Was es zu der Thematik der Verpflichtung, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, Neues gibt

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Die zu bewältigenden Probleme wollen einfach kein Ende nehmen. Nun hat sich das BAG zu der Frage geäußert, ob der Arbeitgeber auch verpflichtet ist „interne“ schwerbehinderte“ Bewerber und Mitarbeiter zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Unstrittig galt ja diese Verpflichtung für alle externen Stellenbesetzungsverfahren und jetzt neu sogar auch für entsprechende interne Verfahren.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich weiß, dass ich über diese Thematik bereits mehrfach berichtet habe. Gleichwohl gibt es leider immer wieder Neuerungen, die Sie beherzigen müssen. Denn Ziel muss eine sichere Rechtsanwendung sein, damit Sie keinen potentiellen Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen ausgesetzt werden können.

In der Rechtsprechung ist es seit Langem anerkannt, dass Sie als Arbeitgeber verpflichtet sind, nach § 165 Satz 3 SGB IX schwerbehinderte Bewerber (§ 2 Abs. 2 SGB IX) oder diesen gleichgestellte Bewerber (§ 2 Abs. 3 SGB IX) zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn Sie die zu besetzende Stelle extern ausgeschrieben und damit für externe Bewerbungen geöffnet haben, soweit der einzelne Bewerber nicht offensichtlich fachlich ungeeignet ist (§ 165 Satz 4 SGB IX).

Hinweis! Der Begriff der fachlichen Eignung bzw. Nichteignung ist anhand von Art. 33 Abs. 2 GG näher zu bestimmen. Dementsprechend sind Sie etwa auch dann nicht verpflichtet, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn dieser offensichtlich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung  zu erbringen.

In der aktuellen Entscheidung des BAG1 hat dieses zwei wesentliche Pflöcke eingeschlagen:

Zum einen ist das Gericht der ständigen Rechtsprechung des BVerwG zum Anwendungsbereich des § 165 Satz 3 SGB IX entgegengetreten. Zum anderen hat sich die Kammer dazu geäußert, wie der Arbeitgeber zu verfahren hat, wenn dieser nicht nur eine, sondern zwei Stellen „intern“ ausgeschrieben hat, die zwar fachindentisch sind, die Auswahlentscheidungen selber allerdings von zwei unterschiedlichen und damit nicht personenidentischen Auswahlkommissionen getroffen werden.

Das BAG hat im Einzelnen wie folgt entschieden:

  1. Der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts, nachdem § 165 Satz 3 SGB IX ausschließlich bei extern ausgeschriebenen Stellen Geltung beanspruche, sei nicht (mehr) zu folgen. Vielmehr sei die Vorschrift im Wege der historischen und wortlautgetreuen Auslegung und unter Beachtung dogmatischer Erwägungen dahingehend auszulegen, dass auch interne schwerbehinderte Bewerber bei zu Recht ausschließlich intern ausgeschriebenen Stellen und Dienstposten zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen sind.

    Hinweis!
    Was das für Sie im Ergebnis für die Praxis tatsächlich bedeuten wird, ist aus meiner Sicht noch gar nicht genau absehbar. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob das BAG die Folgen der Entscheidung bzw. die entsprechende Tragweite für Sie ausreichend in den Blick genommen hat. Denn wenn sich nun auf intern ausgeschriebenen Stellen eine Vielzahl von zusätzlich schwerbehinderten Bewerbern melden sollten, würde das die jeweilig zu treffende Auswahlentscheidung weiter verzögern. Zudem lässt die Rechtsprechung offen, wie mit Art. 33 Abs. 2 GG und dem daraus abzuleitenden Zwang, dienstliche Beurteilung in Auswahlentscheidungen heranzuziehen, soweit die Ausschreibung auch für Beamte eröffnet ist, umzugehen sein wird.

  2. Positiv ist aus meiner Sicht die zweite Feststellung des BAG, wonach der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, den Bewerber „mehrfach“ zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn für die Durchführung des Auswahlverfahrens dieselbe Stelle zuständig und das jeweilige Anforderungsprofil identisch sei sowie das Verfahren an sich nach denselben Methoden und Kriterien durchgeführt werde. An dieser Rechtsauffassung ändere sich auch dann nichts, wenn die jeweilige Auswahlkommission nicht stets personenidentisch besetzt sei (die Vorinstanz hatte insoweit noch anders entschieden). Dies ergibt sich nach meinem Dafürhalten bereits aus dem aus Art. 33 Abs. 2 GG ableitbarem Bewerbungsverfahrensanspruch, der eine Gleichbehandlung im Verfahren, aber nicht eine Gleichbesetzung der Auswahlkommission fordert.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Blog einen weiteren Überblick über die Tücken von Auswahlverfahren vermitteln.


Ihr

Boris Hoffmann


1 BAG 25.6.2020 – 8 AZR 75/19, juris.


Vgl. zu dieser Thematik vertiefend und weiterführend v. Roetteken, Kommentar zum AGG, § 22 Rn. 289 ff.

Roetteken

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2 Kommentare zu diesem Beitrag
kommentiert am 29.01.2021 um 13:50:
Sehr geehrte Frau Arnold, besser spät als nie. Ich darf Sie bitte auf die Entscheidung des 8. Senats vom 27.8.2020 - 8 AZR 45/19 verweisen, wonach der Begriff des Vorstellungsgesprächs dahin auszulegen ist, dass er - auch bei mehrstufigen Auswahlprozessen - grundsätzlich alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl unabhängig von ihrer Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform erfasst, die nach der eigenen Konzeption des Arbeitgebers erforderlich sind, um sich ein umfassendes Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung des Bewerbers zu machen. Also danach ist eine Einladung immer zwingend erforderlich, da der schwerbehinderte Bewerber sich ja persönlich präsentieren soll. Herzlichst Boris Hoffmann
kommentiert am 12.11.2020 um 13:21:
Die Urteile hierzu werden in unserem Haus auch sehr kontrovers diskutiert. Wir haben eine Kollegin (schwerbehindert), die zum Gespräch nicht eingeladen wurde, da gar keine Vorstellungsgespräche statt fanden, sondern die Stellenbesetzung per Aktenlage entschieden wurde. Ich hätte in diesem Fall zwar Vorstellungsgespräche geführt, aber das war nicht gewünscht. Wie sehen Sie das Urteil in einem solchen Fall? Sollte man in solchen Fällen auf eine Entscheidung nach Aktenlage besser verzichten? Vielen Dank für Ihre Rückmeldung
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