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Bei der Anmeldung von Flüchtlingen aus der Ukraine bestehen zum Teil große Unsicherheiten. Manche Unsicherheiten sind begründet, andere dagegen nicht. Die zuständigen Ministerien versuchen, Klarheit zu schaffen. Dies geschieht durch Schreiben, die in der Regel ziemlich umfangreich sind. So umfasst ein neues Schreiben des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 29.3.2022 nicht weniger als elf Seiten. Hinzu kommen acht Anlagen zu diesem Schreiben. Schon vorher hatten sich die zuständigen Ministerien der meisten Bundesländer zu dem Thema geäußert. Dies geschah etwa in Bayern durch zwei Mails des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration (StMI) vom 8.3.2022 und vom 18.3.2022.
Alle Schreiben betonen, dass möglichst unbürokratisch gehandelt werden solle. Der Wille hierzu besteht auch bei allen Beteiligten. Er kollidiert freilich häufig damit, dass die Vorgaben der Schreiben sehr detailreich sind. Hinzu kommt, dass die Vorgaben des Bundes und die Vorgaben der Länder teils voneinander abweichen. Auch die Länder sind sich untereinander keineswegs in allen Punkten einig.
Eine kluge Redensart besagt, dass manchmal der Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen ist. Deshalb konzentriert sich das Webinar bewusst auf die Grundlagen, die bei der Registrierung von Flüchtlingen im Melderegister zu beachten sind. Sie ergeben sich in erfreulicher Klarheit größtenteils unmittelbar aus dem Bundesmeldegesetz. Nur wer sie beherzigt, wird auch bei den zahlreichen Details eines Einzelfalls jedenfalls das Meiste richtigmachen.
Dabei sollte man bedenken: Was im Detail „richtig“ ist und was „falsch“ lässt sich bisweilen gar nicht so eindeutig beantworten. Die Abweichungen zwischen den einzelnen ministeriellen Schreiben bieten dafür einiges Anschauungsmaterial. Ohne einen gewissen Mut, auch einmal einen Fall nicht in optimaler Qualität zu bearbeiten, geht es in einer kriegsbedingten Sondersituation nicht.
Das Webinar behandelt drei typische Fälle, die in der Praxis besonders häufig auftreten. Sie sind davon geprägt, dass es immer um Mütter und Kinder mit ukrainischer Staatsangehörigkeit geht. Männer treten dabei nicht in Erscheinung. Ebenso nicht in Erscheinung treten Staatsangehörige anderer Staaten (wie etwa Inder, die in der Ukraine studiert haben). Diese Konstellationen, auf die das Webinar nicht eingeht, werden zwar in den Medien zum Teil stark berücksichtigt. Sie machen aber insgesamt kaum über 15 % aller Fälle aus.
Die Tante möchte die Kinder bei Ihnen anmelden.
Frau Maier kommt mit Frau Danylenko zu Ihnen zur Anmeldung.
Frage an Sie: Hat der Aufenthalt im ANKER Konsequenzen für Ihre Arbeit?
Bei allen drei Fallbeispielen steht im Vordergrund, ob eine Meldepflicht besteht, wer sie zu erfüllen hat und ob eine Anmeldung auch dann möglich ist, wenn sie nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Besonders wird auf die Gefahr eingegangen, dass eine mehrfache Registrierung zu einem „Konfliktfall“ durch die Vergabe mehrerer Steueridentifikationsnummern führen kann.
Ausländerrechtliche Aspekte sind nur an den wenigen Stellen berücksichtigt, an denen dies unbedingt notwendig ist, um die Abläufe im Meldewesen zu verstehen. Die Meldebehörden sind keine Außenstellen der Ausländerbehörden und sind für den Vollzug des Ausländerrechts nicht zuständig. Dies gerät manchmal etwas aus dem Blick.
Diesen speziellen Punkt greift das Webinar nicht gesondert auf. Rückfragen dazu hatte es bei den Autoren dieses Newsletters bisher aus der Praxis nicht gegeben. Dies hat sich geändert, seit das BMI die Frage in seinem Schreiben vom 29.3.2022 aufgegriffen hat. Bei den Rückfragen stellte sich heraus, dass die meisten Fragesteller sich schon bisher im Wesentlichen so verhalten haben, wie es sich das BMI vorstellt (siehe Schreiben des BMI vom 29. März 2022, Seite 6 „Anmeldung von minderjährigen Kindern in Begleitung eines Elternteils“ sowie Seiten 11 /12 „Anerkennung von Originalen oder Kopien von Geburtsurkunden und Eheurkunden zur Herstellung von Familienverbünden“). Dennoch sollen die Kernaspekte hier nochmals kurz dargestellt werden.
