Der Deutsche Bundestag hat am 16.12.2022 das „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ angenommen. Am Regierungsentwurf vom 27.07.2022 wurden dabei auf der Grundlage der Empfehlungen des Rechtsausschusses diverse Änderungen vorgenommen. Kern des Artikelgesetzes ist das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das auch Verstöße gegen das Vergaberecht oberhalb der EU-Schwellenwerte explizit in seinen Schutzbereich einbezieht. Darüber hinaus werden mit dem Artikelgesetz Folgeänderungen beispielsweise im Beamtenrecht vorgenommen. Das zustimmungspflichtige Gesetz muss jetzt noch final den Bundesrat passieren und soll drei Monate nach seiner Verkündung in Kraft treten.
Mit dem Gesetz sollen Hinweisgeber*innen (Whistleblower) im beruflichen Umfeld (Unternehmen und Verwaltung) bei der Meldung von Rechtsverstößen künftig umfassender vor Repressalien geschützt werden. In der Gesetzesbegründung führt die Bundesregierung aus, dass Hinweisgeber*innen einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen leisten bzw. deren negativen Folgen einzudämmen oder zu korrigieren. Es habe in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, in denen Hinweisgeber*innen infolge einer Meldung oder Offenlegung von Missständen benachteiligt wurden. In anderen Fällen sei davon auszugehen, dass Personen mit Insiderwissen von einer Meldung abgesehen haben, weil sie Repressalien fürchteten.
Das Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberschutzrichtlinie). Die Richtlinie war bis zum 17.12.2021 in den Mitgliedstaaten umzusetzen. Das Bundesministerium der Justiz hatte bereits im Dezember 2020 einen Referentenentwurf zur Umsetzung der Richtlinie in Deutschland in die Ressortabstimmung gegeben. Er konnte allerdings wegen des Widerspruchs damals unionsgeführter Ressorts nicht veröffentlicht werden. Im Februar 2022 hat die EU-Kommission wegen der ausstehenden Umsetzung ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
Nachfolgend werden die wichtigsten Regelungen des Hinweisgeberschutzgesetzes dargestellt:
Der persönliche Anwendungsbereich des HinSchG ist in § 1 entsprechend den Richtlinienvorgaben weit gefasst und umfasst alle natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben. Dies können neben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Beamtinnen und Beamten beispielsweise auch Selbstständige, Anteilseignerinnen und Anteilseigner oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lieferanten sein. Der Anwendungsbereich erstreckt sich auch auf hinweisgebende Personen, deren Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde.
Der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG ist festgelegt in § 2, der einen langen Katalog von Verstößen enthält, bei denen die Schutzwirkung des Gesetzes ausgelöst wird. Insbesondere sind alle Verstöße einbezogen, die strafbewehrt sind sowie bußgeldbewehrte Verstöße, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib, Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Erfasst sind auch Fälle, in denen Korruption, Geldwäsche oder Steuerbetrug aufgedeckt werden oder Verstöße gegen Vorgaben zum Umweltschutz oder zur Lebensmittelsicherheit. Gegenüber dem Regierungsentwurf wurde im parlamentarischen Verfahren der Anwendungsbereich u.a. um die Meldung von verfassungsfeindlichen Äußerungen von Beamtinnen und Beamten ergänzt. Das soll auch für Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle (z.B. in Chats) gelten. In der Begründung hierzu nahmen die Regierungsfraktionen auf die aktuellen Erfahrungen mit der Reichsbürgerszene Bezug.
Für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ist § 2 Abs. 1 Nr. 4 einschlägig, wonach Verstöße gegen bundesrechtlich und einheitlich geltende Regelungen für Auftraggeber zum Verfahren der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen und zum Rechtsschutz in diesen Verfahren ab Erreichen der jeweils maßgeblichen EU-Schwellenwerte erfasst sind. Adressiert sind damit GWB, VgV, SektVO, KonzVgV, VSVgV und VOB/A Abschnitte 2 und 3. Öffentliche Aufträge und Konzessionen, die unter Art. 346 AEUV fallende Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte beinhalten, sind vom Hinweisgeberschutzgesetz ausgenommen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3). Ebenso sind nicht erfasst Verstöße gegen unterschwelliges Vergaberecht, Landesvergabegesetze- und -verordnungen sowie gegen Vorschriften, die nur Vergaben der Bundesverwaltung betreffen. Erfüllen Verstöße gegen die nicht erfassten Vorschriften allerdings einen Straftatbestand, wie z.B. Bestechung oder Vorteilsannahme, Betrug, Untreue, ist der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG über § 2 Abs. 1 Nr. 1 eröffnet.
Relevant für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ist außerdem das in § 6 geregelte Verhältnis des Hinweisgeberschutzgesetzes zu in anderen Vorschriften normierten Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten. In Betracht kommen hier die Vorschriften zur Vertraulichkeit im Vergabeverfahren wie § 5 VgV, § 5 SektVO und § 4 KonzVgV. Entsprechend geschützte Informationen dürfen an eine zuständige Meldestelle weitergegeben oder unter den Voraussetzungen des § 32 offengelegt werden, sofern die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder die Offenlegung des Inhalts dieser Informationen notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken.
Institutionelles Kernstück des Hinweisgeberschutzsystems sind die internen und externen Meldestellen, die hinweisgebenden Personen für eine Meldung von Verstößen zur Verfügung stehen. Entsprechend den Richtlinienvorgaben sind hinweisgebende Personen frei darin, für ihre Meldung die internen oder sogleich die externen Stellen zu wählen. Allerdings sollen Beschäftigungsgeber Anreize dafür schaffen, dass sich hinweisgebende Personen vor einer Meldung an eine externe Meldestelle zunächst an die jeweilige interne Meldestelle wenden. Die internen und externen Meldestellen prüfen die eingegangenen Meldungen und ergreifen die erforderlichen Folgemaßnahmen.
Beschäftigungsgeber müssen interne Meldestellen einrichten, an die sich Beschäftigte wenden können. Die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen betrifft sowohl die Privatwirtschaft als auch den gesamten öffentlichen Sektor, sofern bei der jeweiligen Stelle in der Regel mindestens 50 Beschäftigte hat. Spielräume, die die EU-Richtlinie 2019/1937 für Erleichterungen für Wirtschaft und Verwaltung bietet, wurden im HinSchG wahrgenommen. So sollen Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten für die Einrichtung interner Meldestellen bis zum 17.12.2023 Zeit haben. Auch können Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten, mit anderen Unternehmen zusammen eine gemeinsame Meldestelle betreiben. Die Einrichtung von internen Meldestellen soll den Unternehmen auch dadurch erleichtert werden, dass Dritte als interne Meldestellen (z.B. Rechtsanwaltskanzleien) beauftragt werden können oder diese innerhalb des Konzerns zentral bei der Konzernmutter angesiedelt werden können.
Für Gemeinden und Gemeindeverbände richtet sich die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen nach dem jeweiligen Landesrecht, da dem Bund insoweit infolge des „Durchgriffsverbots“ nach Artikel 84 Abs. 1 S. 7 GG eine unmittelbare Aufgabenübertragung an Gemeinden und Gemeindeverbände verwehrt ist. In Umsetzung von Art. 8 Abs. 9 Unterabsatz 2 der HinSch-RL kann insoweit im jeweiligen Landesrecht auch vorgesehen werden, dass Gemeinden und Gemeindeverbände mit weniger als 10 000 Einwohnern von der Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen ausgenommen werden.
