Führt die Nutzung von Abiturnoten in der Personalauswahl zu geschlechterspezifischen Benachteiligungen?

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Frauen erlangen überproportional häufiger das Abitur und erzielen bessere Abiturnoten als Männer. Führt das zu einer Benachteiligung von jungen Männern in Auswahlverfahren für den gehobenen Dienst?

Liebe Leserinnen und Leser,

durch Zufall ist mir eine Studie von Christoph Müller (2021) bekannt worden, die sich mit den Abiturnoten von jungen Frauen und Männern und deren Auswirkungen auf die Zulassungschancen in medizinischen Studienfächern auseinandersetzt. Mich machen die Ergebnisse der Studie in Bezug auf Auswahlverfahren im öffentlichen Dienst nachdenklich: Benachteiligen wir bei der Auswahl von Nachwuchskräften junge Männer?

Methodik der Studie

Müller konnte die Abiturdaten aus zehn Bundesländern – darunter Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen – des Jahres 2017 statistisch auswerten. Unter „Abitur“ hat er die Allgemeine Hochschulreife und unter „Note“ die Durchschnittsnote (bzw. den „Abischnitt“) im Abitur gefasst. Die zur Verfügung stehenden Noten fasst Müller als repräsentativ für ganz Deutschland auf.

Notenunterschiede zwischen den Geschlechtern

Von den untersuchten Abiturienten‘ sind 45,4 % männlichen und 54,6 % weiblichen Geschlechts. Gemäß den Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren jedoch im Jahr 2017 von der 18-jährigen Bevölkerung 52,8 % Männer (Statistisches Bundesamt zitiert nach Müller, 2021, S. 154). Folglich sind junge Männer in der Gruppe der Abiturienten` deutlich unterrepräsentiert.

Die Analyse von Müller zeigt zudem, dass männliche Abiturienten im Durchschnitt schlechtere Abiturnoten aufweisen als Abiturientinnen. Der Unterschied beträgt 0,154 Notenpunkte (Müller, 2021, S. 153). Der Unterschied in der Benotung ist auch bei der Vergabe von guten Abiturnoten (besser oder gleich 1,8) auffällig: Nur 17,9 % der jungen Männer, aber 24,2 % der jungen Frauen weisen eine gute Abiturnote auf (Müller, 2021, S. 154). Müller (2021, S. 160 f) führt aus: „In einigen Bundesländern ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen ein Spitzenabitur erreicht, doppelt so hoch wie bei einem gleichaltrigen Jungen“.

Vergabe von Studienplätzen

Abiturnoten spielen bei der Vergabe von Studienplätzen zulassungsbeschränkter Studienfächer eine bedeutsame Rolle. Würden derartige Studienplätze ausschließlich über Abiturnoten vergeben, wäre die Wahrscheinlichkeit für eine junge Frau, einen Studienplatz zu erhalten, nach den Berechnungen von Müller um 80 % größer als bei einem jungen Mann (Müller, 2021, S. 156). Tatsächlich werden die fraglichen Studienplätze neben dem Kriterium „Abiturnote“ auch nach weiteren Kriterien wie z. B. „Wartezeit“ oder „Ergebnisse von Testverfahren“ vergeben. Der Anteil weiblicher Studierender betrug im Wintersemester 2017/2018 im Fach Medizin 61 %, in Zahnmedizin 64 %, in Tiermedizin 84 %, in Pharmazie 69 % und in Psychologie 75 % (Müller, 2021, S. 159 f).

Müller untersuchte nun anhand der Daten der Stiftung für Hochschulzulassung den Einfluss der verschiedenen Vergabekriterien. Er stellt fest, dass „… der Anteil der männlichen Zugelassenen steigt, je weniger es […] auf die Abiturnote ankommt“ (Müller, 2021, S. 161). Das gilt insbesondere dann, wenn Daten aus Tests bei der Vergabe der Studienplätz eine Rolle spielen. In Bezug auf die Vergabe von Psychologie-Studienplätzen zitiert Müller die Autorinnen Menz, Rutsch und Spinath (2021, S. 24 f; zitiert nach Müller, 2021, S. 159), nach denen die Entwicklung eines Studieneignungstests für Psychologie in Baden-Württemberg „… u.a. mit der Absicht begründet [wird; Hinzufügung des Verfassers], mehr „Gerechtigkeit“ bei der Zulassung „benachteiligte(r) Personengruppen“ bewirken zu können, zu denen die männlichen Bewerber gerechnet werden.

Auswahl von Nachwuchskräften

Bei der Auswahl von Studierenden für Verwaltungsberufe wird nach meiner Kenntnis in vielen Fällen die Abiturnote berücksichtigt. Erfolgte die Bestenauslese ausschließlich unter Verwendung des Kriteriums „Abiturnote“, wäre angesichts der Studienergebnisse von Müller mit einem überproportional hohen Anteil weiblicher Studierender zu rechnen. Nach dessen Erkenntnissen könnte der Einsatz zusätzlicher Kriterien, wie z. B. Tests, zu einer Steigerung des Anteils männlicher Studierender führen. Leider fehlen derzeit aktuelle Daten, in welcher Weise im öffentlichen Sektor die Bestenauslese bei Nachwuchskräften erfolgt, insbesondere welche Entscheidungsmodelle verwendet werden. Aber vielleicht können die Ausführungen für Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine Anregung sein, die Auswahlkriterien für Nachwuchskräfte in Ihrer Verwaltung oder Behörde im Hinblick auf geschlechterspezifische Benachteiligungen zu prüfen.


Herzliche Grüße

Andreas Gourmelon


Quellen:

Menz, C., Rutsch, J. & Spinath, B. (2021). Strukturelle Gerechtigkeitsaspekte bei der Einführung eines Studieneignungstests im Studiengang Bachelor Psychologie. HSW – Das Hochschulwesen, 1+2/2021, S. 24 – 29.

Müller, C. (2021). Geschlechterunterschiede im Abitur und ihre Auswirkungen auf die Zulassungschancen in den medizinischen Studienfächern. HSW – Das Hochschulwesen, 5+6/2021, S. 152 – 163.

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