Die Mär vom Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung

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Fachkräftemangel ist das Wort der Stunde. Es sind keine Mitarbeitenden zu bekommen für den Öffentlichen Dienst, heißt es. Dabei ist die Bezahlung nicht immer schlecht und die objektiven Arbeitsbedingungen sind oftmals über dem Durchschnitt.

Im Öffentlichen Dienst (ÖD) sind so viele Stellen unbesetzt wie noch nie. Und die Lage wird sich in Anbetracht der Verrentungs- & Pensionierungswelle der nächsten Jahre nicht entspannen, im Gegenteil. Die Folgen der unbesetzten Stellen sind fatal: Arbeitsrückstände bauen sich auf, der Druck auf die vorhandenen Mitarbeitenden steigt, die Krankmeldungen durch die Arbeitsverdichtung ebenso. Damit ist ein Teufelskreis in Gang gesetzt, da unter diesen Bedingungen die jungen, flexiblen und eher gut qualifizierten Fachkräfte den Job wechseln.

Wir bekommen keine Leute

Ein Abteilungsleiter einer Landkreisverwaltung aus Rheinland-Pfalz sagte recht frei heraus, dass zurzeit lediglich die Hälfte seines Teams da sei. Die andere Hälfte sei nicht besetzt, abgeordnet oder dauerkrank.

Im Jugendamt eines Berliner Bezirks gibt es einen Stamm weniger Alteingesessener. Neue Stellen können meist nicht oder nur nach mehr als sechs Monaten besetzt werden. Und wenn es dann doch klappt, laufen die meist jüngeren Mitarbeiter:innen in den nächsten Monaten wieder davon, weil es noch aussieht und abläuft wie 1995. Oder aber weil die Alteingesessenen sagen, dass es genau so läuft, wie sie es wollen und dass das ja auch gut geklappt hat in den letzten 20 Jahren. Kurz: wenn die Neuen nicht schreiend weglaufen, werden sie weggebissen, sobald sie etwas ändern wollen.

Wasch mich, aber mach mich nicht nass

Eine junge und weibliche Führungskraft einer Verwaltung aus Baden-Württemberg erzählte, dass sie geholt wurde, da sie jung sei und somit den frischen Wind in die etwas angestaubten Etagen bringen würde. Dass alle begeistert seien, dass sie so viel über Digitalisierung wisse, dass sie in ihren bisherigen Jobs schon mit agilen Methoden gearbeitet habe. Als es bei einer geleiteten Mediation zur Aussprache mit den älteren und meist männlichen anderen Führungskräften kam, wurde einhellig festgestellt, dass zu viel Entwicklung aber auch nicht gut sei und dass die Änderungen, die sie einbringen wollte, ja auch gehörige Gefahren mit sich brächten (DSGVO!). Also hieß es: Ja bitte komm zu uns, weil du weißt, wie es geht, rede auch darüber, aber wir wollen uns dafür nicht bewegen müssen. „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“

Der Öffentliche Dienst zahlt so schlecht

Gerne heißt es, man bekomme die Leute nicht, weil die Gehälter in der öffentlichen Verwaltung nicht konkurrenzfähig seien. Um ehrlich zu sein: der ÖD hat noch nie Spitzengehälter bezahlt, aber trotzdem ausreichend und ausreichend gutes Personal gefunden. Aus der Arbeitspsychologie weiß man, dass Geld ein wichtiger Faktor ist, aber eben nur einer neben vielen anderen. Der ÖD kann also offensichtlich mit anderen Pfunden wuchern. Zum Beispiel mit einer hohen Planbarkeit und Verlässlichkeit, mit Familienfreundlichkeit, sehr flexiblen Arbeitszeitmodellen, teilweise „Telearbeit“ auch schon weit vor Corona. Fragen Sie mal in einem Startup als Führungskraft nach Teilzeit!

Die Probleme sind lösbar

Mit den wesentlichen Problemen kann man eine Hypothese wagen: 50% des Fachkräftemangels sind hausgemacht und schnell änderbar. Es gibt nur in wenigen Branchen einen tatsächlichen Mangel. Dazu zählen bestimmt der medizinische Dienst in den kommunalen Gesundheitsämtern und die Ingenieursberufe in den Bau- & Katasterämtern und weitere Ingenieurbereiche im öffentlichen Dienst. Die allermeisten offenen Stellen sind mehr oder weniger spezialisierte allgemeine Verwaltungstätigkeiten. Und da herrscht zwar weniger Angebot als vielleicht noch vor zehn Jahren, aber wirklich kein Mangel. Es lässt sich aber leicht herausfinden, warum es wie ein Mangel wahrgenommen wird.

