Liebe Leserin, lieber Leser,
in einer Reihe von Beiträgen hat sich das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln mit der Funktionsweise des Föderalismus in Deutschland beschäftigt. Übereinstimmendes Ergebnis der Studien war, dass die Kritik an der Blockadeanfälligkeit und der Ineffizienz der föderalen Politikverflechtung weitestgehend berechtigt ist.1
In diesem Beitrag soll nur auf einige Bereiche hingewiesen werden, bei denen Verbesserungen des föderalen Systems dringend erforderlich wären.
Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wurde mit großer Deutlichkeit bewiesen, dass das gegenwärtige föderale System krankt. Eine ständig wachsende Unzufriedenheit mit den politischen Entscheidungen – und den politischen Entscheidungsträgern – war offensichtlich. Der Anlass für diese völlig berechtigte Unzufriedenheit lag u.a. in der gegenwärtig bestehenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern.
Der Föderalismus war und ist für die notwendige Beschleunigung von Maßnahmen in besonderen Situationen ein „Klotz am Bein“.2
Das Ergebnis bei den Vorgaben zur Bekämpfung der Pandemie zeigte sich in einem völlig unübersichtlichen Flickenteppich von unterschiedlichen Maßnahmen. Im Vordergrund stand in den Augen der Öffentlichkeit nicht zuletzt ein Wettbewerb der Länder – und ihrer Ministerpräsidenten – um die richtige Anti-Corona-Politik und damit letztendlich um Wählerstimmen.
Ob Schulen, Friseure oder Baumärkte etc. geöffnet wurden oder nicht, ob es Ausgangssperren oder ob und wenn ja welche Testpflicht es gab, das wurde in Bayern anders geregelt als in NRW, Sachsen, Brandenburg, im Saarland oder in einem beliebigen sonstigen Bundesland.
Dieser Flickenteppich war selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel zu viel, als sie in der ARD-Sendung „Anne Will“ einige Länder kritisiert und bemängelt hatte, sie setzten die vereinbarten Beschlüsse zur Corona-Bekämpfung nicht um. Die unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Bestimmungen führten dabei nicht nur zu Verwirrung und Unsicherheit bei den Bürgern, sondern auch bei all denjenigen, welche die Vorgaben der Politik umzusetzen haben – und das ist nun einmal der öffentliche Dienst!
Eine weitere Folge des föderativen Systems waren der hohe Kosten- und Zeitaufwand bei der Bewältigung der Probleme. Ulrich Silberbach, der Vorsitzende des dbb sprach hier sehr anschaulich von einem unkoordinierten „Improvisationstheater“3.
Siehe dazu bereits den Beitrag:
Corona: Was lief falsch und was war positiv – eine Zwischenbilanz
Deutschland wird geradezu von gesetzlichen Regelungen überschwemmt. Es existieren aufgrund der unterschiedlichen Normsetzungskompetenzen tausende von Gesetzen und zigtausende von Vorschriften. Dazu kommen noch mindestens ebenso viele Verordnungen, Verwaltungs- und Auslegungsvorschriften, Zuständigkeitsregelungen usw.
Es hat schon lange den Anschein, als müsse in Deutschland jeder noch so selten vorkommender Sonderfall durch Gesetz geregelt werden.
Der durchschnittlich denkende Normalbürger stellt sich da völlig zu Recht die Frage: Muss das denn sein?
Ein erster Schritt wäre hier eine Neuinterpretation des sog. „Wesentlichkeitsgrundsatzes“ und eine Übertragung von Entscheidungskompetenzen in Detailfragen weg vom Gesetzgeber und hin zur Verwaltung. Einen wichtigen ersten Schritt in die richtige Richtung ging der BayVGH (Urteil v. 14.11.2018 – 3 BV 16.2072) als auch – in abgeschwächter Form – das BVerwG (Urteil v. 14.5.2020 – 2 C 13/19 – ZBR 2020, 426).
Siehe dazu bereits den Beitrag:
Tätowierungsverbot: Bayerische Lösung als Vorbild für den Bund
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Normen stellt sich der Bürger auch deshalb mit Recht, weil etwa beim Bund und in jedem Bundesland – also insgesamt 17-mal – zum Beispiel das Verwaltungsverfahren (VwVfG), die Zustellung von Entscheidungen (VwZG) und die Vollstreckung (VwVG) nahezu wortgleich geregelt werden. Im Sozialrecht und im Steuerrecht bestehen ebenfalls Regelungen, die mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht identisch sind.
Nimmt man etwa die 17-fache wortgleiche Definition des Verwaltungsakts (§ 35 VwVfG), so ergeben sich noch zusätzlich wortgleiche Regelungen im Steuerrecht (§ 118 AO und im Sozialrecht (§ 38 SGB X) – also 19 völlig übereinstimmende Bestimmungen!
Die Beispiele für die völlig sinnlosen Mehrfachregelungen ließen sich noch lange fortführen!
Die Gesetze müssen jeweils beschlossen, erlassen und verkündet werden – und das kostet Geld und damit Steuermittel – also unser Geld, das Geld der Steuerzahler.
In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass in Deutschland, u.a. wegen der sog. „Überhangmandate“ mittlerweile 1879 Abgeordnete in den Landtagen4 und 709 Bundestagsabgeordnete „tätig“ sind.
