Kindergeldanspruch bei Erkrankung des Kindes

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Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31.08.2021, III R 41/19, DStR 2022, 251

Mit Urteil vom 31.08.2021, III R 41/19, DStR 2022, 251, hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass

  1. eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung wegen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a) Einkommensteuergesetz (EstG) ausscheide, sobald ein Kind sein Ausbildungsverhältnis krankheitsbedingt nicht nur unterbrochen, sondern abgebrochen habe; als Beispiele werden die Abmeldung von der (Hoch-)Schule oder die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses genannt.

  2. wenn ein Kind krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, sich ernsthaft um eine Ausbildungsstelle zu bemühen oder sie zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn anzutreten, es nur dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG berücksichtigt werden könne, wenn es sich um eine vorübergehende Erkrankung handele und die im Anspruchszeitraum bestehende Ausbildungswilligkeit nachgewiesen werde.

  3. von einer vorübergehenden Erkrankung auszugehen sei, wenn sie im Hinblick auf die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate andauere.

Der BFH begründet seine Entscheidung damit, dass Ausbildungsmaßnahmen zwar einerseits durch eine Einschreibung an einer Schule oder Hochschule oder einen Ausbildungsvertrag mit einem Ausbildungsbetrieb indiziert würden. Andererseits genüge aber das rein formale Bestehen eines Ausbildungsverhältnisses nicht, wenn es an ernsthaften und nachhaltigen Ausbildungsmaßnahmen fehle. Soweit Anhaltspunkte dafür bestünden, dass das Kind seinem gewählten Ausbildungsgang nicht ernsthaft und hinreichend nachgehe, liege keine Berufsausbildung vor. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz habe der BFH für den Fall zugelassen, dass die Ausbildung unter anderem infolge einer Erkrankung unterbrochen werde. Vorausgesetzt worden sei jedoch, dass das Kind einen Ausbildungsplatz habe und ausbildungswillig sei. Sei das Ausbildungsverhältnis beendet worden, indem das Kind z.B. von der Schule abgemeldet oder der Ausbildungsvertrag einvernehmlich aufgehoben oder einseitig gekündigt worden sei, fehle es schon am formalen Fortbestehen eines Ausbildungsverhältnisses. Die tatsächliche Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen sei dann nicht mehr wegen der Erkrankung, sondern wegen des Wegfalls des Ausbildungsverhältnisses ausgeschlossen. Dementsprechend komme eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a) EStG nicht mehr in Betracht, soweit eine Ausbildung infolge einer Erkrankung nicht nur unterbrochen, sondern abgebrochen worden sei.

Wenn ein Kind aus Krankheitsgründen gehindert sei, sich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben oder diesen im Falle der erfolgreichen Bewerbung zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn anzutreten, komme, so der BFH weiter, eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. c) EStG nur unter eingeschränkten Voraussetzungen in Betracht. Zunächst müsse es sich regelmäßig um eine vorübergehende Krankheit handeln. Dieses Erfordernis ergebe sich aus der Notwendigkeit, die von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG erfassten Fälle von den unter § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG (volljährige Kinder mit Behinderung) fallenden Fällen abzugrenzen. Letztere Bestimmung erfordere zum einen eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung, die nach der maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch eine mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate dauernde Beeinträchtigung voraussetze. Zweck dieses Kriteriums sei es, vorübergehende Gesundheitsstörungen aus dem Behinderungsbegriff auszuschließen und damit nur Beeinträchtigungen eines bestimmten Schweregrades zu erfassen. Zum anderen würden behinderte Kinder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nur dann berücksichtigt, wenn sie außerstande seien, sich selbst zu unterhalten, was eine Prüfung des Bedarfs des Kindes und der diesem zur Verfügung stehenden Mittel erfordere. Insoweit lasse sich der gesetzgeberische Wille erkennen, dass bei einer nicht nur vorübergehenden Erkrankung des Kindes eine typische Unterhaltssituation, die zur steuerlichen Berücksichtigung des Kindes führe, nicht allein aufgrund der Erkrankung angenommen werden dürfe, sondern darüber hinaus die Feststellung eines konkreten Unterhaltsbedarfs erforderlich sei. Diese Wertung des Gesetzgebers würde aber umgangen, wenn längerfristig erkrankte Kinder auch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfasst werden könnten, ohne dass eine solche Bedarfsprüfung stattfinde. Gerade bei längerfristig erkrankten Kindern sei es nicht ausgeschlossen, dass Sozialleistungen in Anspruch genommen würden, die einen Unterhaltsbedarf ausschließen könnten. Würden die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz oder die Aufnahme einer Ausbildung daher durch eine Krankheit verhindert, dürfe die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG berücksichtigungsfähige gesundheitliche Beeinträchtigung regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate andauern. Dabei sei – um den Gleichlauf mit der Feststellung einer Behinderung zu gewährleisten – nicht die (rückblickend) seit Beginn der Erkrankung oder gar seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung tatsächlich abgelaufene Zeit, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung maßgebend.  Zur Beurteilung dieser Frage sei eine Prognose zur Entwicklung der Funktionsbeeinträchtigung zu stellen. Des Weiteren sei erforderlich, dass die Ausbildungswilligkeit des Kindes für den entsprechenden Anspruchszeitraum nachgewiesen werde; diesbezüglich verweist der BFH auf frühere Rechtsprechung.

