In seinem Beschluss stellt das Gericht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB die Unwirksamkeit eines nach der VOB/A Abschnitt 1 national ausgeschriebenen Bauauftrages, der sich auf eine vollständig neue Medienausstattung eines Berufsbildungszentrums bezog, fest. Der Auftrag umfasste die Lieferung von Hardware, Software, Displays, der Audio- und Signalanlage samt Montage und Demontage der Altanlage sowie der Montage- und Werkstattplanung. Die Verkabelungsleistungen am Gebäude hatte der Auftraggeber separat national ausgeschrieben.
Anders als der Auftraggeber stuft das Gericht den Leistungsgegenstand nicht als Bau-, sondern als Lieferauftrag ein. Mit weitreichenden Folgen, denn wegen Überschreitens des für Lieferaufträge geltenden (niedrigeren) EU-Schwellenwerts hätte die Leistung europaweit ausgeschrieben werden müssen. Weil das nicht erfolgt ist, entschied das Gericht, dass der Vertrag zwischen dem Auftraggeber und dem Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam sei. Die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags führe notwendigerweise zu dessen Rückabwicklung, also zum Ausbau und zur Rückgabe der Geräte.
Für Auftraggeber und Auftragnehmer ein „Totalschaden“!
Das BayObLG setzt sich in seiner Entscheidung mit diversen äußerst praxisrelevanten vergaberechtlichen Fragestellungen auseinander:
- Zunächst stellt das Gericht den Meinungsstand zur Abgrenzung von Bau- und Lieferaufträgen anhand von ganz konkreten Fallgestaltungen dar. Das Gericht kommt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass der Auftrag über die Medienausstattung des Berufungsbildungszentrums weder im Hinblick auf den Umfang und die Bedeutung der (mit)geschuldeten Bauleistungen noch unter Berücksichtigung der Bedeutung der zu beschaffenden Geräte für die Funktionsfähigkeit des Berufsbildungszentrums als Bauauftrag zu qualifizieren sei. Vielmehr handele es sich um einen Lieferauftrag. Mit diesem Ergebnis waren die Weichen für die weiteren Feststellungen des Gerichts gestellt, denn der deutlich niedrigere EU-Schwellenwert für Lieferaufträge statt für Bauaufträge war unstrittig überschritten.
- Nach Auffassung des Gerichts ist § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch auf die vorliegende Fallkonstellation anwendbar, in der der Auftrag – unzulässig – nur national ausgeschrieben war und die Antragstellerin ein Angebot abgegeben hat. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB stelle nach seinem Wortlaut nur darauf ab, dass keine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union stattgefunden hat. Auf die Frage, ob national ausgeschrieben wurde, komme es nach dem Wortlaut nicht an. Zudem ergebe sich aus § 135 Abs. 2 S. 1 GWB, dass eine Unwirksamkeit des Vertrags auch dann möglich sei, wenn es „betroffene Bieter und Bewerber“ gegeben habe.
- Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bestehen bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB keine Rügeobliegenheiten. Dies gilt aus Sicht des BayObLG auch, wenn sich ein Unternehmen auf die Verletzung weiterer vergaberechtlicher Vorschriften (wie z.B. unzulässige produktspezifische Vorgaben oder unzulässiger Ausschluss vom Vergabeverfahren) berufe. § 160 Abs. 3 S. 2 GWB macht demnach für alle „im Huckepack“ mit einem Feststellungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB geltend gemachten Verfahrensfehler eine Rüge entbehrlich. Eine Rügepflicht lasse sich nach Meinung des Gerichts auch nicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis ableiten. Die Konstruktion einer Rügepflicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis liefe letztlich auf eine Korrektur des § 160 Abs. 3 S. 2 GWB hinaus, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung gäbe.
