Liebe Leserinnen und Leser,
vor einigen Tagen habe ich mich mit einigen Freunden und Bekannten unterhalten, die als Manager oder als Selbständige in oder für die Privatwirtschaft arbeiten. „Unterhalten“ ist vielleicht etwas übertrieben, denn im wesentlichen habe ich als Außenseiter aus dem öffentlichen Sektor den Geschichten aus dem „Haifisch-Becken“ der Privatwirtschaft gelauscht. Es ging um unfaire Akquise-Methoden aber auch um die schlechte Zahlungsmoral von Kunden, den großen Aufwand, die Probleme und den vielen Ärger, der damit verbunden sei.
Nach einiger Zeit waren die schlimmsten Geschichten erzählt und es kam wie es eigentich fast immer in solchen Runden kommt: „Ihr Beamte habt solche Probleme natürlich nicht, müsst nichts arbeiten und kriegt auch noch Geld dafür!“. Ich habe diese nette, vorurteilsgeprägte Aufforderung mich am Gespräch zu beteiligen aufgegriffen und sofort geantwortet: „Von wem wisst Ihr das?“. In meine Stimme und meine Mimik konnte ich ein gewisses Maß an Erstaunen und Schrecken hineinlegen, so dass die Gesprächspartner erstmal ruhig blieben.
Das Schweigen ausnutzend konnte ich darlegen, dass ich immer wieder von Behörden und Verwaltungen zu Vorträgen oder Beratungsgesprächen eingeladen werde. Das seien Nebentätigkeiten und dafür würde ich auch Geld verlangen. Mit der Zahlungsmoral der „Kunden“ hätte ich jedoch nie Schwierigkeiten; im Gegenteil: manchmal erhielte ich eine Erinnerung, ich solle doch bitte bald eine Rechnung stellen, damit man das Honorar noch im laufenden Haushaltsjahr überweisen könne.
Gemein wie ich war, habe ich den Freunden die Mail einer – namentlich nicht genannten – Kollegin vorgelesen. Diese im Smartphone gespeicherte Mail bezog sich auf einen Vortrag, den ich vor zweieinhalb Jahren gehalten hatte. Damals hatte ich Reisekosten abgerechnet, aber nicht erhalten. Jetzt schreib mir die Kollegen: „... ich habe gerade in einer (offensichtlich lange nicht benutzten) Gittermappe Ihre Dienstreiseabrechnung von damals zusammen mit meinem Auftrag ..., sie zu erstatten, gefunden. Der Vorgang hat offenbar mein Büro gar nicht verlassen. Das tut mir sehr leid und ich entschuldige mich dafür. Das Geld kommt jetzt umgehend“.
Meine Bekannten und Freunde erklärten, dass in der Privatwirtschaft wohl niemand in dieser Weise gehandelt hätte. Es sei unüblich, derart aufrichtig zu sein, den eigenen Fehler nicht auf andere abzuwälzen und nach so langer Zeit ohne Aufforderung noch etwas zu bezahlen. Ich meine, den Neid in ihren Gesichtern und Stimmen wahrgenommen zu haben. Und ich war (und bin) stolz auf unsere Organisationskultur im öffentlichen Sektor, die zwar durch Bürokratismus, aber eben auch durch Verlässlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Fehlertoleranz und Respekt vor Anderen geprägt ist. Diese Organisationskultur bewahrt uns – im Vergleich zu manchen Bereichen der Privatwirtschaft – vor unnötigen Ärger und letztlich unnützen Tätigkeiten.
Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon
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