Wenn man mit den jeweiligen Personalabteilungen spricht und zwei gezielte Fragen stellt, bekommt man in 80% der Fälle die gleiche Antwort:

Frage Eins: „Wo schreiben Sie Ihre Stelle aus?“

Antwort: „Auf unserer Website, bei der Bundesagentur für Arbeit und bei Interamt.” Bei was? Interamt?“ „Ja. Das ist ein Stellenportal, das kostenlos ist und wo so gut wie alle Stellen des ÖD ausgeschrieben werden.“

Das Problem: dahin verirrt sich im Normalfall keine stellensuchende Person, die nicht aus dem ÖD kommt. Alles andere kostet Geld und davon gibt es keins. Also gibt es kaum Bewerber:innen.

Frage Zwei: „Dauert es vom Eingang der ersten Bewerbung bis zur Unterschrift des Vertrages weniger als acht, besser sechs Wochen?“

Antwort: „Nein.“ Meist mit einem Lachen versehen, dass das bei den Abläufen und den Gremien im Haus unmöglich sei. Es dauere eher 3-4 Monate.

Kurzer Perspektivwechsel: Ich suche einen Job. Jetzt. Mein alter Job ist zu Ende, warum auch immer. Ich muss Miete/Abtrag, das Auto und die vielleicht schon gebuchte Urlaubsreise bezahlen. Ich möchte sogar gerne in den ÖD. Ich sende ca. 20 Bewerbungen ab und bekomme drei bis sechs Rückmeldungen. In den nächsten zwei bis vier Wochen bekomme ich vier Termine für Vorstellungsgespräche - vier Wochen später das Vorstellungsgespräch in der öffentlichen Verwaltung.

Ein anderer Arbeitgeber gibt mir inzwischen eine Zusage. Was mache ich? Spatz in der Hand, Taube auf dem Dach, Rechnungen, die bezahlt werden müssen: ich nehme den Job an, es ist keiner aus dem ÖD, da ich von diesen potenziellen Arbeitgebern acht Wochen lang nichts gehört habe, außer dem terminierten Vorstellungsgespräch.

Zurück zum ÖD: Das bedeutet also, dass von den Bewerber:innen nach der langen Zeit, die der ÖD für den Auswahlprozess benötigt, nur sehr wenige Menschen übrig bleiben, da die meisten bereits eine Stelle haben. Der ÖD bekommt also nur diejenigen, die nach langer Zeit noch nicht vom Markt sind.

Active Sourcing und kurze Wege

Die beiden großen Verursacher des vermeintlichen Fachkräftemangels sind also die Reichweite der Stellenanzeigen und das viel zu lange Bewerbungsverfahren.

Beide Dinge sind nicht trivial, aber mit ein wenig Aufwand durchaus lösbar.

1) Die Reichweite
Es gehört ein Ausprobieren dazu, wie ich meine Zielgruppe erreiche und die Anzahl der Bewerbungen erhöhe. Das können klassische Jobportale sein, gezielte Anzeigen in Fachjournalen und natürlich das beliebt gewordene Active Sourcing (direkte Ansprache und Kontakt halten via LinkedIn & Xing). Eine Kommune in Mecklenburg Vorpommern erzielt beachtliche Erfolge mit kurzen Radiospots beim lokalen Sender Ostseewelle. Dazu gehört ein wenig Budget - ohne werden sie keine Reichweite bekommen - aber auch systematisches Probieren und Testen.

2) Das lange Bewerbungsverfahren
Sprechen Sie mit den zu beteiligenden Gremien. Sprechen Sie mit den übrigen Beteiligten. Zeichnen Sie auf, wo sich Zeitfresser befinden und überlegen Sie gemeinsam, wie diese verkürzt werden können. Es ist rechtssicher möglich, den Zeitraum vom Eingang der Bewerbung bis zur Unterschrift des Vertrages auf vier Wochen zu verkürzen. Es gibt bereits Verwaltungen, die das machen.

Viel wichtiger ist aber, dass Verwaltungen aufhören müssen, Bewerbende wie Bittsteller:innen zu behandeln.

Denn: Wenn ich mich auf eine E10 bewerbe, bin ich kein Bittsteller mehr.


Der Autor: Heiko Tholen (*1978) war Finanzbeamter und ist inzwischen Psychologe. Er kümmert sich beruflich um Personal- & Organisationsentwicklung, Recruiting und agile Arbeitsmethoden bei verschiedenen Firmen & Verwaltungen. Sein Herz schlägt noch für den Öffentlichen Dienst. (www.psywi.de)


Weiterführende Informationen zum Thema:

Blog von Prof. Dr. Andreas Gourmelon https://www.rehm-verlag.de/personalmanagement/blog-personalmanagement/

Literatur zum Anfassen: https://www.rehm-verlag.de/shop/Personalmanagement/Stellenbesetzungs-und-Auswahlverfahren-treff-und-rechtssicher-gestalten-rechtliche-psychologische-und-oekonomische-Aspekte-Softcover-rn.html

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1 Kommentar zu diesem Beitrag
kommentiert am 09.03.2023 um 09:40:
Der Beitrag trifft, so kurz er ist, wesentliche Punkte.
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