Befreiung von der Ausweispflicht

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Ausgabe Juni 2022:

Der Wunsch nach einer Befreiung von der Ausweispflicht taucht oft in menschlich schwierigen Situationen auf. Er betrifft insbesondere pflegebedürftige und behinderte Menschen. Wir schildern die rechtlichen Möglichkeiten, behandeln denkbare Nachteile einer Befreiung und erörtern, wie die notwendigen Nachweise möglich sind.

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Inhalt 

  1. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Ausweispflicht und Befreiung von der Ausweispflicht?

  2. Wann ist eine Befreiung von der Ausweispflicht unzulässig?

  3. Welche Vorteile hat eine Befreiung von der Ausweispflicht?

  4. Welche Nachteile hat eine Befreiung von der Ausweispflicht?

  5. Welche Ausweisbehörde ist für die Befreiung von der Ausweispflicht zuständig?

  6. Setzt eine Befreiung von der Ausweispflicht einen Antrag voraus oder ist sie auch von Amts wegen möglich?

  7. Welche Folgen hat es, dass die Befreiung von der Ausweispflicht eine Ermessensentscheidung ist?

  8. Welche gesetzlichen Fallgruppen der Befreiung von der Ausweispflicht gibt es?

  9. Welche Nachweise können für eine Befreiung von der Ausweispflicht gefordert werden?

  10. Ist bei einer Befreiung von der Ausweispflicht die Ausstellung eines „Ersatzdokumentes“ möglich?

  11. Sind nach einer Befreiung von der Ausweispflicht noch Auslandsreisen möglich?

  12. Wann ist statt einer Befreiung von der Ausweispflicht die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises sinnvoll?

  13. Wo gibt es Muster, die man bei der Befreiung von der Ausweispflicht verwenden kann?

1. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Ausweispflicht und Befreiung von der Ausweispflicht?

Eine Befreiung von der Ausweispflicht kommt nur für Personen in Betracht, die ausweispflichtig sind. Die Ausweispflicht gilt für alle Deutschen ab dem 16. Lebensjahr, sofern sie entweder der allgemeinen Meldepflicht unterliegen (siehe dazu § 17 Bundesmeldegesetz – BMG) oder sofern sie sich – ohne der allgemeinen Meldepflicht zu unterliegen – überwiegend in Deutschland aufhalten. So ordnet es § 1 Abs. 1 Satz Personalausweisgesetz (PAuswG) an.

Nicht erfasst von der Ausweispflicht sind somit insbesondere Deutsche, die ständig im Ausland leben und keine Wohnung in Deutschland haben. Sie unterliegen mangels einer Wohnung in Deutschland nicht der allgemeinen Meldepflicht. Auch halten sie sich nicht überwiegend in Deutschland auf, sondern im Ausland. Damit gilt die Ausweispflicht für sie nicht. Deshalb können sie konsequenterweise auch nicht von der Ausweispflicht befreit werden. Das gilt auch dann, wenn sie bisher im Besitz eines Ausweises waren.

Für Ausländer hat die Ausweispflicht keine Bedeutung: Ausnahme: Doppelstaater, die neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch eine oder mehrere andere ausländische Staatsangehörigkeiten besitzen, unterliegen der Ausweispflicht für Deutsche.

2. Wann ist eine Befreiung von der Ausweispflicht unzulässig?

Eine Befreiung von der Ausweispflicht kommt nicht in Betracht, wenn der Betroffene die Ausweispflicht problemlos erfüllen kann. Das ist immer der Fall, wenn er entweder über
einen gültigen Ausweis oder über einen gültigen Pass verfügt.

Der Begriff „Ausweis“ umfasst dabei den Personalausweis, den vorläufigen Personalausweis und den Ersatz-Personalausweis (siehe § 2 Abs. 1 PAuswG). Alle drei Arten von Ausweisen genügen zur Erfüllung der Ausweispflicht.

Die Ausweispflicht kann auch mit einem gültigen Pass erfüllt werden (§ 1 Abs. 2 Satz 3 PAuswG). Praktisch relevante hierfür sind der Reisepass und der vorläufige Reisepass (siehe § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Passgesetz – PassG).

