Liebe Leserinnen und Leser,
in diesem Blog wird das „Inventar zur Erfassung von Arbeitsmotiven“ rezensiert (Kanning, 2016). Bevor jedoch die Konstruktion, die Qualität und Anwendungsmöglichkeiten dargestellt werden, soll kurz darauf eingegangen werden, was Motive sind, welche Bedeutung sie im Arbeitsleben haben und warum die Kenntnis über die Ausprägung von Motiven bei Beschäftigten so wertvoll ist.
Mit dem Begriff Arbeitsmotiv wird in der Psychologie umschrieben, was einer Person im Arbeitsleben wichtig ist bzw. was eine Person im Arbeitsleben erreichen möchte (Kanning, 2016, S. 10). Menschen unterscheiden sich darin, welche Arbeitsmotive bei ihnen vorherrschend sind. Angenommen wird, dass einige Arbeitsmotive im Laufe des Arbeitslebens in ihrer Ausprägung konstant bleiben, andere an Bedeutung zu- oder abnehmen (Grube & Hertel, 2008, S. 21). Im Arbeitsleben können sich nun Gelegenheiten bieten, Arbeitsmotive zu befriedigen. Dies setzt in der Regel Handlungen der Person voraus. Werden mit diesen Handlungen behördliche Aufgaben erledigt, stellen diese Handlungen aus Sicht der Organisation oder Behörde erwünschtes Leistungsverhalten dar. Organisationen oder deren Führungskräfte motivieren Beschäftigte, indem sie ihnen Gelegenheiten schaffen, ihre Arbeitsmotive zu befriedigen. Unter Motivation wird das Ausmaß des inneren Handlungsdrucks oder der Bereitschaft verstanden, mit der eine Person in einer konkreten Situation versucht, ein Motiv zu befriedigen.
Beispiel:
Einer Mitarbeiterin ist es sehr wichtig, Anerkennung und Lob durch Mitmenschen zu erfahren. Ihre Chefin bietet ihr eine Gelegenheit, dieses Motiv zu befriedigen, indem sie der Mitarbeiterin die Aufgabe überträgt, einem Ratsausschuss die Ergebnisse eines erfolgreich abgeschlossenen Projekts zu präsentieren. Mittels dieser Motivierung durch die Chefin entsteht in der Mitarbeiterin eine hohe Motivation; sie fertigt nämlich eine aufwendig gestaltete PowerPoint-Präsentation an und übt den Ablauf der Präsentation mehrmals.
Motive stellen im Arbeitsleben einen wichtigen Bestimmungsgrund für das Leistungsverhalten dar1. Deshalb sollten Führungskräfte die Motive der Beschäftigten kennen, aber auch wissen, welche Motive durch die von ihnen zu vergebende Arbeit befriedigt oder nicht befriedigt werden können. Durch die Kenntnis der Motive von Beschäftigten und die Befriedigungsangebote der Arbeit können Beschäftigte angemessen motiviert werden. Weiterhin ist die Kenntnis von Motiven und Befriedigungsangeboten auch bei der Personalauswahl, dem Personaleinsatz oder der Personalentwicklung bedeutsam. Es sollten nur solche Bewerbende ausgewählt werden, deren Motive durch die mit der Stelle verbundenen Aufgaben sowie die Aufgabendurchführungsbedingungen befriedigt werden können.
Seit 2016 liegt nun ein Instrument vor, mit dem zum einen die Motive von Bewerbenden oder Beschäftigten sowie zum anderen die Befriedigungsangebote einer Stelle gemessen werden können. Der Autor des Inventars zur Erfassung von Arbeitsmotiven (IEA) ist Professor Uwe Peter Kanning, ein erfahrener Eignungsdiagnostiker. Das Instrument umfasst mehrere Fragebogen: sowohl der Fragebogen zur Erfassung von Arbeitsmotiven als auch der Fragebogen zur Erfassung von Befriedigungsangeboten („Inventar zur Erfassung von Arbeitsmotiven – Arbeitsanalyse“) liegen in einer Lang- und Kurzversion vor. Die Kurzversionen enthalten 32, die Langversionen 97 Items. Die Bearbeitung der Items erfolgt durch Ankreuzen. Zur Bearbeitung der Langversionen werden etwa 15 Minuten benötigt, dieselbe Zeit wird etwa auch zur etwas umständlichen Auswertung des Fragebogens benötigt. Pro Bewerbenden entstehen bei der Langversion Materialkosten von ca. 4 Euro. Es liegt ein informatives und gut gestaltetes Testhandbuch vor. Das IEA kann bei Personen ab 16 Jahren angewendet werden.
