Liebe Leserinnen und Leser,
im Juni 2020 hat das Berliner Abgeordnetenhaus das Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedet (LADG). Die Medien haben es im Wesentlichen als Anti-Polizei-Gesetz dargestellt und man erinnert sich noch daran, dass einige Landesinnenminister überlegt haben, ob Hundertschaften ihrer Polizei noch in Berlin eingesetzt werden sollten. Neben den Auswirkungen auf die Polizei hat das LADG aber auch Folgen für das Personal- und Organisationsmanagement der Verwaltungen in Berlin, die nachfolgend dargestellt werden.
Ziel des LADG ist die tatsächliche Herstellung und Durchsetzung von Chancengleichheit, die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt bzw. Diversity. Der Geltungsbereich des LADG umfasst die Berliner Verwaltung und andere Institutionen des Landes Berlin (§ 3). Damit wird gemäß der Gesetzesbegründung (Abgeordnetenhaus Berlin, 2019) eine Regelungslücke geschlossen, da sich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nur auf die Erwerbstätigkeit und den Privatrechtsverkehr beschränkt und damit die Anti-Diskriminierungs-Richtlinien der EU nicht vollständig umgesetzt werden. Zu beachten ist, dass das LADG mit Ausnahme von § 11 und unbeschadet von § 24 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes keine Anwendung auf die Anbahnung, Durchführung und Beendigung öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse und Beschäftigungsverhältnisse der öffentlichen Stellen findet (§ 2 Abs. 1 Satz 2 LADG); das (im Kompetenzbereich des Bundes liegende) Beamtenrecht wird aus dem Geltungsbereich des LADG ausgeklammert (S. 24 der Gesetzesbegründung). Wirkung entfaltet das LADG vor allem im Außenverhältnis zum Bürger.
Die durch das LADG geschützten Personenmerkmale wurden gegenüber dem AGG ausgeweitet. So darf gemäß LADG kein Mensch auch aufgrund der Merkmale chronische Erkrankung, Sprache, geschlechtliche Identität und sozialer Status diskriminiert werden. Die Gesetzesbegründung führt aus: „Ein chronisch kranker Mensch leidet an einem Körper- oder Geisteszustand, der für einen längeren Zeitraum Krankenbehandlungen erfordert und regelmäßig zu erheblichen Beeinträchtigungen der normalen Lebensführung dieses Menschen führt“ (S. 21). Das Merkmal Sprache umfasst die verbale oder schriftliche Kommunikation einer Person, z. B. die Aussprache oder Analphabetismus. Die Forderung nach bestimmten Sprachkenntnissen beim Zugang zu staatlichen Dienstleistungen stellt gemäß der Gesetzesbegründung eine diskriminierende Handlung dar, die an das Merkmal Sprache der betroffenen Person anknüpft. Regelungen zur Amtssprache können für bestimmte Fallgestaltungen als Rechtfertigungsgrund für Diskriminierungen herangezogen werden (S. 22). Antragsformulare müssen nicht zwingend in anderen Sprachen als Deutsch zur Verfügung gestellt werden. „Der soziale Status beschreibt die wirkmächtige Zuordnung einer sozialen Position in einem System sozialer, d.h. gesellschaftlich eingeschriebener und historisch gewachsener Rangordnungen und Hierarchien“ (S. 22); er ist z. B. durch folgende Faktoren bestimmt: Einkommen, Armut, Überschuldung, Bildungsabschluss, Analphabetismus, Erwerbstätigkeit, Beruf, Kleidung, Wohnungs- und Obdachlosigkeit, körperliche Erscheinung.
Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, dass gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen wurde, obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen (§ 7 LADG). Falls eine öffentliche Stelle gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen hat, ist sie zu Schadensersatz verpflichtet. Zudem kann die diskriminierte Person für den immateriellen Schaden eine Entschädigung verlangen.
Durch den § 11 wird der personalpolitische Grundsatz der Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt gesetzlich verankert. Bei allen Maßnahmen der öffentlichen Stellen soll dieser Grundsatz berücksichtigt werden, zudem sind Maßnahmen zur Realisierung dieses Grundsatzes zentral zu ergreifen (§ 12 LADG).
Bei Untersuchungen der Aufbau- und Ablauforganisation sowie von Geschäftsprozessen ist auch zu prüfen, ob strukturelle Diskriminierungsrisiken vorliegen könnten. Ggf. sind durch die öffentlichen Stellen geeignete Gegenmaßnahmen zu implementieren. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang § 10 des E-Government-Gesetzes Berlin: Hiernach sind interne Verwaltungsabläufe elektronisch abzuwickeln; werden Prozesse erstmals elektronisch unterstützt, sollten Organisationsuntersuchungen durchgeführt werden. D.h. es besteht eine Pflicht, eine Vielzahl von Geschäftsprozessen zu untersuchen und dabei auch auf mögliche Diskriminierungsrisiken zu achten. Als Beispiele für zu untersuchende Prozesse listet die Gesetzesbegründung u.a. Personalgewinnungs- und -entwicklungsverfahren auf (S. 38).
Die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung und die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt sind gemäß § 11 Abs. 3 LADG besondere Aufgaben der Führungskräfte. Die Erfüllung dieser Aufgaben soll bei der Beurteilung ihrer Leistungen berücksichtigt werden. Führungskräfte sind zudem verpflichtet, an Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen zur Diversity-Kompetenz teilzunehmen.
Bei allen Dienstkräften sollen der Erwerb und die Weiterbildung in Diversity-Kompetenz einschließlich der antidiskriminierungsrechtlichen Grundlagen – insbesondere durch Fortbildungsangebote und Qualifizierungsmaßnahmen – sichergestellt werden (§ 11 Abs. 4 Satz 1 LADG). Diversity-Kompetenz kann gemäß der Gesetzbegründung (S. 39) als soziale als auch als fachliche Fähigkeit verstanden werden. Als soziale Fähigkeit umfasst die Diversity-Kompetenz:
mit Uneindeutigkeiten und Irritationen umzugehen zu können (Ambiguitätstoleranz),
Ungewissheit und Fremdheit auszuhalten,
die Fähigkeit zum Perspektivwechsel,
die Einsicht in die Notwendigkeit reflexiven Handelns und Sensibilität für Diskriminierungen, Vorurteile und Stereotypen.
In fachlicher Hinsicht umfasst Diversity-Kompetenz
die Kenntnis der gesetzlichen Diskriminierungsverbote und der Instrumente zu ihrer
Durchsetzung,
das Wissen um gesellschaftlich gewachsene Diskriminierungsmuster und -strukturen und
das Wissen um Maßnahmen und Strategien zum Umgang mit Vielfalt im jeweiligen fachlichen Kontext.
Bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Dienstkräfte soll die Diversity-Kompetenz berücksichtigt werden (§ 11 Abs. 4 Satz 3 LADG).
Das LADG hat für das Berliner Personal- und Organisationsmanagement nicht unbeträchtliche Auswirkungen. So sind viele Verfahrensabläufe auch daraufhin zu überprüfen, ob Diskriminierungsrisiken vorliegen. Das dürfte angesichts unpräziser Merkmale wie z. B. „sozialer Status“ schwierig werden. In Bezug auf die Verwirklichung des Diversity-Konzepts sind in Berlin umfangreiche Personalentwicklungsmaßnahmen erforderlich. Zudem müssen die Beurteilungssysteme verändert werden.
Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon
Quelle:
Abgeordnetenhaus Berlin (2019). Drucksache 18/1996 vom 12.6.2019. Vorlage Antidiskriminierungsgesetz.
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