Liebe Leserin, lieber Leser,
ich weiß natürlich nicht, ob Julian Nagelsmann einen Firmenwagen gestellt bekommt, geschweige denn, ob er diesen, wenn es so ist, in der Zeit der Arbeitsfreistellung weiter nutzen kann. Allerdings ist in der letzten Zeit in der Praxis die Frage aufgekommen, wie denn in Fällen, in denen Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber von der Arbeit freigestellt wurden, mit dem geldwerten Vorteil aus der Firmenwagengestellung für Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeit umzugehen ist.
Die Frage ist aufgekommen, weil die FinVerw in ihrem Schreiben vom 03.03.20221 zur lohnsteuerlichen Behandlung der Überlassung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs an Arbeitnehmer die Auffassung vertritt, dass bei einer dauerhaften Nutzungsüberlassung, der pauschale Nutzungswert auch dann anzusetzen ist, wenn aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung oder anderer Umstände Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte nicht arbeitstäglich anfallen. Nutzungsausfalltage wie sie z. B. bei Teilzeitmodellen, vermehrter Homeofficetätigkeit, Urlaub oder auch Krankheit vorkommen können, sind im pauschalen Nutzungswert bereits berücksichtigt. Das gelte selbst dann, wenn der Nutzungsausfall einen vollen Kalendermonat beträgt.
Insofern ist die Frage ja berechtigt, wie denn in dem Fall, in der ein Beschäftigter mit sofortiger Wirkung dauerhaft bis zur Beendigung des Arbeitsvertrags von seiner vertraglich festgelegten Arbeitspflicht entbunden wird, bei der Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der privaten Nutzungsmöglichkeit des Firmenwagens vorzugehen ist.
Ich denke, jedem ist klar, dass die reine Privatnutzung auch weiterhin der Lohnsteuerpflicht unterliegt. Der geldwerte Vorteil entsteht unabhängig davon, ob der Beschäftigte noch für seinen Arbeitgeber beruflich tätig ist oder nicht.
Bei der Zuschlagsregelung für Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte, stelle ich mir die Frage, ob der Beschäftigte ab dem Zeitpunkt der dauerhaften Freistellung von der Arbeitspflicht, noch über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt? Denn wenn nicht, entfällt die Zuschlagsbesteuerung allein schon aus diesem Grund.
Bekanntermaßen liegt für einen Beschäftigten eine erste Tätigkeitsstätte vor, wenn der Arbeitnehmer einer solchen Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet ist2. Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien3. Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers oder Dienstherrn vorgenommen werden.
Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, blickt der Gesetzgeber in die Zukunft. Maßgebend ist eine in die Zukunft gerichtete prognostische Betrachtung. Ändert der Arbeitgeber seine Zuordnungsentscheidung, ist diese Änderung auch erst mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen. Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich dauerhaft zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an.
Wenn aber jetzt ein Beschäftigter dauerhaft von seiner vertraglich festgelegten Arbeitspflicht entbunden ist, geht damit nach meinem Dafürhalten einher, dass der Arbeitgeber auch eine neue Zuordnungsentscheidung getroffen hat. Und zwar in der Art und Weise, dass die seinerzeitige Zuordnungsentscheidung durch die dauerhafte Freistellung aufgehoben wurde. Denn obwohl das Arbeitsverhältnis in einem solchen Fall zwar rechtlich noch besteht, wird der Beschäftigte nicht mehr „beschäftigt“.
Liegt also nunmehr eine erste Tätigkeitsstätte aufgrund Zuordnungsentscheidung nicht (mehr) vor, müssen grundsätzlich noch die quantitativen Kriterien4 geprüft werden. Aufgrund der dauerhaften Freistellung von der Arbeit, erübrigt sich jedoch dieser Prüfungsschritt. Mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der dauerhaften Freistellung von der Arbeit, liegt für den Beschäftigten m. E. keine erste Tätigkeitsstätte mehr vor. Es bedarf insofern auch keiner weiteren Versteuerung eines geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung des Firmenwagens für Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte.
Und selbst wenn man annimmt, dass mit der arbeitsrechtlichen Entscheidung, einen Beschäftigten dauerhaft von der Arbeit freizustellen, keine neue Zuordnungsentscheidung einhergeht, liegt keine erste Tätigkeitsstätte mehr vor. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Frage ob und wenn ja, wo, ein Beschäftigter seine erste Tätigkeitsstätte innehat, jedoch erforderlich (aber auch ausreichend), dass der Beschäftigte am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören5. Bei einer unwiderruflichen Freistellung ist dies jedoch ausgeschlossen.
Anders sieht es m.E. bei einer nur zeitweisen Freistellung von der Arbeit aus. Unabhängig davon, ob man in einem solchen Fall ebenfalls von einer neuen Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers ausgeht oder nicht, es verbleibt regelmäßig dabei, dass der Beschäftigte „seine“ erste Tätigkeitsstätte behält. Dies gilt m. E. für die Fälle der einvernehmlichen bzw. auf gesetzlichen Anspruch bestehenden Freistellung, wie z. B. Elternzeit, Sabbatjahr, unbezahlten Urlaub. Selbst wenn man im Zeitpunkt der Freistellung von einer neuen Zuordnungsentscheidung ausgeht, verbleibt es – wie bereits geschrieben – bei der ersten Tätigkeitsstätte, da es sich nicht um eine dauerhafte6 neue Zuordnungsentscheidung handelt. Einzig denkbare Ausnahme wären die Fälle, in denen der Beschäftigte über 48 Monate hinaus von der Arbeit freigestellt ist. Aufgrund der dann vorliegenden steuerlichen „Dauerhaftigkeit“ liegt vom Zeitpunkt der Freistellung keine erste Tätigkeitsstätte vor.
Insofern verbleibt es in den allermeisten Fällen einer nur zeitweisen Freistellung bei einer weiteren Versteuerung eines geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung des Firmenwagens für Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte.
In dem Sinne, bleiben Sie gesund und zuversichtlich.
Es grüßt Sie,
Ihr Matthias Janitzky
1 BMF-Schreiben vom 03.03.2022, BStBl I 2022, 232
2 § 9 Abs. 4 Satz 1 und 3 EStG
3 § 9 Abs. 4 Satz 2 und 4 EStG
4 Wo soll der ArbN dauerhaft typischerweise arbeitstäglich oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden?
5 BFH-Urteil vom 12.07.2021, VI R 9/19 und vom 04.04.2019, VI R 27/17, BStBl II, 536
6 § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG: Unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus
Gerne können Sie auch unser Kontaktformular benutzen und wir melden uns bei Ihnen.
Kontaktformular