Zunächst soll kurz erläutert werden, was es mit dem Begriff „Familienverbund“ auf sich hat:
Wenn ein Familienverbund hergestellt wird, zieht dies aufgrund von automatisierten Datenübermittlungen aus dem Melderegister in andere Register erhebliche rechtliche Folgen nach sich. Daher gilt:
Ein Familienverbund „auf Zuruf“ ohne urkundliche Nachweise ist nicht zulässig.
Üblicher urkundlicher Nachweis bei Kindern aus dem Ausland ist das Original der Geburtsurkunde und die Übersetzung durch einen vereidigten Übersetzer mit Apostille.
Solche urkundlichen Nachweise können ukrainische Eltern derzeit schlicht nicht neu beschaffen. Insbesondere stellen die ukrainischen Behörden bis auf weiteres keine Apostillen mehr aus.
Das BMI spricht hier nur davon, dass „derzeit nach hiesigem Informationsstand“ keine Apostillen ausgestellt würden. Konkreter hätte es erwähnen können, dass die Ukraine am 9.3.2022 ganz offiziell mitgeteilt hat, dass sie bis zum Ende des Angriffskrieges keine Apostillen mehr ausstellen wird. Diese Mitteilung erfolgte gegenüber dem Außenministerium der Niederlande, das gemäß dem Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation dafür zuständig ist, solche Mitteilungen entgegenzunehmen. Das niederländische Außenministerium hat hierüber durch ein Schreiben vom 15. März 2022 alle Vertragsstaaten (und damit auch die Bundesrepublik Deutschland) offiziell informiert.
Bis die Ukraine ihre Mitteilung irgendwann einmal widerruft, ist es daher völlig sinnlos, von ukrainischen Staatsangehörigen zu fordern, dass sie Apostillen neu besorgen.
Aufgrund dieser Situation akzeptiert das BMI bis auf weiteres folgendes Vorgehen:
Für die Herstellung eines Familienverbunds zwischen Kindern und Eltern genügt die Vorlage des Originals einer Geburtsurkunde ohne Übersetzung und ohne Apostille.
Sogar eine (äußerlich unverdächtige!) Kopie einer Geburtsurkunde kann akzeptiert werden.
Die Meldebehörde muss sicher sein, dass ihr eine authentische Geburtsurkunde vorliegt. Damit ist gemeint, dass das vorgelegte Original oder die vorgelegte Kopie rein äußerlich mit den Urkundenmustern übereinstimmen, die das BMI seinem Schreiben beigefügt hat.
Die Meldebehörde muss sich Gewissheit darüber verschaffen, welche Personendaten in der Urkunde eingetragen sind. Hierfür sollen „Sprachmittler“ zugezogen werden, also Menschen, die Ukrainisch und Deutsch beherrschen. Es muss sich nicht etwa um offiziell zugelassene Dolmetscher handeln.
Im Ergebnis wird dies dazu führen, dass in der Regel ein Familienverbund hergestellt werden kann. Dies ist auch wünschenswert. Es vermeidet nämlich sonst drohende zahlreiche Nachfragen anderer Behörden bei den Meldebehörden, ob bestimmte Personen eine Familie bilden.
Wenn sich wesentliche neue Entwicklungen ergeben, werden wir sie in künftigen Newslettern aufgreifen. Mit Sorge beobachten wir dabei im Augenblick Folgendes: Manche Meldebehörden neigen zu einer stark problemorientierten Bearbeitung bei der Anmeldung von Flüchtlingen aus der Ukraine. Dies verwundert deshalb, weil die große Mehrheit der erwachsenen Flüchtlinge einen biometrischen Reisepass vorlegen kann. Sollte dies nicht der Fall sein, ist zumindest fast immer eine ID-Karte vorhanden, die in etwa dem deutschen Personalausweis entspricht. Diese ID-Karten sind rückwirkend seit 24.02.2022 (also seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine) ausdrücklich als Passersatz anerkannt. Für die große Mehrheit der Kinder liegen Geburtsurkunden vor (zum Teil allerdings nur als Fotografie auf dem Handy).
Jedenfalls die Feststellung der Identität sollte deshalb in den allermeisten Fällen möglich sein, meist sogar absolut zuverlässig anhand eines Reisepasses, der den üblichen europäischen Maßstäben entspricht. Wer sich an den Menschenzustrom 2015/2016 erinnert, wäre damals froh gewesen, wenn solche Dokumente vorgelegen hätten. Trotzdem ist es seinerzeit gelungen, die Situation irgendwie zu bewältigen. Dann sollte auch die jetzt gegebene Lage hinreichend beherrschbar sein.
Dr. Eugen Ehmann
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