Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wie die FAZ1 meldete, sind in der Türkei mittlerweile 100.000 Beamte entlassen worden – von heute auf morgen – ohne Angabe von Gründen und ohne die Möglichkeit, gerichtlichen Schutz zu erhalten.
Dabei gilt es zu bedenken:
Beamte können in der Türkei streiken – das schützt sie aber gerade nicht vor willkürlichen Entlassungen. In Deutschland dürfen Beamte nicht streiken, sie sind aber vor der ungerechtfertigten Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses durch das Grundgesetz (Art. 33 Abs. 5 GG) und durch unseren Rechtsstaat geschützt.
Die Debatte in Richtung Streikrecht für deutsche Beamte wurde ausgelöst durch die Entscheidung des EGMR zu einem türkischen Fall.2 Aus der Entscheidung wurde die Meinung abgeleitet, dass das nationalrechtliche Streikverbot durch das Gemeinschaftsrecht auf Beamte beschränkt sei, die im hoheitlichen Bereich tätig sind und dass damit Beamtinnen und Beamte, die im nichthoheitlichen Bereich tätig sind (insbesondere Lehrer), das Streikrecht hätten (so VG Kassel vom 27.7.20113 und VG Düsseldorf vom 15.12.20104. Die letztzitierte Entscheidung ist etwa durch das OVG Münster – Entscheidung vom 7.3.2012 – mit guter Begründung aufgehoben worden.5
Dazu gilt:
Das Streikrecht für Beamte ist mit der Rechtsstellung des Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG und seinem Recht, eine nicht amtsangemessene Besoldung oder Versorgung vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, nicht vereinbar. Das Ergebnis wäre eine Überprivilegierung der deutschen Beamten und dies kann nicht der Inhalt des Art. 11 EMRK sein.
Grund:
Während streikende Arbeitnehmer sich in einem grundsätzlich kündbaren Arbeitsverhältnis befinden, werden Beamte nach der Verfassung vor der Beendigung ihrer Dienstverhältnisse ohne gesetzlichen Grund geschützt. Dies gilt unabhängig davon, welchen Tätigkeitsbereich ein Beamter ausübt. Jetzt soll das Streikrecht aber gerade Beamten zustehen, die im „Leistungsbereich“ tätig sind.
Das aus Art. 33 Abs. 5 GG folgende statusabhängige Streikverbot für Beamte lässt aber keine Differenzierung nach der Art der übertragenen Aufgaben zu. Eine funktionsbezogene Differenzierung nach Leistungs- und Eingriffsverwaltung kennt das deutsche Beamtenrecht jedenfalls nicht6, denn das Berufsbeamtentum ist in seiner Gesamtheit – im Gegensatz zum privatrechtlichen Arbeits- oder Dienstverhältnis – nicht vom Grundsatz der Gleichordnung, sondern vom Grundsatz einer Über- und Unterordnung geprägt.
Zudem sieht das deutsche Beamtenrecht in seiner Gesamtheit an keiner Stelle eine solche funktionsbezogene Differenzierung vor, selbst wenn Angestellte und Beamte dieselben Auf-gaben wahrnehmen. Dem kann als weiteres Argument hinzugefügt werden, dass ein Beamter selbst innerhalb ein und derselben Verwaltung oft durch Umsetzung vom Leistungs- in den Eingriffsbereich wechselt und umgekehrt und in vielen Fällen übt ein Beamter in seinem Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten) sowohl verwaltende Tätigkeiten der Daseinsvorsorge, als auch Tätigkeiten im Bereich der Eingriffsverwaltung aus.
Beispiel:
Ein Beamter der Bauverwaltung erteilt zum einen Baugenehmigungen = Leistungsverwaltung, zum anderen verfügt er Baubeseitigungsanordnungen = Eingriffsverwaltung.
Das Streikverbot bzw. Streikrecht nach Funktionen aufzuspalten wäre auch insofern sinnwidrig und kontraproduktiv.
Außerdem gilt: Während bei tarifrechtlichen Arbeitskämpfen eine Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen Grundlagen von Streikmaßnahmen sind, die dann im Abschluss neuer Tarifverträge münden, werden die Besoldung und die Arbeitsbedingungen der Beamten in langer Tradition gesetzlich geregelt. Ein Streik gegen den Gesetzgeber ist von einem Streik gegen den Staat als privatrechtlichen Arbeitgeber verfassungsrechtlich zu unterscheiden.
Folge:
Würde man den Arbeitskampf im Beamtenbereich also für verfassungskonform erachten, so würde dadurch letztendlich dem politischen Streik zum Durchbruch verholfen werden.
Die ungeschmälerte Erfüllung der Dienstpflichten ist sowohl in Hinblick auf das Interesse des Bürgers, als auch unter der Berücksichtigung der vollen Hingabe zum Beruf von Verfassungs wegen als gesichert anzusehen. Gegenstimmen haben ihren Hintergrund im gewerkschaftlichen Umfeld und verfolgen allenfalls das Ziel, gewerkschaftliche Macht zu vergrößern.
Dazu besteht eine weitere Gefahr:
Selbst wenn man definieren könnte, welche Aufgabenfelder der Verwaltung zum Leistungsbereich gehören und in diesen Bereichen ein Streikrecht für rechtmäßig erachten würde, so ließe sich dieses teilweise Streikrecht auch dadurch verwirklichen, dass man hier auf eine Verbeamtung der Beschäftigten künftig eben generell verzichtet (siehe etwa den Lehrerbereich in Sachsen oder Berlin mit den bekannten fatalen Folgen!).
Will man also türkische Verhältnisse schon vom Ansatz her vermeiden, so muss man es nach unserem – bestens bewährten – Rechtssystem bei einem Streikverbot für Beamte belassen.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
2 Fall Enerji Yapi-Yol Sen, NVwZ 2010, 1018.
3 ZBR 2011, 385 ff.
4 ZBR 2011, 177.
5 ZBR 2012, 170.
6 OVG Münster vom 7.3.2012, Az.: 3d A 317/11.O – juris.
Lesen Sie dazu auch die Beiträge:
Literaturhinweis:
Weiß/Niedermaier/Summer, § 1 BeamtStG, Rn. 95
Gerne können Sie auch unser Kontaktformular benutzen und wir melden uns bei Ihnen.
Kontaktformular