Mit Dokumenten, die weder im Personalausweisgesetz noch im Passgesetz geregelt sind, kann die Ausweispflicht nicht erfüllt werden.

Führerscheine, Krankenversichertenkarte und dergleichen bleiben deshalb in diesem Zusammenhang außer Betracht. Dass solche Dokumente im Alltagsleben manchmal als Nachweis der Identität akzeptiert werden, ändert daran nichts.

3. Welche Vorteile hat eine Befreiung von der Ausweispflicht? 

Wer von der Ausweispflicht befreit ist, ist nicht mehr verpflichtet, einen gültigen Ausweis zu besitzen (Abweichung von der Besitzpflicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 PAuswG). Er ist auch nicht mehr dazu verpflichtet, einer Behörde, die zur Feststellung der Identität berechtigt ist, einen Ausweis vorzulegen (Abweichung von der Vorlagepflicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 PAuswG).

Hinzu kommt, dass die Kosten für die Ausstellung eines neuen Ausweises nicht anfallen. Auch die Anfertigung eines biometrischen Lichtbildes ist nicht nötig. Ferner spart sich jemand, der von der Ausweispflicht befreit ist, den Weg zur Personalausweisbehörde.

4. Welche Nachteile hat eine Befreiung von der Ausweispflicht?

Es geht die Möglichkeit verloren, den Ausweis bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen als Identitätsnachweis und Legitimationspapier zu verwenden (Verlust der Identitätsnachweis- und Legitimationsmöglichkeit gemäß § 20 Abs. 1 PAuswG). Denn sie setzt voraus, dass ein gültiger Ausweis vorhanden ist.

Das kann dem Betroffenen erhebliche Nachteile bringen. Dies ergibt sich insbesondere aus den Regelungen des Geldwäschegesetzes (GWG). Seine Regelungen betreffen keineswegs nur den Bankenbereich. So verpflichtet das GWG etwa auch Steuerberater dazu, ihre Mandanten zu identifizieren, bevor sie mit ihnen ein Mandatsverhältnis begründen (§ 2 Abs. 1 Nr. 12 GWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 GWG). Dabei ist bei einer natürlichen Person die Identität durch Abgleich mit einem gültigen amtlichen Lichtbildausweis vorzunehmen
(§ 12 Abs. 1 Nr. 1 GWG).

Wer von der Ausweispflicht befreit ist, muss also möglicherweise damit leben, dass er bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten nicht mehr entfalten kann. Das ist dann der Preis für die zunächst angenehme „Befreiung von Bürokratie“. Eine Befreiung von der Ausweispflicht ist für den Betroffenen somit oft eine zweischneidige Angelegenheit.

5. Welche Ausweisbehörde ist für die Befreiung von der Ausweispflicht zuständig?

Für die Frage, welche Personalausweisbehörde sachlich zuständig ist, verweist § 1 Abs. 3 PAuswG ausdrücklich auf die Regelungen des § 7 Abs. 1 PAuswG (Personalausweisbehörden im Inland) bzw. des § 7 Abs. 2 PAuswG (Personalausweisbehörden im Ausland). Beides wirft keine besonderen Probleme auf.

Zur örtlichen Zuständigkeit schweigt § 1 Abs. 3 PAuswG. Insoweit sind die allgemeinen Regelungen des § 8 PAuswG heranzuziehen. Sie knüpfen für das Inland an die Meldepflicht gemäß BMG an:

  • Bei einer alleinigen Wohnung ist die Personalausweisbehörde dieser Wohnung zuständig.

  • Bei mehreren Wohnungen ist ausschließlich die Personalausweisbehörde der Hauptwohnung zuständig. Eine Zuständigkeit der Personalausweisbehörde der Nebenwohnung besteht nicht.

  • Bei Personen ohne Wohnung ist die Personalausweisbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Betroffene vorübergehend aufhält.

Abweichungen hiervon sind nicht zulässig. Insbesondere ist es nicht möglich, die Regelung über die Bearbeitung eines Antrags auf Ausstellung eines Ausweises durch eine unzuständige Personalausweisbehörde (§ 8 Abs. 4 PAuswG) bei der Befreiung von der Ausweispflicht heranzuziehen. Solche Wünsche kommen in der Praxis vor allem dann vor, wenn ein Betreuer, der nicht am selben Ort wohnt wie die betreute Person, sich um die Befreiung von der Ausweispflicht kümmert. Der Betreuer hätte dann manchmal gerne, dass die Personalausweisbehörde seines Wohnsitzes die Befreiung bearbeitet. Das ist jedoch nicht möglich.