Wir leisten uns also derzeit 2588 Abgeordnete in Deutschland!
Würde da nicht auch die Hälfte genügen?
Asterix würde hierzu jedenfalls bemerken: „Die spinnen, die Deutschen!“
Eine der Änderungen bei der sog. „Föderalismusreform“ betraf unglücklicherweise auch das Recht des öffentlichen Dienstes. Die Besoldung und Versorgung der Beamten waren früher einheitlich im Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) und im Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) für alle Beamten gleich geregelt. Das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG), das für eine grundsätzliche Vereinheitlichung der landesrechtlichen Regelungen zum Statusrecht sorgen sollte, ist aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) entfallen und besitzt nur mehr in engen Randbereichen eine Aussagekraft.
An die Stelle der früheren einheitlichen Vorschriften für die Besoldung, die Versorgung und das Laufbahnrecht sowie an die Stelle des für eine Vereinheitlichung des Statusrechts verantwortliche BRRG trat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG die (konkurrierende) Gesetzgebungsbefugnis des Bundes zur Regelung der Statusrechte und der statusrechtlichen Pflichten der Beamten von Ländern, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts – „mit Ausnahme des Laufbahnrechts, der Besoldung und der Versorgung“.
Gegenwärtig bestehen damit je ein Bundes- und 16 Landesgesetze für
Damit existieren für diese grundsätzlichen Regelungsbereiche allein 68 (!) Gesetze unterschiedlichen Inhalts. Dazu kommen neben dem Beamtenstatusgesetz noch zahllose Regelungen, wie zum Beispiel zum Reise- und Umzugskostenrecht, Urlaubsrecht, Beihilferecht usw. usw. usw. ………………………….
Jetzt können die einzelnen Länder also selbst bestimmen, wie viel ihre Beamten verdienen, in welcher Höhe sie nach ihrem aktiven Dienst Pensionen beziehen und welche (vereinfachten) Beförderungsschranken zu bewältigen sind. Dies führte etwa zu einem völligen Durcheinander der Laufbahnsysteme, von der „Einheitslaufbahn“ in Bayern, über ein Zweistufensystem in den Norddeutschen Küstenländern bis hin zu früher einheitlichen - und bestens bewährten -Gliederung in den einfachen, mittleren gehobenen und höheren Dienst, wie sie etwa immer noch bei den Bundesbeamten besteht.
Auch die Dauer der regelmäßigen Probezeit ist jetzt völlig unterschiedlich geregelt. Während man in Bayern bereits nach zwei Jahren Bewährung Lebenszeitbeamter wird, dauert dies beim Bund und in anderen Ländern drei Jahre.
Ziel der Föderalismusreform war es unter anderem, eine bessere Mobilität der Beamten zwischen den einzelnen Bundesländern untereinander, aber auch von und zum Bund zu schaffen. Genau das Gegenteil trat ein. Die Beamten und die Dienstherrn in den finanzstarken Bundesländern profitierten von der Reform, die finanzschwachen Länder schauen „mit dem Ofenrohr“ hinterher. Die Folge ist natürlich, dass ein Bewerber einer Einstellung in ein bayerisches Beamtenverhältnis den Vorzug gegenüber einer Ernennung im Saarland gibt, zumal hier der berufliche Aufstieg durch die Einführung der durchgängigen „Leistungslaufbahn“ und der „Modularen Qualifizierung“ wesentlich erleichtert wird.
War da die frühere Regelung nicht doch die bessere bzw. gerechtere? Überlegt man sich denn nicht als Beamter, lieber in ein „finanzstarkes“ Bundesland zu wechseln, wenn man dort de facto – bei der im Großen und Ganzen gleichen Tätigkeit – mehr verdienen kann, schneller die gesicherte Rechtsstellung eines Lebenszeitbeamten erhält und dazu noch wesentlich bessere (weil leichtere) Aufstiegsmöglichkeiten besitzt als in einem der „finanzschwachen“ Länder?
Immer, wenn sich aus Bundestagswahlen keine „gewünschten“ Mehrheiten ergaben, war das Ergebnis solcher politischer Konstellationen eine „Große Koalition“. Die dann (früher) in der Regel vorliegende „Zwei-Drittel-Mehrheit“ versetzte die Regierung nach Art. 79 GG in die Lage, solche verfassungsrechtliche Grundlagen zu ändern, die sich seit 1949 mit unserem Grundgesetz aufs Beste bewährt hatten.
Große Koalitionen kommen und gehen – die Grundgesetzänderung bleibt!
Auch wenn sie nicht nötig oder sogar kontraproduktiv war!
Fazit:
Der Föderalismus in der durch das Grundgesetz festgelegten Form hat dort seine Berechtigung, wo es darum geht, regional spezifische Eigenheiten zu regeln. Wo schnelle und einheitliche Vorgaben erforderlich oder zumindest förderlich sind, muss diese gegenwärtige Form der Kompetenzverteilung aber im Interesse der Allgemeinheit zumindest „überdacht“ werden.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Lesen Sie dazu auch die Beiträge mit dem Titel:
Tätowierungsverbot: Bayerische Lösung als Vorbild für den Bund
Corona: Was lief falsch und was war positiv – eine Zwischenbilanz
Einführung einer „Leistungslaufbahn" mit vier Qualifikationsebenen
Der nächste Beitrag in dieser Reihe erscheint nach den Sommerferien im September.
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