Im Verhältnis zur Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG) ist festzustellen, dass der BFH klarstellt, dass aus einem Abbruch des Ausbildungsverhältnisses stets auf einen Wegfall der Berücksichtigungsfähigkeit nach § 32 abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a) EStG zu schließen ist. Dies ergibt sich aus den einschlägigen Ausführungen unter A 15.11 Abs. 1 DA-KG nicht bzw. nicht direkt. Auch und insbesondere die Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit auf Erkrankungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate andauern, geht über die – insoweit großzügigeren – Regeln der genannten DA hinaus, die lediglich nach Ablauf von jeweils sechs Monaten eine neue Bescheinigung des behandelnden Arztes vorsieht.

Auch im Verhältnis zu A 17.2 Abs. 1 DA-KG bezüglich der Berücksichtigung von Kindern ohne Ausbildungsplatz geht die Beschränkung der Berücksichtigungsfähigkeit auf Erkrankungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate andauern, über die – insoweit ebenfalls großzügigeren Regelungen – der DA hinaus, die wiederum lediglich nach jeweils sechs Monaten neue Bescheinigungen des behandelnden Arztes voraussetzt. Hinsichtlich der Nachweisführung der Ausbildungswilligkeit führt der BFH zudem aus, dass etwa die von der Verwaltung geforderte schriftliche Erklärung, sich unmittelbar nach Wegfall der gesundheitlichen Hinderungsgründe um eine Berufsausbildung zu bemühen, sie zu beginnen oder fortzusetzen in Betracht komme. Allerdings lasse der Untersuchungsgrundsatz keine Beschränkung auf dieses Beweismittel zu. Denkbar seien daher auch andere Nachweise, etwa dergestalt, dass das Kind während der Erkrankung mit der früheren Ausbildungseinrichtung in Kontakt getreten sei und sich konkret über die (Wieder-)Aufnahme der Ausbildung nach dem voraussichtlichen Ende der Krankheit informiert habe. Ebenso sei denkbar, dass das Kind sich an eine neue Ausbildungseinrichtung oder die Ausbildungsvermittlung der Agentur für Arbeit mit dem Ziel gewandt habe, eine Ausbildung zwar noch nicht zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn – dann wäre es schon unabhängig von der Erkrankung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, wenn es die angebotene Stelle dann antreten könnte –, aber doch jedenfalls nach dem Ende der Erkrankung aufzunehmen. Regelmäßig nicht ausreichen werde es dagegen, wenn der oder die Kindergeldberechtigte die Familienkasse zunächst unter Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nicht über den krankheitsbedingten Abbruch einer Ausbildung oder der Bemühungen um eine Ausbildungsstelle informiere, der Familienkasse damit die Möglichkeit der zeitnahen Anforderung eines Nachweises der Ausbildungswilligkeit nehme und die Ausbildungswilligkeit des volljährigen Kindes erst im Nachhinein rückwirkend pauschal behaupte. Denn in einem solchen Fall könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Kind während der Erkrankung seinen Ausbildungswillen aufgegeben und sich z.B. für die Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit oder eines Freiwilligendienstes entschieden habe.

Bis zur Veröffentlichung dieses BFH-Urteils oder der Erteilung neuer Weisungen des BZSt sind die Vorgaben der einschlägigen DA-KG zur krankheitsbedingten Unterbrechung von den Familienkassen weiterhin zu beachten. Die einengende Auslegung des BFH ist bis dahin in vergleichbaren Fällen nicht anzuwenden.

Thorsten Weinhold

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