Kanning identifizierte bei der Sichtung der umfangreichen Forschungsliteratur 75 Motive. Diese fasste der Entwickler des IEA zu 16 Primärmotiven zusammen, die nachfolgend skizziert werden (Kanning, 2016, S. 23 ff):
Selbstbezug – für Personen, mit einer hohen Ausprägung dieses Motivs, ist der Beruf oder die Aufgabe kein „Job“, den man beliebig wechseln kann. Sie wollen sich mit ihrer Person, ihren Werten, ihren Erfahrungen, ihrem Können in die Aufgabenerledigung einbringen,
Autonomie – bei einer hohen Ausprägung wollen die Beschäftigen möglichst selbständig handeln und nicht fremdgesteuert sein,
Entwicklung – umfasst den Wunsch, sich in der Arbeit weiterentwickeln zu können, z. B. im Hinblick auf Kompetenzentwicklung aber auch Karriere,
Abwechslung – Menschen mit einer hohen Ausprägung ist es wichtig, in der Arbeit Abwechslung zu haben, Neues zu lernen. Menschen mit einer niedrigen Ausprägung bevorzugen Routineaufgaben,
Selbstwert – hier geht es darum, stolz auf seine Arbeit und seinen Arbeitgeber sein zu können, etwas Sinnvolles zu tun,
Führung – für Beschäftigte mit einer hohen Ausprägung in diesem Motiv sind Führungskräfte mit einem stark mitarbeiterorientieren Führungsstil bedeutsam,
Materielles – wichtig ist es hier, mit der Arbeit viel Geld verdienen zu können,
Macht – Menschen mit einem hohen Machtmotiv möchten Führungskraft werden, andere anleiten und kontrollieren,
Ansehen – hier geht es darum, über die berufliche Tätigkeit Ansehen und von Mitmenschen dadurch Anerkennung zu erlangen,
Leistung – wichtig ist Personen mit einer hohen Ausprägung dieses Motivs eine Stelle innezuhaben, in der Leistung zählt und in der Leistung - und nicht z. B. Netzwerke, Quoten, Parteibücher – die Karriere determiniert,
Komfort – bei einer hohen Ausprägung dieses Motivs ist die Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Arbeitswerkzeuge und der Arbeitsumgebung bedeutsam,
Prosozialität – Beschäftigte mit einer hohen Ausprägung wollen anderen helfen, dem Gemeinwohl dienen,
Anschluss – wichtig ist Menschen, die viel Wert auf dieses Motiv legen, dass sie im Team mit Kolleginnen und Kollegen arbeiten, mit denen sie sich auch privat austauschen und Freundschaften aufbauen können,
Aktivität – Menschen mit einer hohen Ausprägung wollen sich in der Arbeit körperlich bewegen,
Sicherheit – bei diesem Motiv geht es darum, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Dies bezieht sich zum einen auf die Beschäftigungssicherheit, aber auch auf den Schutz vor gesundheitlichen Risiken,
Diese 16 Primärmotive hat der Testautor faktorenanalytisch zu vier Sekundärmotiven zusammengefasst. Zwar mag die Zuordnung faktorenanalytisch gut begründet sein, inhaltlich vermittelbar ist z. B. die Zusammenlegung der Motive Prosozialität, Anschluss und (körperliche) Aktivität zu einem Sekundärmotiv „Soziales“ nicht. Mittels der Kurzversionen des IEA werden ausschließlich die Ausprägungen der Sekundärmotive erfasst.
Für die Interpretation des Ausmaßes von Motiven stehen Normen zur Verfügung. Die Größe der Gesamtnormierungsstichprobe ist beeindruckend (n = 4662 Personen; Kanning, 2016, S. 103), allerdings ist die Zusammensetzung der Stichprobe in hohem Maße durch Studierende und durch Personen mit hohen Bildungsabschlüssen geprägt. Es liegen Normen für Personen ohne Berufserfahrung sowie für Personen mit und ohne Führungsverantwortung vor.