- Die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB beginnt nach Auffassung des BayObLG nicht bereits mit dem Ablauf der Bindefrist im Rahmen einer – unzulässigen – nationalen Ausschreibung. Zum einen lasse sich aus dem Ablauf der Bindefrist nicht schließen, dass der Zuschlag erteilt wurde. Eine Verpflichtung des Auftraggebers zur Zuschlagserteilung bestehe nicht. Zum anderen genüge die bloße Kenntniserlangung von einem Vertragsschluss auf andere Weise als durch Information des Auftraggebers für die Fristauslösung nicht.
- Das Gericht weist zudem darauf hin, dass sich auch ein Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags erledigen könne, so dass nur noch die Feststellung begehrt werden könne, der Vertragsschluss sei rechtswidrig gewesen und habe den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Eine Erledigung komme aber nur dann in Betracht, wenn der Beschaffungsbedarf unumkehrbar erfüllt sei, so dass ein primärer Rechtsschutz, der letztlich auf erneute Ausschreibung gerichtet ist, nicht mehr erreicht werden könne, etwa weil die ausgeschriebene Leistung auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt war und nicht nachgeholt werden kann. Die Lieferung von Gütern an den Auftraggeber stelle hingegen noch keine unumkehrbare Erfüllung dar, solange die Rückabwicklung zum Wiederaufleben des Beschaffungsbedarfs führen könne. Eine Erledigung eines Antrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB durch Erlöschen des Beschaffungsbedarfs liege daher nicht vor, wenn die beschafften Gegenstände – wie im vorliegenden Fall – wieder ausgebaut und zurückgegeben werden könnten. Ob und in welchem Umfang die Geräte eine Wertminderung erfahren hätten und in welcher Höhe der Auftraggeber an den bisherigen Auftragnehmer gegebenenfalls Wertersatz für Nebenleistungen wie die Montage zu erbringen habe, sei dabei unbeachtlich.
- Außerdem stellt das Gericht klar, dass auch bei einem Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB der im Rahmen der nationalen Ausschreibung nicht berücksichtigte Bieter nur antragsbefugt sei, wenn er außer dem Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch darlege, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung bessere Chancen auf den Zuschlag hätte. Dies war vorliegend erfüllt, da die Antragstellerin nicht nur die fehlende europaweite Ausschreibung geltend machte, sondern auch vortrug, dass die Ausschreibung nicht produktneutral und auch ihr Ausschluss wegen der zunächst nur partiell erteilten Zustimmung zur Verlängerung der Bindefrist unzulässig gewesen sei. Zudem hatte die Antragstellerin das preislich günstigste Angebot abgegeben.
- Schließlich macht das Gericht deutlich, dass durch die Bitte des Auftraggebers um Verlängerung der Bindefrist über das in den Vergabeunterlagen vorgesehene Datum hinaus nicht die Vergabeunterlagen geändert würden. Ein Ausschluss des Angebots eines Bieters, der dem zunächst nicht in vollem Umfang nachkommen möchte, sei weder nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 noch nach Nr. 4 VgV möglich.
Praxishinweis
Wegen der unterschiedlichen EU-Schwellenwerte für Bau- und Lieferaufträge als maßgebliche Kriterien für die Durchführung eines nationalen oder europaweiten Vergabeverfahrens ist die Einstufung des jeweiligen Leistungsgegenstandes mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen. Dabei sollten die vom BayObLG zitierten Einzelfallentscheidungen herangezogen werden. Im konkreten Fall gab es zwar keine Anhaltspunkte dafür, aber es ist dringend davon abzuraten, einen Auftrag „zielgerichtet“ als Bauauftrag zu qualifizieren, um aufgrund des höheren Schwellenwertes für Bauaufträge ein europaweites Vergabeverfahren zu vermeiden. Der Beschluss des BayObLG zeigt doch sehr deutlich, mit welchen Risiken ein solches Vorgehen verbunden sein kann. Die Rückabwicklung eines bereits vollständig erfüllten Auftrages ist ein Worst-Case-Szenario, aus dem auch Schadensersatzansprüche des bisherigen Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber erwachsen können.
Rudolf Ley