Nunmehr vollzieht das OLG Düsseldorf im Beschluss vom 21.6.2023 (27 U 4/22) eine Kehrtwende und weist darauf hin, dass es dies „in vollständig neuer personeller Besetzung“ (gegenüber dem Beschluss vom 13.12.2017) tue. Der dem aktuellen Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt bezieht sich auf die Vergabe von Rahmenverträgen für Rechtsberatungsleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte in Nordrhein-Westfalen.
2017 vertrat das OLG Düsseldorf im Rahmen eines nicht entscheidungstragenden sog. obiter dictums („nebenbei Gesagtes“) die Auffassung, dass viel dafürspreche, dass den öffentlichen Auftraggeber auch bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte eine Informations- und Wartepflicht vor dem Vertragsschluss treffe. Dies folge aus den gemeinsamen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers verlangten. Auch die nationale Spruchpraxis kenne entsprechende Informations- und Wartepflichten, wie beispielsweise bei der Beamten- und Richterbeförderung sowie etwa bei der Vergabe von Wochenmarktveranstaltungen. Führe man diese Grundsätze konsequent fort, müsste – da nur dies effektiven Rechtsschutz gewährleiste – ein unter Außerachtlassung der Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig eingestuft werden.
Dieser etwas gewagten Herleitung ist kein weiterer Vergabesenat gefolgt und auch in der Literatur sind die Aussagen auf viel Kritik gestoßen. Nun macht das OLG Düsseldorf selbst einen Rückzieher.
Aus Sicht des jetzt entscheidenden Senats sei für eine analoge Anwendung des § 134 GWB mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum. Bei der Erarbeitung der UVgO sei von einer § 134 GWB entsprechenden Informations- und Wartepflicht nach Diskussion gerade abgesehen worden. Nach § 46 Abs. 1 S. 1 UVgO unterrichte der Auftraggeber jeden Bewerber und jeden Bieter unverzüglich über den Abschluss einer Rahmenvereinbarung oder die erfolgte Zuschlagserteilung. Die UVgO sehe also nur eine nachgelagerte Unterrichtung über den bereits erfolgten Abschluss beziehungsweise die Zuschlagserteilung vor.
Die Schaffung einer Vorabinformations- und Wartepflicht als besondere Vorkehrung für die Durchsetzung von Primärrechtsschutz auch im Unterschwellenbereich sei auch nicht aufgrund des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten. Es liege im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, das Interesse des Auftraggebers an einer zügigen Ausführung der Maßnahmen und das des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit dem Interesse des erfolglosen Bieters an Primärrechtsschutz vorzuziehen und Letzteren regelmäßig auf Sekundärrechtsschutz (Schadensersatz) zu beschränken. Der Gesetzgeber sei daher verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, eine Pflicht der vergebenden Stelle zu einer rechtzeitigen Information der erfolglosen Bieter zu schaffen, wie sie für Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte besteht (BVerfG, Beschluss vom 13.6.2006, 1 BvR 1160/03).
Aus Sicht des OLG Düsseldorf konnte es im vorliegenden Fall dahinstehen, ob sich eine Informations- und Wartepflicht im Interesse vollständigen Rechtsschutzes aus dem EU-Gemeinschaftsrecht ergeben kann, da eine Binnenmarktrelevanz vorliegend nicht gegeben sei. Ein hierfür erforderliches grenzüberschreitendes Interesse bei Unterschwellenvergaben, das zu prüfen Sache des öffentlichen Auftraggebers sei, wobei Kriterien der Auftragswert und der Ausführungsort (EuGH, Urteil vom 15.5.2008, Rs. C-147/06 und Rs. C-148/06), aber auch Besonderheiten des betroffenen Marktes seien, habe der beklagte Auftraggeber zu Recht verneint. Hierfür sei allein die Grenzlage Nordrhein-Westfalens nicht ausreichend. Das Auftragsvolumen liege nur bei gut einem Viertel des Schwellenwerts. Zudem setze die nachgefragte Dienstleistung eine Qualifikation gerade im nationalen Recht voraus.
Im Übrigen wären die streitgegenständlichen Rahmenverträge selbst bei Annahme einer aus einem Gebot vollständigen Rechtsschutzes abzuleitenden Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB nicht nichtig, da aus Zuwiderhandlungen gegen diese, allein die Beklagte verpflichtenden Regelung keine Nichtigkeit eines gleichwohl abgeschlossen Vertrages folge. Für die nach § 134 BGB gebotene Abwägung sei wesentlich, ob sich das betreffende Verbot an alle Beteiligten des Geschäfts richte, das verhindert werden soll, oder ob das Verbot nur eine Partei binde. Seien beide Teile Adressaten des Verbots, könne regelmäßig angenommen werden, das verbotswidrige Geschäft solle keine Wirkungen entfalten. Richte sich das Verbot – wie hier – dagegen nur gegen eine Partei, sei regelmäßig der gegenteilige Schluss berechtigt.
Praxishinweis:
Die Länder Mecklenburg-Vorpommern (§ 12 VgG M-V), Niedersachsen (§ 16 NTVergG), Rheinland-Pfalz (§ 4 Nachprüfungsverordnung), Sachsen (§ 8 SächsVG), Sachsen-Anhalt (§ 19 LVG-SA) und Thüringen (§ 19 ThürVG) haben durch Gesetz oder Rechtsverordnung auch für unterschwellige Vergabeverfahren Informations- und Wartepflichten etabliert.
In diesen Bundesländern müssen die Vergabestellen die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll, und über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes informieren.
Rudolf Ley
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