Von einer Darstellung der Zuständigkeit von Personalausweisbehörden im Ausland (Botschaften, Generalkonsulat und Konsulate der Bundesrepublik Deutschland) sehen wir an dieser Stelle ab, weil dies eine eher geringe Zahl von Personen betrifft.

6. Setzt eine Befreiung von der Ausweispflicht einen Antrag voraus oder ist sie auch von Amts wegen möglich?

Die Frage, ob eine Befreiung von der Ausweispflicht einen Antrag voraussetzt oder ob eine Befreiung auch von Amts wegen möglich ist, spricht § 1 Abs. 3 PAuswG nicht ausdrücklich an. Die Vorschrift formuliert sehr allgemein, dass die zuständige Personalausweisbehörde unter bestimmten Voraussetzungen Personen von der Ausweispflicht befreien kann. Dazu, von wem der Anstoß hierzu ausgehen kann oder muss, sagt sie nichts. Daraus ist abzuleiten, dass eine Befreiung keinen Antrag voraussetzt.

Das ist von erheblicher praktischer Bedeutung, wenn eine andere Person als der Betroffene an die Behörde herantritt und eine Befreiung von der Ausweispflicht vorschlägt. Praktische Beispiele dafür sind Verwandte oder auch Nachbarn, die nicht zum Betreuer bestellt sind. Auch Heimleitungen werden manchmal entsprechend aktiv. Jeder hat die Möglichkeit, bei der zuständigen Behörde eine Befreiung anzuregen. Ein förmlicher Antrag ist hierfür nicht erforderlich, eine Vertretungsbefugnis ist nicht notwendig.

Es kommt auch vor, dass eine Personalausweisbehörde die Befreiung von sich aus prüft, ohne dass jemand dies angeregt hätte. Praxisbeispiel: Der Behörde ist bekannt, dass eine Einrichtung ausschließlich Patienten betreut, die im „Wachkoma“ liegen. Wenn der Ausweis eines solchen Patienten abläuft, stellt sich die Frage der Befreiung von der Ausweispflicht. Dies gilt auch dann, wenn der in solchen Fällen regelmäßig vorhandene Betreuer nicht entsprechend aktiv wird. Die Behörde wird dann von sich aus mit ihm Kontakt aufnehmen, um den Sachverhalt zu klären.

7. Welche Folgen hat es, dass die Befreiung von der Ausweispflicht eine Ermessensentscheidung ist?

Die Personalausweisbehörde „kann“ unter bestimmten Voraussetzungen von der Ausweispflicht befreien (§ 1 Abs. 3 PAuswG). Diese Formulierung gibt ihr ein entsprechendes Ermessen. Falls eine der im Gesetz erwähnten Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegt, führt dies nicht automatisch dazu, dass eine Befreiung auszusprechen ist. Vielmehr muss die Personalausweisbehörde den jeweiligen Einzelfall sorgfältig prüfen. Dabei muss sie abwägen, ob eine Befreiung angezeigt ist oder nicht (Ausübung des Ermessens nach dem Zweck der Ermächtigung, siehe § 40 (in Bayern: Art. 40) Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG).

Dass ein solches Ermessen besteht, ist sachgerecht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung sind zum Teil so weit gefasst, dass ihre Anwendung im Einzelfall durch die Ausübung des Ermessens gewissermaßen korrigiert werden muss. Siehe hierzu die Erörterung der einzelnen Voraussetzungen für eine Befreiung, die das Gesetz vorsieht (siehe Punkt 8 dieses Newsletters).

Die Anwendung des Ermessens im Einzelfall muss dokumentiert werden. Selbst wenn kein Antrag erforderlich ist (vgl. Punkt 6 dieses Newsletters), müssen alle wesentlichen Gesichtspunkte festgehalten werden, die für die Entscheidung maßgeblich waren. In eindeutigen Fällen kann die Dokumentation kurz ausfallen. Bei schwierigeren Sachverhalten kann jedoch auch ein längerer Aktenvermerk erforderlich sein. Nachweise, beispielsweise für die fehlende Handlungsfähigkeit der ausweispflichtigen Person, müssen dokumentiert werden.

