216 | Als Kündigungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, seine Vertreter und Repräsentanten, Vorgesetzte und Kollegen (BAG vom 29.8.2013 – 2 AZR 419/12 – NZA 2014, 660; vom 18.12.2014 – 2 AZR 265/14 – ZTR 2015, 405), die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG vom 5.12.2019 – 2 AZR 240/19 – NZA 2020, 646). Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können – etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen – die Rechte eines Arbeitgebers in schwer wiegender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit infrage stellen (BAG vom 27.9.2012 – 2 AZR 646/11 – AP Nr. 240 zu § 626 BGB). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nämlich nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst (BVerfG vom 25.10.2012 – 1 BvR 901/11 – NJW 2013, 217). Auch leichtfertig falsche Anschuldigungen gegen Vorgesetzte oder Kollegen wiegen schwer. Der Grad der Vorwerfbarkeit kann jedoch durch die subjektive Überzeugung des Arbeitnehmers von deren Berechtigung ein geringerer sein (BAG vom 11.7.2013 – 2 AZR 994/12 – NZA 2014, 250). |
217 | Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen dagegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG vom 25.10.2012, a.a.O.; vom 8.5.2007 – 1 BvR 193/05 – NJW 2008, 358; BAG vom 18.12.2014 – 2 AZR 265/14 – a.a.O.; vom 5.12.2019 – 2 AZR 240/19 – a.a.O.). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht. Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt (BAG vom 29.8.2013, a.a.O.). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist (BAG vom 5.12.2019, a.a.O.). Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (BAG vom 18.12.2014 – 2 AZR 265/14 – a.a.O.). |
217.1 | Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkomplex, in dem sie steht. Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Gilt für Meinungsäußerungen – insbesondere im öffentlichen Meinungskampf – bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden, eine Vermutung zugunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BAG vom 18.12.2014 – 2 AZR 265/14 – a.a.O. – zu einer Kündigung einer bei einem Landkreis beschäftigten Arbeitnehmerin wegen Äußerungen über einen Repräsentanten des Arbeitgebers im Wahlkampf). |
218 | Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt und polemisch äußern (BAG vom 27.9.2012, a.a.O.; vom 7.7.2011 – 2 AZR 355/10 – NZA 2011, 1412; vom 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 – ZTR 2016, 341; vom 5.12.2019 – 2 AZR 240/19 – NZA 2020, 646). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (BAG vom 29.8.2013, a.a.O.). |
220 | In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen (BAG vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08 – NZA 2010, 698; vom 27.9.2012, a.a.O.; vom 19.11.2012 – 2 AZR 217/15 – ZTR 2016, 341; vom 5.12.2019 – 2 AZR 240/19 – NZA 2020, 646). Dabei ist die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend; auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (LAG Rheinland-Pfalz vom 24.7.2014 – 5 Sa 55/14 – juris). Bei der rechtlichen Würdigung sind allerdings die Umstände zu berücksichtigen, unter denen diffamierende oder ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte und/oder Kollegen gefallen sind. Geschah dies in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen, vermögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen. Es gilt nämlich der Erfahrungssatz, dass angreifbare Bemerkungen über Vorgesetzte, die im – kleineren – Kollegenkreis erfolgen, in der sicheren Erwartung geäußert werden, sie würden nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen (BAG vom 10.12.2009, a.a.O.). |
222 | Auch beleidigende Äußerungen im Internet, etwa in sozialen Netzwerken wie Facebook, können eine Kündigung rechtfertigen (LAG Hamm vom 10.10.2012 – 3 Sa 644/12 – LAGE § 22 BBiG 2005 Nr. 4. |
223 | Sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz rechtfertigen – auch ohne vorhergehende Abmahnung – regelmäßig eine Kündigung, und zwar unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 AGG erfüllt sind oder nicht (BAG vom 25.3.2004 – 2 AZR 341/03 – NZA 2004, 1214; vom 9.6.2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; vom 29.6.2017 – 2 AZR 302/16 – ZTR 2017, 613; LAG Hessen vom 27.2.2012 – 16 Sa 1357/11 – NZA-RR 2012, 471). |
223.1 | Eine sexuelle Belästigung i. S. von § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Bereits eine einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweise kann den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweisen objektiv erkennbar war (BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 294; vom 29.6.2017, a.a.O.). |
