Liebe Leserin, lieber Leser,
bei der Vergabe eines höher bewerteten Dienstpostens bzw. bei einer möglichen Beförderung stellt das Problem der Vergleichbarkeit von Leistungsbewertungen freigestellter Personalratsmitglieder und den „Normaldienst“ leistenden Beamten eine ständig wiederkehrende Frage dar. Der Beschluss des VGH Hessen v. 30.3.2022 – 1 B 308/21 hat dieses Problem erneut behandelt und bietet hierfür einen eigenen Lösungsweg.
Bei freigestellten Beamten ist die letzte vorhandene periodische Beurteilung nach § 33 Abs. 3 BLV und dem entsprechenden Landesrecht fiktiv fortzuschreiben (Fiktive Laufbahnnachzeichnung). Dabei wird eine fachliche Leistung fingiert und im Vergleich mit einer Referenzgruppe prognostisch ermittelt, wie eine spätere Regelbeurteilung – vermutlich – ausgefallen wäre. Es konkurriert also das Benachteiligungsverbot freigestellter Beamter mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch des nicht freigestellten Konkurrenten auf eine leistungsgerechte Auswahl.
Die dienstlichen Beurteilungen freigestellter Personalratsmitglieder mit „normalen“ Beamten müssen schon wegen des Leistungsprinzips (Art. 33 Abs. 2 GG) bei einem Qualifikationsvergleich eine gegenseitige Aussagekraft besitzen. Dies erscheint zumindest dann zweifelhaft, wenn ein verbeamtetes Personalratsmitglied bereits für mehrere Jahre vom Dienst freigestellt war. Es stellt sich hier die Frage, ob langjährig freigestellte Beamte durch eine fiktive Laufbahnnachzeichnung nicht allein deswegen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerbern um eine Beförderung oder einen Beförderungsdienstposten erlangen, weil deren Beurteilung nicht nur fiktiv, sondern aufgrund nachweisbarer fachlicher Leistungen erstellt wurde.
Fraglich ist zunächst, ab welchem Zeitraum nicht mehr von einer Vergleichbarkeit von Regelbeurteilung und fiktiver Beurteilung ausgegangen werden kann. Nach dem BVerwG fehlt eine entsprechende Vergleichbarkeit spätestens nach einem Zeitraum von 16 Jahren (BVerwG, Urteil v. 16.12.2010 – 2 C 11/09), nach dem BayVGH (Beschl. v. 18.11.2015 – 6 CE 15.2260) ist dagegen ein Zeitraum von 8 Jahren für die Aussagekraft einer fiktiven Beurteilung durchaus noch ausreichend.
Der VGH Hessen (VGH Hessen v. 30.3.2022 – 1 B 308/21) geht in seiner eingangs erwähnten Entscheidung jetzt davon aus, dass eine Vergleichbarkeit grundsätzlich nach 10 Jahren nicht mehr möglich ist. Dabei kann es sich aber wohl nur um eine durchschnittliche Grenze handeln, die zum Beispiel dann überschritten werden kann, wenn der freigestellte Beamte in seinem früheren Amt Tätigkeiten ausgeübt hat, die auch über viele Jahre gleich geblieben wären. Man wird deshalb dem einzelnen Dienstherrn hinsichtlich der zeitlichen Obergrenze einen Beurteilungsspielraum zuerkennen müssen.
Damit ein Vergleich überhaupt notwendig wird, müssen sowohl der freigestellte Beamte als auch sein „normaler“ Konkurrent nicht nur die Laufbahnbefähigung, sondern auch das konstitutive Anforderungsprofil der begehrten Stelle erfüllen.
Die erste Möglichkeit bestünde darin, die Frage der Bestenauslese auf der Basis von Auswahlgesprächen, strukturierten Interviews oder von Assessmentverfahren zu beantworten (so etwa das OVG NRW v. 19.3.2019 – 1 B 1301/18 –; vgl. auch Baden, PersV 2019, 213ff.). Diese Methoden vermitteln aber stets nur einen kurzzeitigen Eindruck. Mit ihnen können wesentliche Eigenschaften (Leistungsabfall, Leistungssteigerung, dienstliches Verhalten, Arbeitsergebnisse etc.) nicht bewertet werden.
Eine weitere Alternative bestünde darin, lediglich Hilfskriterien wie Alter, Dienstalter, Geschlecht, Schwerbehinderung usw. bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen. Solche Hilfskriterien widersprechen aber schon im Grunde dem Leistungsprinzip des Art. 33 Abs. 2 GG.
