Was tun bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten?

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Anlässlich einer Vergabe von Leistungen der Schülerbeförderung machte das OLG Schleswig mit Beschluss vom 19.7.2023 (54 Verg 3/23) einige grundlegende und für die Vergabepraxis wichtige Aussagen zum Umgang mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten nach § 60 VgV.

Zur Antragsbefugnis konkurrierender Bieter im Nachprüfungsverfahren:

„Die Regelungen über die Aufklärungspflicht nach § 60 Abs. 1 VgV, die Vorgaben über die Vornahme der Prüfung nach Maßgabe von § 60 Abs. 2 VgV und auch die Beachtung der Vorschriften gemäß § 60 Abs. 3 VgV sind drittschützend (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16, Rn. 23 ff.), so dass die Antragstellerin insoweit nach den §§ 160 Abs. 2, 97 Abs. 6 GWB antragsbefugt ist“.

Der BGH hat in dem genannten Urteil festgestellt, dass durch die Vorgaben zur Preisprüfung zwar in erster Linie das haushaltsrechtlich begründete Interesse des Auftraggebers und der Öffentlichkeit an der jeweils wirtschaftlichsten Beschaffung geschützt werde, daneben aber auch die Wettbewerbsposition der anderen Bieter.

Zum Sinn und Zweck der Preisprüfung:

„Kann der öffentliche Auftraggeber nach der Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VgV die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen, § 60 Abs 3 Satz 2 VgV.

Die Berechtigung des Auftraggebers, den Zuschlag auf derartige Angebote abzulehnen, trägt dem Anliegen des Vergabewettbewerbs Rechnung, die wirtschaftlichste Beschaffung zu realisieren. Unangemessen niedrige Angebotspreise bergen gesteigerte Risiken, die sich in vielfältiger Weise verwirklichen können. So kann der Auftragnehmer infolge der zu geringen Vergütung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag deshalb nicht vollständig ausführen. Der Schutz der öffentlichen Interessen setzt aber nicht erst bei derart gravierenden Gefährdungen ein. Öffentliche Interessen sind in schützenswerter Weise auch dadurch gefährdet, dass der betreffende Anbieter in Anbetracht des zu niedrigen Preises versuchen könnte, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit auch nicht vertragsgerecht zu entledigen, durch möglichst viele Nachträge Kompensation zu erhalten oder die Ressourcen seines Unternehmens auf besser bezahlte Aufträge zu verlagern, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet. Dies gilt ungeachtet der einem Bieter zukommenden Möglichkeit zu einem Preis zu bieten, der ihm lediglich einen Deckungsbeitrag zu seinen Fixkosten verspricht (Unterkostenangebot). Dass ein solches Angebot nicht von vornherein unzulässig ist, ändert nichts an den hiermit verbundenen Gefahren“.

Zu den Anforderungen an die Erläuterung des niedrigen Angebotspreises:

„Auf die Aufforderung des Auftraggebers hin hat der Bieter Gelegenheit, den Nachweis der „Seriosität“ seines Angebots zu erbringen. Damit geht die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast auf ihn über. Nur er kann über die innerbetrieblichen und geschäftlichen Verhältnisse Auskunft erteilen, was ihm zuzumuten ist, weil der Auftraggeber keine Kenntnisse von den internen Betriebsstrukturen hat. Der Bieter muss konkrete Gründe darlegen, die den Anschein widerlegen, dass sein Angebot nicht seriös ist. Dazu muss er seine Kalkulation und deren Grundlagen erläutern. Die Erläuterungen des Bieters müssen umfassend, in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie ggf. durch geeignete Nachweise objektiv überprüfbar sein. Formelhafte, inhaltsleere bzw. abstrakte Erklärungen ohne Bezug zu den einzelnen Positionen, wie etwa allgemeine Hinweise auf innerbetriebliche Strukturen oder wirtschaftliche Parameter, reichen nicht aus, um die Seriosität des Angebots nachzuweisen.“

Zur Ermessensausübung des Auftraggebers:

„Dem Auftraggeber ist im Rahmen von § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt. Die Verwendung des Verbs „dürfen“ in § 60 Abs. 3 VgV ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers stünde, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Bei der Beurteilung der Anforderungen an eine zufriedenstellende Aufklärung berücksichtigt der Auftraggeber Art und Umfang der im konkreten Fall drohenden Gefahren für eine wettbewerbskonforme Auftragserledigung (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16, Rn. 29 ff.). Der Bieter hat hier einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ermessenausübung.“

Zum Akteneinsichtsrecht konkurrierender Bieter:

„Akteneinsicht ist nach § 165 Abs. 2 GWB zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, geboten ist. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör, der eine Kenntnis der Akten als Entscheidungsgrundlage erfordert, und dem Schutz von Geheimnissen. Diese Interessen sind gegeneinander abzuwägen. Akteneinsicht ist in dem Umfang zu gewähren, der zur Durchsetzung des objektiven Rechts, bezogen auf das konkrete Rechtsschutzziel, notwendig ist, soweit keine berechtigten Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Auch wenn bestimmte Informationen Geschäftsgeheimnisse sind, folgt daraus nicht, dass sie unter allen Umständen von der Akteneinsicht ausgeschlossen wären, was bereits aus der entsprechenden Anwendung von § 70 Abs. 2 Satz 4 GWB folgt. Ein Geheimhaltungsvorrang muss sich hiernach als Ergebnis einer Abwägung mit den entgegenstehenden Offenlegungsinteressen ergeben. Bei dieser Abwägung sind zugunsten des Inhabers unternehmensbezogener Geheimnisse die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Nachteile zu berücksichtigen, die er im zukünftigen Wettbewerb durch die Offenlegung der fraglichen Informationen erleiden könnte. Er hat deshalb in einem Streit um die Akteneinsicht plausibel – wenn auch ohne inhaltliche Preisgabe seiner Geheimnisse – aufzuzeigen, inwieweit die Kenntnis des Gegners von den fraglichen Informationen seine Stellung im zukünftigen Wettbewerb außerhalb des konkreten Nachprüfungsverfahrens beeinträchtigen könnte. Zugunsten des Akteneinsicht begehrenden Beteiligten ist zu berücksichtigen, dass es ihm regelmäßig erst die Kenntnis dieser Informationen ermöglicht, durch detailliertes und von der eigenen Sachkunde getragenes Vorbringen zu der Preisbildung beim ungewöhnlich günstigen Angebot vorzutragen (vgl. BGH, Beschluss vom 31.Januar 2017 – X ZB 10/16, Rn. 48 ff.).

Auch wenn und soweit das Geheimhaltungsinteresse überwiegen sollte, hat die Vergabekammer zu prüfen, ob und inwieweit die übrigen Verfahrensbeteiligten über die von der Akteneinsicht auszunehmenden Inhalte ohne Preisgabe des Geheimnisses zumindest in allgemeiner oder anonymisierter Form unterrichtet werden können.“

Rudolf Ley

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