UPR - Online (seit 2006) 2020 Heft 6.2020 Eintritt der Bekanntgabefiktion des § 41 Abs. 4 BWVwVfG – Amtliche Veröffentlichungen im Internet II. Stellungnahme

1.Regelungsgehalt der §§ 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, 19 Abs. 2 BImSchG

Zu folgen ist dem VGH Mannheim zunächst jedoch im Ausgangspunkt darin, dass eine mögliche Auslegung von § 21a Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. der 9. BImSchV nicht in Widerspruch zu den §§ 10 Abs. 7 und 8, 19 Abs. 2 BImSchG geraten darf.1 Diese bundesgesetzlichen Vorschriften markieren also den äußeren Rahmen für eine noch zulässige Interpretation von § 21a Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. der 9. BImSchV.2 Eine die Rechtsbehelfsfrist auslösende Bekanntmachung der Entscheidung im vereinfachten Verfahren wäre demgemäß jedenfalls dann nicht widerspruchsfrei begründbar, wenn durch die in § 19 Abs. 2 BImSchG angeordnete Nichtanwendbarkeit der Regelungen des § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, Abs. 8 BImSchG eine Bekanntmachung der Entscheidung im nichtförmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren abschließend ausgeschlossen ist.3 Ebenso zutreffend ist die Feststellung des VGH Mannheim, dass § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, Abs. 8 BImSchG eine obligatorische Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung der Entscheidung zusätzlich zur nach § 10 Abs. 7 Satz 1 BImSchG erforderlichen Zustellung an die Einwender oder ersatzweise für diese normiert.4 Der Regelungsgehalt von § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, Abs. 8 BImSchG erschöpft sich also entgegen dem VG Minden5 nicht (allein) in der Normierung einer die Zustellung gegenüber den Personen, die Einwendungen erhoben haben, ersetzenden öffentlichen Bekanntmachung der Entscheidung.

Soweit der VGH Mannheim dann jedoch aus der für das vereinfachte immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren in § 19 Abs. 2 BImSchG angeordneten Nichtanwendbarkeit der Regelungen zur obligatorischen Bekanntmachung gemäß § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, Abs. 8 BImSchG schlussfolgert, im nichtförmlichen Verfahren sei lediglich eine zwingende öffentliche Bekanntmachung nicht vorgesehen, womit die Möglichkeit einer freiwilligen öffentlichen Bekanntmachung der Entscheidung auf Antrag des Genehmigungsantragstellers fortbestehen bleibe,6 überzeugt dies nicht. Denn auch wenn der Wortlaut der §§ 19 Abs. 2, 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, Abs. 8 BImSchG einer solchen Gesetzesinterpretation nicht ausdrücklich entgegensteht, dürfte der Annahme des Bestehens einer (gewollten) – durch die subsidiäre Anwendung von § 41 Abs. 4 BWVwVfG zu schließenden – Regelungslücke bereits entgegenstehen, dass der Gesetzgeber das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren mit § 10 BImSchG und der darauf gestützten 9. BImSchV abschließend regeln wollte.7

Zudem spricht aus systematischer Sicht gegen die vom VGH Mannheim unterstellte Regelungslücke, dass § 19 Abs. 2 BImSchG im vereinfachten Verfahren nicht lediglich die Anwendbarkeit von § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3 sondern auch von § 10 Abs. 8 BImSchG ausschließt. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich allein die obligatorische öffentliche Bekanntmachung im vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ausschließen wollen, wäre es aber vollkommen ausreichend gewesen, die Anwendung von § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3 BImSchG zu suspendieren.

Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, der Gesetzgeber habe für das vereinfachte Genehmigungsverfahren ebenso die Zustellungsfiktion gemäß § 10 Abs. 8 Satz 5 BImSchG ausschließen wollen und deshalb zugleich § 10 Abs. 8 BImSchG für nicht anwendbar erklärt.8 Zum einen ergibt sich ein Regelungskonflikt bereits dadurch, dass § 19 Abs. 2 BImSchG die Norm des § 10 Abs. 8 BImSchG insgesamt für nicht anwendbar erklärt, während § 21a Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV für die nach dieser Vorschrift erfolgten öffentlichen Bekanntmachungen die entsprechende Anwendung der Sätze 2 und 3 von § 10 Abs. 8 BImSchG anordnet. Zum anderen überzeugt auch die Annahme nicht, der Gesetzgeber habe im vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zwar eine Zustellungsfiktion gemäß § 10 Abs. 8 Satz 5 BImSchG, nicht jedoch eine Bekanntgabefiktion gemäß § 41 Abs. 4 BWVwVfG ausschließen wollen. Denn für Drittbetroffene ist es ohne praktische Bedeutung, ob eine mögliche Rechtsbehelfsfrist infolge einer Zustellungs- oder infolge einer Bekanntgabefiktion zu laufen beginnt. In beiden Fällen wird der Drittrechtsschutz erheblich eingeschränkt, weil Rechtsschutz nach Ablauf der regelmäßigen Rechtsbehelfsfrist nur noch in Ausnahmefällen9 möglich ist. Daher scheint es naheliegend, dass der Gesetzgeber durch die in § 19 Abs. 2 BImSchG angeordnete Nichtanwendbarkeit auch von § 10 Abs. 8 BImSchG jegliche Bekanntgabefiktion im vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ausschließen wollte. Der Wortlaut von § 19 Abs. 2 BImSchG steht einem Gesetzesverständnis, wonach eine öffentliche Bekanntmachung der Entscheidung im vereinfachten Verfahren generell und abschließend ausgeschlossen sein soll, ebenso wenig entgegen.

1

VGH Mannheim, Beschl. v. 7.3.2019, Az.: 10 S 2025/18, NVwZ-RR 2019, 713 (714) Rn. 8.

2

Albrecht/Zschiegner, UPR 2019, 134 (139).

3

Dies verneint der VGH Mannheim, Beschl. v. 7.3.2019, Az.: 10 S 2025/18, NVwZ-RR 2019, 713 (714) Rn. 8.

4

VGH Mannheim, Beschl. v. 7.3.2019, Az.: 10 S 2025/18, NVwZ-RR 2019, 713 (714) Rn. 9; vgl. dazu auch Albrecht/Zschiegner, UPR 2019, 134 (139 ff.).

5

VG Minden Beschl. v. 22.5.2017, Az.: 11 L 2085/16, ZNER 2017, 226; ähnlich Kerkmann, ZNER 2016, 38 (39) wonach § 10 Abs. 7 Sätze 2 und 3, Abs. 8 BImSchG nur die Bekanntmachung mit Zustellungsfiktion regeln.

6

VGH Mannheim, Beschl. v. 7.3.2019, Az.: 10 S 2025/18, NVwZ-RR 2019, 713 (714) Rn. 10; ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 8.8.2019, Az.. 1 B 439/18, BeckRS 2019, 17813 Rn. 12.

7

Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 28.9.2016, Az.: 7 C 1/15, NVwZ-RR 2017, 229 (230) Rn. 14 speziell zum UVP-Recht.

8

In diesem Sinne Kerkmann, ZNER 2016, 38 (39); VG Minden, Beschl. v. 22.5.2017, Az.: 11 L 2085/16, ZNER 2017, 226.

9

Zu denken ist an ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG.