Liebe Leserinnen und Leser,
immer wieder werde ich um Rat bezüglich der Gestaltung von Auswahlverfahren gefragt. Dabei fällt mir einerseits auf, dass viele Verwaltungen und Behörden Interviews im Hinblick auf die eingesetzten Fragetechniken und den Interviewablauf auf einem hohen fachlichen Niveau durchführen. Andererseits wird die geringe Sorgfalt offenbar, mit der Anforderungsprofile erstellt werden. Sorgfältig erstellte Anforderungsprofile sind jedoch eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Personalauswahl. Mit Anforderungsprofilen wird beschrieben, welche Merkmale die oder der ideale Bewerberin oder Bewerber aufweisen sollte. Sind diese Merkmale ungenau oder unvollständig beschrieben, können die Pfeile der eignungsdiagnostischen Instrumente – wie Interviews, Tests, AC – ihre Ziele nicht treffen. Nachfolgend werden einige typische Fehler beschrieben, die bei der Formulierung von Anforderungsprofilen zu beobachten sind. Vermeiden Sie diese Fehler und Sie werden mit größerer Wahrscheinlichkeit gut geeignete Bewerber‘ auswählen.
In vielen Anforderungsprofilen finden sich Listen mit Merkmalen, bei denen nicht klar ist, was damit eigentlich gemeint ist. Das fängt mit der berühmt-berüchtigten „Teamfähigkeit“ an und endet mit dem für viele Personen unverständlichen Merkmal „Ambiguitätstoleranz“. Allen Personalauswählenden muss klar sein, was genau mit den aufgelisteten Merkmalen im Anforderungsprofil gemeint ist. Es muss ein gemeinsames Begriffsverständnis vorliegen. Ansonsten kann es nicht zu einem einheitlichen Eignungsurteil kommen. Ich erinnere mich an ein Auswahlverfahren, in der die Bewerber‘ als Gruppe ein komplexes technisches Problem lösen sollten. Ein Bewerber entfernte sich kurz vom Arbeitstisch und kam mit Getränken für alle am Arbeitstisch zurück. Während der Auswertung gab es in der Auswahlkommission eine intensive Diskussion darüber, wie die Teamfähigkeit dieses Kandidaten zu werten sei. Die Urteile hierzu waren extrem unterschiedlich. Und es wurde deutlich, dass die Kommission keine einheitliche Vorstellung von „Teamfähigkeit“ hatte. Anforderungsmerkmale sollten mit wenigen Sätzen definiert werden. Zudem sollten beispielhaft Indikatoren (Operationalisierungen) angegeben werden, woran eine hohe oder niedrige Ausprägung des Merkmals bei der Beantwortung von Interviewfragen, bei Präsentationen, bei Gesprächssimulationen/Rollenspielen usw. zu erkennen ist.
„Je mehr, desto besser!“ – von dieser Überlegung lassen wir uns auch unbewusst bei vielen Eignungsmerkmalen leiten. Und das trifft im öffentlichen Sektor bei vielen Merkmalen ja auch zu: je höher beispielsweise die Leistungsmotivation / Fleiß ausgeprägt ist, desto besser ist die berufliche Eignung. Es gibt jedoch auch Merkmale, bei denen die Auswahlkommissionen abwägen sollten, ob diese Überlegung noch zutreffend ist. So wird bei der Bewältigung einiger Aufgaben (z. B. Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern‘) ein sehr hoch ausgeprägtes Einfühlungsvermögen auf Dauer nicht zielführend sein. Bei der Bestimmung des erforderlichen Ausmaßes ist auf das Risiko AGG-relevanter Benachteiligungen zu achten, z. B. wenn von einer Reinigungskraft „sehr hohe Deutsch-Kenntnisse“ gefordert werden.
Gelegentlich frage ich Mitglieder von Auswahlkommissionen, wie es dazu gekommen ist, dass ein bestimmtes Merkmal im Anforderungsprofil aufgelistet worden ist. Dann höre ich nicht selten, man habe dieses Merkmal im Anforderungsprofil oder der Stellenausschreibung der Verwaltung / der Behörde X gesehen und es in das eigene Anforderungsprofil übernommen. Als Professor und Prüfer weiß ich, dass Abschreiben in manchen Situationen effektiv (aber nicht integer) ist, bei der Erstellung eines Anforderungsprofils ist unüberlegtes Abschreiben jedoch unverzeihlich. Solange nicht bekannt ist, auf Grundlage welcher Stellenbeschreibung, welcher Anforderungsanalyse und welcher Stellenanforderungen ein Merkmal bei der Behörde X in ein Anforderungsprofil aufgenommen worden ist, ist es nicht sinnvoll, dieses Merkmal in das eigene Profil aufzunehmen. Anforderungsprofile anderer Organisationen können allenfalls als Anregung dienen, die eigene Anforderungsanalyse sorgfältiger durchzuführen.
Es ehrt die jüngeren Kollegen‘, wenn sie in den Akten nachlesen, wie es die älteren gemacht haben. Aber in einem Auswahlverfahren die alten Anforderungsprofile und Stellenausschreibungen ungeprüft erneut zu verwenden, ist riskant. Haben sich seit der damaligen Formulierung des Anforderungsprofils die Aufgaben der Stelle geändert? Werden neue Arbeitsmittel verwendet? Gibt es neue rechtliche Grundlagen? – diese und weitere Fragen sind zu klären, bevor das alte Anforderungsprofil nochmal verwendet werden kann.
Wissen, Kenntnisse und Fertigkeiten sind Merkmale, die bei der Bewältigung beruflicher Aufgaben sehr wichtig sind. Ohne Kenntnis eines Tabellenkalkulationsprogramms wird es beispielsweise nicht möglich sein, umfangreiche Controlling-Kennzahlen auszuwerten und darzustellen. Insbesondere Linienvorgesetzte neigen dazu, von den Kandidaten‘ sehr spezifisches Fachwissen einzufordern und im Anforderungsprofil sowie in der Ausschreibung aufzulisten. Dann wird z. B. erwartet, dass der Kandidat‘ „Excel“ oder „Word“ beherrscht. Durch derartige Merkmale im Anforderungsprofil wird die Anzahl der in Betracht kommenden Bewerber‘ deutlich kleiner und die Besetzung von Vakanzen erheblich erschwert. Die Auswahlkommission sollte sich stets fragen, ob sich der zukünftige Stelleninhaber‘ das erforderliche Wissen nicht in einer überschaubaren Zeit aneignen könnte – dieser Hinweis gilt insbesondere für die Besetzung unbefristeter Stellen. Falls ein Bewerber‘ z. B. schon Erfahrungen mit einer Tabellenkalkulationssoftware erworben hat, wird er sich in der Regel schnell in eine andere Tabellenkalkulationssoftware einarbeiten können. Gemeinsam mit den Linienvorgesetzten ist zu klären, in welchem Ausmaß die Merkmale Wissen und Kenntnisse einerseits und Lernfähigkeit andererseits vorliegen sollten.
Es kommt vor, dass einzelne Mitglieder einer Verwaltung die Einbeziehung von Merkmalen in einem Anforderungsprofil festsetzen. Grundlage für die Setzung ist z. B. die hierarchische Macht oder die rhetorische Dominanz. Zu hören sind dann Äußerungen wie „das ist doch unmittelbar einsichtig“, „andere machen es auch so“, „das ist die Zukunft“. Die gesetzten Merkmale sind en vogue, meist wenig konkret (s. o.), die Operationalisierung wird den operativ Auswählenden überlassen. Kluge Menschen zeichnet aus, dass sie die Grenzen ihrer Kompetenz kennen.
Brainstorming und andere Kreativmethoden sind wirkungsvolle Instrumente, wenn es darum geht, neue Ideen für Produkte, technische Probleme, Prozessabläufe u. v. m. zu finden. Bei der Erstellung von Anforderungsprofilen geht es jedoch nicht um kreative Ideen. Vielmehr ist systematisch eine Anforderungsanalyse durchzuführen, bei der mit verschiedenen Methoden aus den unterschiedlichen Anforderungsquellen die verschiedenen Stellenanforderungen abgeleitet werden (Hinweise dazu finden Sie bei Gourmelon & Hoffmann, 2017, S 77 ff.). Das ist eine Fleißarbeit, bei der viele Informationen erhoben und strukturiert werden müssen. Nicht die brillant-kreative Idee ist bei der Erstellung von Anforderungsanalysen ausschlaggebend, sondern die sorgsam mit verschiedenen Ansätzen erarbeitete Erkenntnis.
Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon
Quellen:
Gourmelon, A. & Hoffmann, B. (2017). Stellenbesetzungs- und Auswahlverfahren treff- und rechtssicher gestalten. Heidelberg: Rehm.
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