Das IEA weist konstruktionsbedingt eine hohe Objektivität auf: Mehrere Anwender des Verfahrens werden bei derselben bewerbenden Person oder derselben Stelle zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangen. Die Re-Test-Reliabilität ist – bei einem Zeitraum von einem halben Jahr – erstaunlich hoch (r = 0,79 bis 0,92; Kanning, 2016, S. 71), d. h. das Inventar misst die Motive zuverlässig. Umfangreiche Untersuchungen wurden zur Konstruktvalidität durchgeführt: So wurden die statistischen Zusammenhänge zu anderen Personenmerkmalen wie den Big Five oder beruflichen Interessen sowie zu ähnlichen Motiven, die mit anderen Fragebogen gemessen wurden, erfasst. Dabei zeigten sich durchweg plausible Zusammenhänge. Untersuchungen zur prognostischen Validität sind im Manual nicht dokumentiert. Durch Studien wurde zudem festgestellt, dass das IEA in befriedigendem Maße durch Bewerbende akzeptiert wird. Befriedigungsangebote von Stellen können durch das Verfahren mit einer recht kleinen Anzahl von Arbeitsplatzexperten2 (drei bis vier Beurteilende) zutreffend ermittelt werden.
Der Testautor listet Berufsberatung, Personalmarketing, Personalauswahl, Personalentwicklung, Führung und Forschung als Anwendungsbereiche auf. Für das Personalmanagement im öffentlichen Sektor ergeben sich folgende interessante Anwendungsmöglichkeiten:
durch die Ermittlung von Befriedungsangeboten von Stellen kann das Employer Branding unterstützt werden. Für die Personalwerbung ergeben sich fundierte Hinweise, was die Arbeit in der Verwaltung den späteren Stelleninhabern bieten kann. Hierzu sollte die Langversion des „Inventars zur Erfassung von Arbeitsmotiven – Arbeitsanalyse“ zumindest drei aktuellen Stelleninhabern vorgegeben werden,
die Ermittlung von Befriedigungsangeboten kann auch zur präziseren Fassung von Anforderungsprofilen und Stellenausschreibungen verwendet werden. Damit wären die Bewerbenden besser über die Befriedigungsangebote der ausgeschriebenen Stellen informiert, die Selbstselektion würde dadurch gefördert, somit sollte auch der Aufwand bei der Personalauswahl vermindert werden können,
die Passung der Ausprägung von Motiven im Vergleich zu den Befriedigungsangeboten von Stellen könnte als Auswahlkriterium berücksichtigt werden. Es ist zu erwarten, dass dadurch die Personalauswahl von externen Bewerbenden prognostisch valider wird,
die Zuordnung von Beschäftigten, die gerade interne Ausbildungs- oder Studiengängen absolviert haben und nun Arbeitsstellen zugeordnet werden sollen, könnte mit Unterstützung des IEA erfolgen. Dies sollte bei den jungen Nachwuchskräften eine höhere Bindung an den Arbeitgeber bzw. eine geringere Fluktuationsneigung zur Folge haben,
Mit dem IEA liegt ein Verfahren vor, welches das eignungsdiagnostische Instrumentarium in innovativer Weise ergänzt. Das IEA ist solide konstruiert, weist gute psychometrische Qualität auf und ist mit geringem Aufwand anwendbar. Motive, die für das Arbeitsleben bedeutsam sind, können objektiv, zuverlässig und valide gemessen werden. Die Anwendungsmöglichkeiten in den Bereichen Personalmarketing, -auswahl und -entwicklung sind vielfältig und vielversprechend. Auf die Verwendung der Kurzversion würde ich verzichten, weil die Ergebnisse nach meiner Auffassung weniger informativ sind und die Zeitersparnis geringfügig ist. Im Rahmen der Personalauswahl ist vor allem die Passung von Arbeitsmotiven und Befriedigungsangeboten interessant. Auf die Veröffentlichung der ersten praktischen Erfahrungen aus dem öffentlichen Sektor können wir gespannt sein.
Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon
Quellen:
Grube, A. & Hertel, G. (2008). Altersbedingte Unterschiede in Arbeitsmotivation, Arbeitszufriedenheit und emotionalem Erleben während der Arbeit. Wirtschaftspsychologie, 4/2008, S. 18 – 29.
Kanning, U. P. (2016). IEA – Inventar zur Erfassung von Arbeitsmotiven. Göttingen: Hogrefe.
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