Eine zentrale externe Meldestelle wird beim Bundesamt für Justiz (BfJ) eingerichtet (sog. One-stop-shop). Daneben werden die bestehenden Meldesysteme bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie beim Bundeskartellamt als weitere externe Meldestellen mit Sonderzuständigkeiten weitergeführt. Die externe Meldestelle des Bundes beim BfJ ist mit einer Bund-Länder-übergreifenden Zuständigkeit ausgestattet, die sowohl den öffentlichen Sektor als auch die Privatwirtschaft betrifft. Der externen Meldestelle des Bundes kommt darüber hinaus die Aufgabe zu, Personen, die eine Meldung erwägen, umfassend über die zur Verfügung stehenden Verfahren zu informieren und zu beraten. Den Ländern steht es frei, für Meldungen, die die jeweilige Landesverwaltung und die jeweiligen Kommunalverwaltungen betreffen, eigene externe Meldestellen einzurichten.
Wendet sich eine hinweisgebende Person mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit (z.B. über Medien oder soziale Netzwerke), genießt sie den gesetzlichen Schutz des HinSchG nur unter engen Voraussetzungen. Dies gilt etwa bei der Gefahr irreversibler Schäden oder in Fällen, in denen die externe Meldestelle nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat.
Wesentlich für die Akzeptanz des Hinweisgeberschutzsystems ist ein wirksamer Schutz der Identität der hinweisgebenden und sämtlicher von einer Meldung betroffenen Personen. Die Identität darf dabei grundsätzlich nur den jeweils für die Bearbeitung einer Meldung zuständigen Personen bekannt sein. Informationen über die Identität einer hinweisgebenden Person oder einer Person, die Gegenstand einer Meldung ist, sollen nur in Ausnahmefällen herausgegeben werden dürfen, etwa in Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden.
Um der Gefahr einer Überlastung des neuen Hinweisgeberschutzsystems vorzubeugen und erste Erfahrungen sowohl interner als auch externer Meldestellen abzuwarten, war im Regierungsentwurf keine Pflicht zur Bearbeitung anonymer Hinweise vorgesehen. Nach dem Ergebnis der parlamentarischen Beratungen ist nun vorgesehen, dass sich die Meldestellen mit anonymen Hinweisen beschäftigen müssen. Aus Sicht der Koalitionsfraktionen ermöglicht Anonymität grundsätzlich den größten Schutz für hinweisgebende Personen und kann zur Verringerung der Hemmschwelle zur Abgabe einer Meldung beitragen.
Das HinSchG sieht entsprechend den Richtlinienvorgaben verschiedene Schutzmaßnahmen für hinweisgebende Personen vor. Zentrales Element ist das Verbot von Repressalien. Hierzu werden alle ungerechtfertigten Nachteile wie beispielweise Kündigung, Abmahnung, Versagung einer Beförderung, geänderte Aufgabenübertragung, Disziplinarmaßnahmen, Diskriminierung, Rufschädigung oder Mobbing gezählt, die eine hinweisgebende Person infolge einer Meldung oder Offenlegung erleidet.
Um die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger zu verbessern, enthält das Gesetz in Umsetzung der Richtlinie eine Beweislastumkehr zugunsten der geschützten Person.
Das HinSchG enthält zudem zwei spezielle Schadensersatzvorschriften: Zum einen ist der hinweisgebenden Person bei einem Verstoß gegen das Repressalienverbot der daraus entstehende Schaden zu ersetzen. Dies gilt auch, wenn es sich nicht um einen Vermögensschaden handelt. Zum anderen ist im Falle einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschmeldung die hinweisgebende Person zur Erstattung des dadurch eingetretenen Schadens verpflichtet.
Verstöße gegen die wesentlichen Vorgaben des HinSchG sollen als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet werden können. Dies gilt beispielsweise für das Behindern von Meldungen oder das Ergreifen von Repressalien, aber auch das wissentliche Offenlegen unrichtiger Informationen. Auch das Nichtbetreiben einer internen Meldestelle ist bußgeldbewehrt.
Verfasser: Rudolf Ley
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