Liebe Leserin, lieber Leser,
folgendes hat sich zugetragen:
Im März 2015 erlangte der Dienstherr Kenntnis davon, dass der Beamte in einer Vielzahl von Fällen die Kernarbeitszeit nicht eingehalten hatte, weil er morgens ständig zu spät gekommen war. Daraufhin leitete er im November 2015 ein Disziplinarverfahren ein. Auf die 2018 erhobene Disziplinarklage hat das VG Düsseldorf (Az.: VG 38 K 9264/18.BDG) mit Urteil vom 14. Mai 2019 auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis entschieden, weil der Beamte im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 an insgesamt 816 Tagen bei bestehender Dienstfähigkeit den Dienst bewusst erst nach Beginn der Kernarbeitszeit angetreten habe; der Umfang seiner Verspätung summierte sich auf insgesamt 1 614 Stunden. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Beklagten hat das OVG NRW (Az.: 3d A 2713/19.BDG) mit Urteil vom 16. September 2020 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein vorsätzliches Fernbleiben vom Dienst über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder ein Fernbleiben für Teile von Arbeitstagen, das in der Summe einen vergleichbaren Gesamtzeitraum erreiche, indiziere die strengste Disziplinarmaßnahme – also die Entfernung aus dem Dienst.
Das Bundesverwaltungsgericht hat jetzt auf die Revision des Beklagten hin die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und den Beamten lediglich um eine Besoldungsstufe zurückgestuft. Die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst sei – so das Gericht – nicht gerechtfertigt, weil die aufaddierte Gesamtzeit der täglichen Verspätungen nicht einem monatelangen unerlaubten Fernbleiben vom Dienst gleichgesetzt werden könne. Mildernd sei außerdem zu berücksichtigen, dass der Dienstherr zunächst dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend mit weniger gravierenden disziplinaren Maßnahmen auf den Beamten einwirken hätte müssen. Im konkreten Fall wäre es auch erforderlich gewesen, das Verhalten zunächst zu missbilligen und nach dem Bekanntwerden der Kernzeitverstöße die Dienstbezüge zu kürzen.
Das Urteil gibt in der Öffentlichkeit Anlass zu folgender Frage:
Sind Bundesrichter so weit von Realität und Praxis entfernt, dass sie weder die Probleme der Basis noch das Interesse der Allgemeinheit und speziell des Berufsbeamtentums überhaupt noch kennen?
Gerade das Verfahren bei der Entfernung aus dem Dienst, aber auch die Ruhestandsversetzung bei Dienstunfähigkeit dauern entschieden zu lange! Die Kritik der Öffentlichkeit an den Verfahren besteht hier nicht nur seit langem, sie ist auch in vollem Umfang berechtigt!
Trägt das angeführte Urteil des BVerwG v. 28.3.2023 dazu aber tatsächlich in wesentlichem Maße bei?
Im Rahmen der öffentlichen Berichterstattung wird Folgendes verkannt: Der Beamte hat nach dem vorliegenden Sachverhalt seine Aufgaben inhaltlich und nach der durch das Arbeitszeitrecht vorgeschriebenen Gesamtarbeitszeit ordnungsgemäß erfüllt. Er hat seinen Dienst zwar ständig erst nach dem vorgeschriebenen Dienstzeitbeginn angetreten, die dadurch anfallende Fehlzeit hat er aber von sich aus abends wieder eingebracht.
Damit steht fest: Es lag im Verantwortungsbereich seiner Dienststelle, ihn entweder zunächst zu einem Wohlverhalten aufzufordern oder ihn gegebenenfalls unter Androhung disziplinarrechtlicher Folgen entsprechend abzumahnen. Indem die Behörde dies unterlassen hat, könnte hier sogar davon ausgegangen werden, dass die Amtsleitung bei Kenntnis des permanenten Zuspätkommens dieses Verhalten evtl. sogar gebilligt hat, zumal dem Beamten weder ein qualitatives noch ein quantitatives Fehlverhalten vorzuwerfen war. Der Allgemeinheit ist dadurch jedenfalls kein nachweisbarer Schaden entstanden.
Der Fall zeigt eindeutig:
Auch im öffentlichen Dienst sollte bei der Arbeitszeit nicht in erster Linie auf Formalien, sondern auf das Arbeitsergebnis geachtet werden.
Ein Dienstpflichtverstoß läge erst gar nicht vor, wenn die Arbeitszeitvorschriften von Bund und Ländern flexibler gestaltet würden und – was gerade auch bei Beamten angezeigt wäre – den Bediensteten ein größeres Maß an Vertrauen entgegengebracht würde (Stichwort: „Vertrauensarbeitszeit“).
Die Entscheidung des BVerwG ist also zumindest verständlich....
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Lesen Sie dazu auch die Beiträge:
Literaturhinweis:
Weiß/Niedermaier/Summer: Art. 87 BayBG, Rn. 1ff.
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