Liebe Leserinnen und Leser,
Mitte September habe ich den KGSt-Kongress in Dresden besucht. Beeindruckt war ich von den vielfältigen Informationsangeboten in Form von Vorträgen und Workshops, der hohen Teilnehmeranzahl (2.200), dem intensiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, der perfekten Organisation und den wunderbar gelegenen Kongressräumlichkeiten. Der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement gebührt hohe Anerkennung für die optimale Planung und Durchführung der Veranstaltung!
Eine intensiv diskutierte Frage war, welche Kompetenzen Führungskräfte und Mitarbeiter zukünftig aufweisen sollten. Mit dieser Frage beschäftigen sich auch viele Kollegen, die Nachwuchskräfte auswählen, Mitarbeiter entwickeln oder zukünftige Führungskräfte trainieren sollen. Grundlage für eine vernünftige Personalauswahl und –entwicklung muss ein sorgsam erarbeitetes Kompetenz- bzw. Anforderungsprofil sein. Diese derzeit formulierten Anforderungsprofile stellen die Weichen dafür, über welche Fähigkeiten, Fertigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale das Personal in Zukunft verfügen wird.
Gewöhnlich – und so auch während des Kongresses – werden Listen mit Kompetenzen, Fähigkeiten und anderen Personenmerkmalen präsentiert. Viele der dort aufgeführten Merkmale sind auf den ersten Blick beeindruckend und überzeugend (z. B. Ambiguitätstoleranz, Resilienz, interkulturelle Kompetenz).
Bei einer zweiten Betrachtung entsteht bei mir allerdings ein deutlicher Hauch von Unbehagen. Wie kann man denn erkennen, ob ein konkretes, wohlklingendes Anforderungsprofil auch tatsächlich für Maßnahmen der Personalauswahl und –entwicklung tragfähig ist? Gibt es Qualitätskriterien für Anforderungs- bzw. Kompetenzprofile?
Im folgenden werde ich in Thesenform einige Qualitätskriterien für Anforderungsprofile beschreiben. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese ergänzen oder kommentieren würden!
1. Anforderungsprofile sollten sich auf einzelne Beschäftigtengruppen beziehen
Es scheint mir unnütz zu sein, ein Anforderungsprofil für die gesamte Belegschaft z. B. einer Kommunalverwaltung zu formulieren. Die Anforderungen für Erzieherinnen in einer Kita, dem Leiter der Kämmerei und einer Bauingenieurin unterscheiden sich doch wesentlich voneinander. Zwanghaft diese Unterschiede in eine Anforderungsschablone zu pressen, wird der Sache einer effektiven Personalauswahl- und –entwicklung nicht gerecht. Im Vorfeld einer Profilformulierung sind Beschäftigtengruppen im Hinblick auf gleichartige Anforderungen zu bilden; dies können z. B. Berufsgruppen (z. B. Ärzte, Juristen) oder Funktionsgruppen (z. B. Führungskräfte, Unterstützungspersonal) sein.
2. Anforderungsprofile sollten auf einer systematischen Analyse der aktuellen Tätigkeiten gründen
Diejenigen, die Anforderungsprofile erstellen, sollten die Tätigkeiten der betroffenen Beschäftigten sehr gut kennen. Um die Tätigkeiten und die damit verbundenen Anforderungen erfolgreich zu erfassen und zu erheben, können eine Reihe von Erkenntnisquellen und Methoden benutzt werden. Diese reichen von der eigenen Anschauung der Tätigkeit, über die Befragung von Stelleninhabern, Vorgesetzten, Kollegen und Kunden, bis hin zur Anwendung spezieller arbeitsanalytischer Verfahren (hierzu gehört z. B. die Methode der „critical incidents“). Sofern eine Beschäftigtengruppe groß genug ist und sich ihre Tätigkeit im Laufe der Zeit wenig ändert, lassen sich Anforderungsprofile auch durch eine psychologische Analyse der erfolgreich Tätigen ermitteln.
3. Anforderungsprofile sollten auf der systematischen Analyse der zukünftigen Tätigkeiten gründen
Nicht nur die aktuellen, auch die zukünftigen Tätigkeiten sind wesentlich für die Formulierung eines Anforderungsprofils. Mit hoher Prognosegüte lassen sich beispielsweise Veränderungen vorhersagen, die durch neue Gesetze oder Gesetzesänderungen hervorgerufen werden. Ein Wandel in den Anforderungen, die auf gesellschaftlichen, politischen oder technologischen Änderungen gründen, lassen sich weniger präzise vorhersagen, müssen aber bei der Formulierung des Anforderungsprofils ebenso berücksichtigt werden.
4. Kompetenzmerkmale sollten operationalisiert sein
Wohlklingende Begriffe in einem Anforderungsprofil helfen wenig, wenn jeder unter einem Begriff etwas anderes versteht. Die einzelnen Merkmale eines Anfoderungsprofils müssen zumindest definiert werden. Besser noch: es müssen konkrete Beispiele aufgelistet werden, in welchen Tätigkeiten die entsprechenden Merkmale bedeutsam sind und wie sie sich auswirken (Operationalisierung).
5. Das Anforderungsprofil sollte Hinweise darauf enthalten, wie die aufgelisteten Merkmale ausgeprägt sein sollten
Beispielsweise sind Mindest-, Höchst- oder Idealausprägungen der Kompetenzmerkmale anzugeben. Von einem Dezernenten wird sicherlich eine höhere Stressstabilität erwartet als vom Kassierer im Museum. Diese Unterschiede im Ausmaß sind unter Verwendung eines einheitlichen Maßstabs anzugeben.
6. Das Anforderungsprofil sollte Hinweise darauf enthalten, wie bedeutsam die einzelnen aufgelisteten Merkmale sind
In jeder Tätigkeit wird es Kompetenzmerkmale geben, die wichtiger als andere sind. Beispielsweise wird ein Sachbearbeiter im Ordungsamt über rhetorische Fertigkeiten verfügen müssen. Noch wichtiger ist jedoch, dass sie oder er maßgebliche gesetzliche Bestimmungen kennt und rechtssicher anwenden kann. Die Bedeutung einzelner Merkmale kann durch Gewichtungen ausgedrückt werden.
7. Es sollte zwischen notwendigen und förderlichen Merkmalen unterschieden werden
Kompetenzprofile und –kataloge zeichnen sich oftmals durch eine große Anzahl von Kompetenzmerkmalen aus. Nähme man diese Kataloge beispielsweise in der Personalauswahl ernst, würden Stellenbesetzungsverfahren mangels geeigneter Bewerber kaum mehr erfolgreich abgeschlossen werden können. Um die Komplexität zu reduzieren, hilft es zu unterscheiden, ob ein Merkmal zwingend notwendig oder „nice to have“ ist.
Ihr
Andreas Gourmelon
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