Liebe Leserinnen und Leser,
bedingt durch die Corona-Krise erfahren Jugendliche erhebliche Veränderungen und Einschränkungen in ihrem Leben. Schule war und ist durch Distanz-Unterricht und Unterrichtsausfälle geprägt; Treffen mit Gleichaltrigen – soziale Aktivitäten generell – sind schwierig möglich und zu Hause sind viele Jugendliche mit entnervten Eltern konfrontiert, die im Home-Office arbeiten. Wie wirkt sich diese Situation auf das Berufswahlverhalten der Schüler‘ aus und welche Konsequenzen sollten für die Anwerbung von Nachwuchskräften gezogen werden?
Anger et al. (2021) befragten im Frühjahr 2020 1.079 Schüler´ von Gymnasien und Gesamtschulen aus acht Bundesländern und im November/Dezember 2021 weitere 2.849 Schüler´ des gleichen Jahrgangs. Die Forscher´ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellten durch den Vergleich der Befragungsergebnisse heraus, dass sich der Abiturjahrgang 2021 zunehmend große Sorgen um ihre Schulleistungen als auch um ihre berufliche Zukunft machten. Von den Befragten des Abiturjahrgangs 2021 gaben im Frühjahr 2020 25 % an, sich große Sorgen um ihre berufliche Zukunft zu machen, bei der Befragung im Spätherbst 2020 ist dieser Anteil auf 41 % gestiegen (Anger et al., 2021, S. 7). Aus den Befragungsergebnissen wird zudem deutlich, dass sich in diesem Zeitraum die Lebenszufriedenheit der angehenden Abiturienten´ gemindert und die psychische Belastung gestiegen ist. Jugendliche, die einen Migrationshintergrund haben, machen sich größere Sorgen um ihre berufliche Zukunft als solche ohne Migrationshintergrund (Anger et al., 2021, S. 7).
Sarah Schön, Absolventin der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, interviewte im Frühjahr 2021 16 Abiturienten´ des Abiturjahrgangs 2021. Dabei ging sie der Frage nach, ob sich durch die Corona-Krise die Berufswahlkriterien von Abiturienten´ ändern. Die Interviews erfolgten mit einem strukturierten Interviewleitfaden mit vorgegebenen Antwortkategorien. Ausgewählte Ergebnisse der Studie von Schön sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1: Berufswahlkriterien und die Veränderung ihrer Bedeutung durch die Corona-Krise (nach Schön, 2021; „++“: stark zunehmend, „+“: zunehmend, „o“: unverändert, „-“: abnehmend).
Berufswahlkriterium |
Veränderung der Bedeutung |
Arbeitsplatzsicherheit |
++ |
Zukunftsaussichten der Branche |
+ |
Flexible Arbeitszeit |
O |
Flexibler Arbeitsort (Home-Office) |
++ |
Work-Life-Balance |
+ |
Wohnortnaher Arbeitsplatz |
O |
Anbindung des Arbeitsplatzes an ÖPNV |
- |
Anerkennung im Beruf |
O |
Gehalt |
+ |
Weiterbildung und Aufstiegsmöglichkeiten |
+ |
Sinnvolle Arbeit |
+ |
Angesichts der kleinen Stichprobengröße können die Ergebnisse von Schön nicht verallgemeinert werden; allerdings sollten sie uns zum Nachdenken anregen, ob und wie die Employer Brand an die veränderten Präferenzen der Abiturienten´ angepasst werden sollte. Eine Konsequenz der Studie von Schön ist nach meiner Ansicht, dass die Verwaltungen verstärkt die Möglichkeit zur Arbeit im Home-Office betonen sollten. Auch könnten die Verwaltungen herausstellen, welche Unterstützung sie bei der Einrichtung des Home-Office bieten. Interessant fand ich ergänzende Äußerungen der Befragten, dass sie wegen der Corona-Krise gelernt hätten, ihre Familien mehr wertzuschätzen, und ihnen deshalb das Kriterium Work-Life-Balance wichtiger geworden sei. Hier ergeben sich m. E. ebenfalls Ansatzpunkte die Employer Brand zu optimieren, z. B. indem der Aspekt Vereinbarkeit von Familie und Beruf hervorgehoben wird.
Im Rahmen der Interviews legten die Befragten dar, dass es ihnen derzeit schwer falle, eine Berufswahl zu treffen. Als Gründe hierfür wurden die hohe Zahl der beruflichen Möglichkeiten sowie die Angst, eine falsche Wahl zu treffen, genannt. Gerade Kommunalverwaltungen mit ihrem großen Aufgabenkatalog könnten herausstellen, dass sich im Laufe der Karriere immer wieder Gelegenheiten eröffnen, sich neuen Tätigkeitsfeldern zuzuwenden und geänderte berufliche Interessen zu realisieren. Für die Zeit nach der Corona-Krise sollten Personalwerbende verstärkt Werbe-Maßnahmen einplanen, bei denen ein direkter persönlicher Kontakt zwischen Werbenden / Mitarbeitenden der Verwaltung und den Schulabsolventen´ möglich ist, wie z. B. Ausbildungsmessen, Praktika, Schulbesuche, Tage der offenen Tür. Wenn wir uns alle wieder ungehemmt persönlich begegnen können, wird das stundenlange Recherchieren, Lesen und Zoomen am Bildschirm nicht mehr so attraktiv sein.
Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon
Quellen:
Anger, S., Bernhard, S., Dietrich, H., Lerche, A., Patzina, A., Sandner, M., Toussaint, C. (2021). Der Abiturjahrgang 2021 in Zeiten von Corona: Zukunftssorgen und psychische Belastungen nehmen zu.
https://www.iab-forum.de/der-abiturjahrgang-2021-in-zeiten-von-corona-zukunftssorgen-und-psychische-belastungen-nehmen-zu/ (Abruf am 4.2.2022).
Schön, S. (2021). Verändert sich das Berufswahlverhalten von Abiturienten durch die Corona-Pandemie? Unveröffentlichte Thesis-Arbeit. Gelsenkirchen: Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.
1 Die Anfügung eines Apostrophs an einen Begriff (z. B. der Mitarbeiter‘) kennzeichnet, dass mit diesem Begriff Menschen jeglichen Geschlechts umfasst werden. Wird einem Begriff ein Apostroph vorangestellt (z. B. der ´Mitarbeiter), sind damit Menschen diversen Geschlechts gemeint.
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