Vorlage von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

6 Bewertungen

Mitbestimmung des Betriebsrats oder Personalrats

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in diesem Blog möchte ich mich mit einer immer wiederkehrenden personalrechtlichen Problematik beschäftigen. Es geht um die Frage, ob der Betriebsrat oder der Personalrat ein Mitbestimmungsrecht geltend machen kann, wenn der Arbeitgeber bestimmte Beschäftigte anweist, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen. Dem Blog liegt eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde, die Sie in der ZTR 2023, 263 nachlesen können.


Das ist der streitgegenständliche Sachverhalt:

Die Arbeitgeberin, die krankenhausnahe Dienstleistungen erbringt, erteilte seit dem Jahr 2018 insgesamt 17 Arbeitnehmern folgende – gleichlautende – schriftliche Anordnung:

„… in Abstimmung zwischen Ihrem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – im Service Center Personal vorzulegen.

Bitte beachten Sie, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden, wenn Sie dieser Nachweispflicht nicht nachkommen …“

Der Betriebsrat hat im Verfahren vor dem BAG die Ansicht vertreten, bei dieser Angelegenheit habe er mitzubestimmen. Denn es handele sich um eine Maßnahme, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffe. Ihr kollektiver Bezug folge bereits aus dem gleichförmigen Inhalt und der Form der Anweisungen.


Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe:

Zunächst einmal das Ergebnis vorweg: Das BAG wies die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die Entscheidungen der Vorinstanzen als unbegründet ab, da der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG1 nicht verletzt habe.

Hinweis! Das BAG hat bereits im Jahr 19972 entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFFG generell berechtigt sei, dem Arbeitnehmer aufzugeben, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vor dem vierten Kalendertag, etwa ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen.

Bei der Frage, ob der Betriebsrat oder der Personalrat zu beteiligen ist, wenn der Arbeitgeber, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vor dem vierten Kalendertag fordert, gilt nach der Rechtsprechung des BAG generell Folgendes:

  1. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich den einzelnen Arbeitnehmer ohne Beteilung der Personalvertretungsorgane auffordern, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag vorzulegen.3

  2. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Arbeitgeber generelle Anordnungen über die frühere Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen trifft. In diesem Fall steht dem Betriebsrat oder dem Personalrat ein Mitbestimmungsrecht zu.

Hinweis! Nach der Rechtsprechung des BAG besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats/Personalrats damit nur dann, wenn ein kollektiver Tatbestand gegeben ist. Hierfür muss sich eine Regelungsfrage stellen, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgeht und kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berührt. Damit sind nur solche – das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussenden und koordinierenden – Maßnahmen mitbestimmungspflichtig, die nicht auf individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitsverhältnisses beruhen.

Im Ergebnis lehnte hier das BAG ein Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung ab, da es grundsätzlich im freien Ermessen des Arbeitgebers stehe, im Einzelfall die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vor dem vierten Tag der Erkrankung zu verlangen. Eines sachlichen Grundes bedürfe es hierfür nicht. Dementsprechend könne eine entsprechende Anweisung auch ausschließlich auf individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitsverhältnisses beruhen. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Arbeitgeber das Verlangen gleichermaßen gegenüber allen Arbeitnehmern, gegenüber einer Gruppe von ihnen oder zumindest immer dann geltend mache, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Ein kollektiver Bezug der streitgegenständlichen Maßnahmen folge zudem auch nicht aus der Gleichförmigkeit ihres Inhalts, ihrer Form und des ihnen jeweils vorausgehenden Verfahrens einer Abstimmung zwischen dem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter.

Fazit für Sie! Die Anordnung an „einzelne“ Mitarbeiter, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor dem vierten Kalendertag vorzulegen, ist regelmäßig mitbestimmungsfrei.

Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute mit


herzlichen Grüßen

Ihr

Boris Hoffmann


1 In den Personalvertretungsgesetzen der Länder und des Bundes finden sich inhaltlich vergleichbare Regelungen (z. B. § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 9 LPVG NRW).
2 BAG 1.10.1997 – 5 AZR 726/96 –, ZTR 1998, 227.
3 BAG 14.11.2012 – 5 AZR 886/11 –, ZTR 2013, 207.

Mein Kommentar
Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
banner-arbeits-und-tarifrecht-2.png

Wählen Sie unter 14 kostenlosen Newslettern!

Mit den rehm Newslettern zu vielen Fachbereichen sind Sie immer auf dem Laufenden.

Login
 
Wie können wir Ihnen weiterhelfen?
Kostenlose Hotline: 0800-2183-333
Kontaktformular

Gerne können Sie auch unser Kontaktformular benutzen und wir melden uns bei Ihnen.

Kontaktformular
Beste Antworten. Mit den kostenlosen rehm Newslettern.
Jetzt aus zahlreichen Themen wählen und gratis abonnieren  

Kundenservice

  • Montag – Donnerstag 8-17 Uhr
  • Freitag 8-15 Uhr
  • Sie können uns auch über unser Kontaktformular Ihre Fragen und Anregungen mitteilen.

Verlag und Marken

Unsere Themen und Produkte

 

Service

Rechtliches

Partner der



Zahlungsarten 

Rechnung Bankeinzug   MastercardVisa

PayPal Giropay Sofortüberweisung