Denkbar wäre weiterhin der Rückgriff auf ein deklaratorisches Anforderungsprofil, also auf bestimmte „Qualitätswünsche“ des Dienstherrn (Beispiele: besondere soziale Kompetenz, besonderes Engagement, diplomatisches Geschick etc.). Dies ist in Hinblick auf das Leistungsprinzip ebenfalls sehr bedenklich, weil dem keine Aussagekraft hinsichtlich der künftig konkret auszuübenden dienstlichen Tätigkeit zukommt. Solche Eigenschaften dürfen nach der Rechtsprechung des BVerfG außerdem bei Auswahlentscheidungen neben der dienstlichen Beurteilung wegen Art. 33 Abs. 2 GG nur berücksichtigt werden dürfen, wenn ihnen ein Verfassungsrang zukommt (BVerfG v. 24.5.1995 – 2 BvF 1/92 –).
Eine Bewertung der Tätigkeiten, die der Beamte während seiner Freistellung tatsächlich ausgeübt hat, scheidet für einen Leistungsvergleich schon deshalb aus, weil Personalräte ehrenamtlich tätig sind und der Dienstherr hieraus keine Rückschlüsse auf die „normalen“ dienstlichen Aufgaben ziehen kann.
Ein Ausschluss freigestellter Beamter von einem Auswahlverfahren wäre nach dem VGH Hessen (siehe oben) insbesondere dadurch zu vermeiden, dass dem Personalrat die Möglichkeit eingeräumt wird, den normalen Dienst zeitweise wiederaufzunehmen, um auf diese Weise eine taugliche Grundlage für eine Anlassbeurteilung der Leistung, Befähigung und insbesondere der fachlichen Leistungen zu schaffen (so auch BVerwG, Beschl. v. 25.6.2014 – 2 B 1/13 – PersV 2014, 458). Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass der freigestellte Personalrat über einen längeren Zeitraum hinweg keinen „normalen“ Dienst geleistet hatte und ihm der langjährige Erfahrungsschatz seiner Konkurrenten fehlt. Diesem Nachteil könnte dadurch begegnet werden, dass eine evtl. kurze Einführungszeit in die „normalen“ Dienstgeschäfte bei der Anlassbeurteilung berücksichtigt wird. Hiergegen spricht aber die Gefahr einer von Subjektivität beeinflussten Bewertung der dienstlichen Leistungen des freigestellten Beamten, welche wiederum zu einer Benachteiligung der weiteren Bewerber führen könnte. Außerdem können durch eine zeitlich beschränkte Erprobung – im Gegensatz zu einer dienstlichen Regelbeurteilung – entscheidende Positionen wie Leistungswille, anhaltende Leistungsfähigkeit usw. nicht über einen längeren Zeitraum hinweg beurteilt werden.
Trotz aller damit verbundenen Nachteile muss festgestellt werden: Die Wiedereingliederung in den Dienstbetrieb entspricht noch am ehesten den vom BVerwG festlegten Grundsätzen, denn danach hat eine Auswahl vorrangig aufgrund einer Beurteilung der dienstlichen Leistungen zu erfolgen (BVerwG v. 30.6.2011 – 2 C 19/10). Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) ist dabei nicht erkennbar, weil dieses Gebot durch das Leistungsprinzip des Art. 33 Abs. 2 GG bereits selbst konkretisiert wird.
Die notwendige Folge dieser Methode ist, dass der vom normalen Dienst freigestellte Beamte – nachdem ihm der Dienstherr mitgeteilt hat, eine fiktive Fortschreibung seiner früheren Beurteilung sei nicht mehr möglich – unverzüglich erklären muss, er sei bereit, seinen normalen Dienst (zeitweise) wiederaufzunehmen.
Gibt er eine solche Erklärung nicht ab, so ist er schon im Interesse einer zeitnahen Besetzung von öffentlichen Ämtern vom Auswahlverfahren auszuschließen.
Erklärt er sich dagegen zu einer Erprobung, die einen Mindestzeitraum von drei bis sechs Monaten umfassen sollte (Lorse, PersV 2020, 92ff.), bereit, so muss ihm sein Dienstherr einen Dienstposten übertragen, der ihm eine amtsangemessene Beschäftigung ermöglicht.
Als weitere Konsequenz ergibt sich hierbei, dass die bestmögliche und von den Beschäftigten durch die Wahl gewollte Vertretung gegenüber der Dienststelle für die Zeit der Wiederaufnahme des „normalen“ Dienstes durch den eigentlich freigestellten Beamten nicht möglich ist.
Fazit:
Der VGH Hessen berücksichtigt zwar die vom BVerwG festgelegte vorrangige Bewerberauswahl durch die dienstliche Beurteilung, es bleibt aber dennoch abzuwarten, wie ggf. sich das Bundesverwaltungsgericht und/oder das Bundesverfassungsgericht zu der Problematik äußern werden.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Lesen Sie hierzu die Beiträge:
Schrifttum:
Weiß/Niedermaier/Summer, Rn. 120b zu § 9 BeamtStG
Lexikon Beamtenrecht: Stichwort: Fiktive dienstliche Beurteilung
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