Der Auftraggeber hatte zur Markterkundung Gespräche im befreundeten Expertenkreis, eine Vorstellung des Geräts des späteren Auftragnehmers auf einer Fachmesse und eine Internetrecherche durchgeführt.
Im Vergabevermerk rechtfertigte der Auftraggeber die Direktvergabe im Fazit wie folgt:
„Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass das … der Fa. ….für uns die einzige sinnvolle Wahl darstellt. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig die technischen Notwendigkeiten zur Bearbeitung unserer Projekte, die nur bei diesem Gerät in vollem Umfang erfüllt werden. Ein erleichterter Einstieg durch bereits geschulte Mitarbeiter und die sichergestellte Kompatibilität mit bereits erzeugten Druckstrategien (Zeit- und Geldersparnis) kommen als Vorteile noch dazu.“
Diese Feststellungen tragen aus Sicht der Vergabekammer nicht die Feststellung, dass aus technischen Gründen kein Wettbewerb im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV vorhanden sei. Keine der genannten technischen Besonderheiten führten nachweislich dazu, dass das Gerät der Antragstellerin (die als konkurrierendes Unternehmen das Nachprüfungsverfahren angestrengt hatte) nicht als vernünftige Ersatzlösung oder Alternative zur Erreichung des mit der Beschaffung verfolgten Zwecks in Betracht käme. Die vom Auftraggeber durchgeführte Markterkundung sei nicht ausreichend gewesen.
Die Vergabekammer stützte ihre Sicht dabei auf folgende Kernaussagen (Hervorhebungen durch Verfasser):
„Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV, die Art. 32 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung, einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen (Erwägungsgrund 50 der Richtlinie 2014/24/EU). Der öffentliche Auftraggeber hat dabei das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 - Verg 13/17). Hierbei sind stichhaltige Belege beizubringen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen ergibt, (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, Rs. C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013 – Verg 24/13). Die Gründe für die Wahl des Verfahrens sind ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren.“
„Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb muss durch eine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgen (EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – Rs. C-275/08). Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen, bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind konsequenterweise ebenfalls hoch (VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 – VK 1-75/19). Die Rechtsprechung verlangt diesbezüglich „ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene“ (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 – Rs. C-275/08) bzw. die Beibringung "stichhaltiger Beweise" (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Der 50. Erwägungsgrund der RL 2014/24/EU nennt als ein Beispiel dafür, was vom Auftraggeber dazulegen und zu beweisen ist, um zu Recht auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren zu verzichten, dass es für andere „Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen“.“
„Zwar ist eine Markterkundung mittels einer Internetrecherche nicht per se unzureichend, allerdings stellen sowohl die Beigeladene als auch die Antragstellerin aus strategischen Gründen nicht alle Möglichkeiten ihrer Geräte in allen Einzelheiten frei verfügbar auf ihrer Internetpräsenz vor. Die reine Auswertung der Internetpräsenz ist für eine Markterkundung jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn bei anderen Anbietern aus anderen Quellen gewonnene Informationen herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, wenn es sich dem öffentlichen Auftraggeber aufdrängen muss, dass in diesem Marktsegment nicht alle Informationen frei im Internet zugänglich sind, beispielsweise wenn auch das Produkt, das letztlich als einziges technisch geeignetes Produkt eingestuft wurde, gerade die im Vergabevermerk als relevant und ausschlaggebend bezeichneten Spezifikationen ebenfalls nicht umfänglich frei auf seiner Website präsentiert. Dies hätte dem Antragsgegner bei seiner Recherche auffallen müssen, da er bei der Beigeladenen im Vorfeld schriftlich bezüglich diverser Funktionen und Möglichkeiten ihres Gerätes explizit angefragt hat und so dort spezifisch abgeklärt hat, ob das Gerät auch den Ansprüchen des Antragsgegners genügen würde. Dies hätte er im Rahmen einer ordnungsgemäßen Markterkundung auch bei anderen Herstellern tun müssen, anstatt ausschließlich die Angaben auf den Webseiten der Hersteller heranzuziehen.“
„Führt die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber dazu, dass im Sinne des§ 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) oder b) VgV der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, greift das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV ein, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb, mithin eine Vergabe außerhalb des Wettbewerbs, nur dann gelten, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers unterliegt damit engeren vergaberechtlichen Grenzen als dies bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens der Fall ist. Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führt (OLG Rostock, Beschluss vom 25.11.2020 – 17 Verg 1/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17).
Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder rein wirtschaftliche Vorteile im Falle der Leistungserbringung durch ein bestimmtes Unternehmen reichen dafür jedoch nicht aus (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.11.2021 – 13 Verg 9/21). Die Einschätzung des Auftraggebers, dass ein bestimmter Anbieter die Leistungen am besten erfüllen kann, genügt ebenfalls nicht um die Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu begründen (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.12.2022 – VK 1-4/22).“
Rudolf Ley
Gerne können Sie auch unser Kontaktformular benutzen und wir melden uns bei Ihnen.
Kontaktformular