223.2 | Der bei der Prüfung einer Kündigung zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Verbot sexueller Belästigungen im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen – wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Geeignet i. S. der Verhältnismäßigkeit sind nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, d. h. eine Wiederholung ausschließen (BAG vom 20.11.2014 – a.a.O.; vom 29.6.2017, a.a.O.). |
223.3 | Auch der sexuelle Missbrauch eines Kindes durch einen Lehrer im dienstlichen Bereich rechtfertigt eine Kündigung (BAG vom 23.10.2014 – 2 AZR 865/13 – ZTR 2015, 226; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 7.3.2017 – 5 Sa 79/16 – ZTR 2017, 556). |
224 | Bedrohungen und körperliche Angriffe auf den Arbeitgeber, Vorgesetzte, Kollegen, Untergebene, Kunden rechtfertigen i. d. R. ohne vorhergehende Abmahnung die verhaltensbedingte Kündigung. Dabei ist zu beachten, dass im Fall einer erheblich verschuldeten Vertragspflichtverletzung wie einer Tätlichkeit unter Arbeitskollegen eine Versetzung oder Umsetzung dem Arbeitgeber grundsätzlich nicht zumutbar ist (BAG vom 6.10.2005 – 2 AZR 280/04 – ZTR 2006, 340; vgl. auch LAG Niedersachsen vom 27.9.2002 – 10 Sa 626/02 – NZA-RR 2003, 76, wonach eine Tätlichkeit gegenüber dem Arbeitgeber die Kündigung auch eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers rechtfertigt, weil dieser dadurch zeigt, dass er den Arbeitgeber missachtet und dessen Autorität untergräbt). |
224.1 | Eine Drohung kann eine Kündigung unabhängig davon rechtfertigen, ob der Arbeitnehmer den Arbeitgeber mittels ihrer zu einer bestimmten Handlung, Duldung oder Unterlassung bestimmen will. Allerdings kann eine solche Intention das Gewicht der Bedrohung weiter verstärken (BAG vom 29.6.2017 – 2 AZR 47/16 – ZTR 2018, 43). |
225 | Entsprechendes gilt für sog. Stalking: Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Betrieb oder im Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit nach, kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung (§ 238 StGB) an, sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens (BAG vom 19.4.2012 – 2 AZR 258/11 – ZTR 2012, 275). |
226 | Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener, streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein erheblicher, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (BAG vom 8.5.2014 – 2 AZR 249/13 – NZA 2014, 1258; vom 13.5.2015 – 2 AZR 531/14 – DB 2015, 2581; vom 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 – ZTR 2016, 341). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt (BAG vom 5.12.2019 – 2 AZR 240/19 – NZA 2020, 646). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder einer bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (BAG vom 8.5.2014 – 2 AZR 249/13 – BB 2014, 2803). |
226.1 | Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten stellt als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung dar. Dies kann u. a. dann anders zu beurteilen sein, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist (BAG vom 15.12.2016 – 2 AZR 42/16 – ZTR 2017, 434). Eine unverhältnismäßige, die vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzende Reaktion kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer einen Strafantrag stellt, weil er sich selbst als durch eine Straftat verletzt fühlt. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Vorwurf, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht worden, völlig haltlos ist. Die Pflichtverletzung ist in einem solchen Fall schuldhaft und damit vorwerfbar, wenn dem Arbeitnehmer die Haltlosigkeit des Vorwurfs erkennbar war (BAG vom 15.12.2016, a.a.O.). |
226.2 | Der Arbeitnehmer ist nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden (BAG vom 1.6.2017 – 6 AZR 720/15 – ZTR 2017, 687). Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens und der Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation. Deshalb muss der Arbeitgeber z. B. unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen (vgl. BAG vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08 – NZA 2010, 698). Ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten kann abhängig von den Umständen des Falls einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG vom 13.4.2000 – 2 AZR 259/99 – ZTR 2000, 562). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens bewirkt hat. Bewirkt die Geschäftsführerin eines Vereins durch gezieltes Einwirken auf Vereinsmitglieder die Abwahl des Vereinsvorsitzenden oder des gesamten Vorstands, wird der Vereinsfriede hierdurch erheblich gestört (BAG vom 1.6.2017, a.a.O.). |