.de/karriere) auf seine Schwerbehinderung hin.
Nachdem die Beklagte den Kläger am 19.02.2021 darauf aufmerksam gemacht hat, dass seine Bewerbung nach Prüfung der Bewerbungsunterlagen nicht berücksichtigt werden konnte, machte dieser mit Schreiben vom 28.02.2021 gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch in einer Höhe von 11.198, 94 EUR geltend. Daraufhin entschuldigte sich die Beklagte beim Kläger mit Schreiben vom 11.03.2021, dass ein Mitarbeiter die Absage nicht richtig formuliert hätte und wies darauf hin, dass personalwirtschaftliche Gründe zum Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens geführt hätten, da sich die Möglichkeit ergeben hätte, die vakante Stelle intern mit einem Auszubildenden zu besetzen. Dementsprechend sei das Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen worden. Nachdem der Kläger darauf hin am 11.04.2021 erneut seinen Entschädigungsanspruch geltend gemacht hatte, erhob er am 25.05.2021 beim Arbeitsgericht Dortmund entsprechend Klage.
Sowohl das Arbeitsgericht Dortmund als auch das Landesarbeitsgericht Hamm haben die Klage abgewiesen.
Es bestand für die Beklagte nicht die Verpflichtung, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Denn aufgrund des Abbruchs des Auswahlverfahrens bestand die sich aus § 165 Satz 3 SGB IX ergebene Verpflichtung nicht weiter fort, da mit dem Abbruch keine Stelle mehr zu besetzen war.
Da die Beklagte auch mit keinem der Bewerber ein Vorstellungsgespräch geführt habe (alle Bewerber haben nach dem Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens eine Absage erhalten), hat der Kläger auch keine ungünstigere Behandlung erfahren als irgendein Mitbewerber. Damit sei dieser schon gar nicht nach § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden.
Die Beklagte habe auch nicht gegen die in § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX statuierte Mitteilungspflicht gegenüber der Arbeitsagentur verstoßen. Denn danach sei der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, vor der Besetzung einer freien Stelle frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Eine Mitteilungspflicht über den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens bestehe allerdings nicht.
Es komme bei der Prüfung von Entschädigungsansprüchen nach dem AGG nicht darauf an, ob das Auswahlverfahren zu Recht abgebrochen worden ist. Zwar könnten aus Fehlern im Besetzungsverfahren Schadensersatzansprüche erwachsen. Derartige Schadensersatzansprüche seien jedoch im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens unter Berufung auf die Verletzung eines Bewerbungsverfahrensanspruches geltend zu machen.
Sie müssen keine Entschädigungsansprüche von schwerbehinderten Bewerbern fürchten, wenn Sie das Auswahlverfahren etwa durch eine interne Stellenbesetzung abgebrochen haben. Insoweit bedarf es auch keiner Prüfung, ob der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens zu Recht erfolgt ist.
Damit Sie sich nicht gerichtlich angreifbar machen, sollten Sie die sich aus § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX ergebene Verpflichtung, zur Einbeziehung der Agentur für Arbeit immer schriftlich dokumentieren.
Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute von Ihnen.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
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