8. Welche gesetzlichen Fallgruppen der Befreiung von der Ausweispflicht gibt es?

Generell ist eine Befreiung dann angezeigt, wenn es einer Person nicht zuzumuten ist, die Ausweispflicht zu erfüllen. Dieser gemeinsame Gedanken steht hinter den Fallgruppen für eine Befreiung, die das Gesetz benennt. Er ist im Gesetz nicht ausdrücklich formuliert, aber aus den dort genannten Fallgruppen abzuleiten. § 1 Abs. 3 PAuswG unterscheidet drei Fallgruppen, wobei in der ersten Fallgruppe zwei Untervarianten enthalten sind:

Fallgruppe 1 / Untervariante 1:
Bestehen eines Betreuungsverhältnisses (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 PAuswG)

Hier ist vorausgesetzt, dass für die Person, die von der Ausweispflicht befreit werden soll, ein Betreuer bestellt ist. Dies geschieht durch das zuständige Betreuungsgericht (§ 1896 BGB). Wer als Betreuer bestellt ist, verfügt über einen Betreuerausweis, den das Betreuungsgericht ausgestellt hat. Die Vorlage dieses Ausweises ist unbedingt zu fordern. Er enthält kein Lichtbild. Ergänzend muss der Betreuer deshalb rein formal gesehen auch noch
einen gültigen Ausweis oder einen gültigen Pass vorlegen. Gerade in kleineren Gemeinden sind aber gerade Berufsbetreuer der Behörde ohnehin schon bekannt. Dann genügt es, wenn sie lediglich den Betreuerausweis für den konkreten Fall vorlegen.

Eine vorläufige Bestellung zum Betreuer genügt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des ­
Gesetzes nicht. Es muss vielmehr eine endgültige Bestellung vorliegen. Falls eine Betreuung lediglich vorläufig angeordnet ist, ist das im Betreuerausweis vermerkt.

Aus dem Betreuerausweis ist auch zu entnehmen, für welche Aufgabenkreise eine Betreuung angeordnet ist. Beispiele für denkbare Aufgabenkreise enthält Seite 1 dieses Antragsformulars der bayerischen Justiz.

§ 1 Abs. 3 Nr. 1 PAuswG sagt nichts darüber aus, für welchen Aufgabenkreis eine Betreuung angeordnet sein muss. Häufig ist die Anordnung einer Betreuung in finanziellen An-
gelegenheiten. Dieses Beispiel zeigt, dass im Zusammenhang mit einer Befreiung von der Ausweispflicht nicht alle Aufgabenkreise relevant sind. Der gesetzliche Wortlaut ist hier zu allgemein. Wer Betreuung in finanziellen Angelegenheiten braucht, kann im Normalfall sehr wohl noch problemlos einen Ausweis beantragen.

Viele Personalausweisbehörden berücksichtigen eine Betreuung deshalb von vornherein nur, wenn sie sie sich auf den Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“ erstreckt oder wenn sie für „alle Angelegenheiten“ angeordnet ist. Das ist eine zulässige Beschränkung im Rahmen der Ermessensausübung durch die Personalausweisbehörde. Eine Betreuung für „alle Angelegenheiten“ ist selten. Sie kommt in höchstens 5 % aller Betreuungsfälle vor.

Fallgruppe 1 / Untervariante 2:
Handlungsunfähigkeit oder Einwilligungsunfähigkeit bei Vertretung durch einen Bevollmächtigten mit öffentlich beglaubigter Vollmacht (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 PAuswG)

Vernünftig wäre es, wenn das Gesetz die Handlungsunfähigkeit oder Einwilligungsunfähigkeit als etwas ansehen würde, dass schon für sich allein eine Befreiung von der Ausweispflicht rechtfertigt. So ist es dort allerdings nicht formuliert. Die Handlungsunfähigkeit oder Einwilligungsunfähigkeit ist nur dann ein Grund für die Befreiung von der Ausweispflicht, wenn die ausweispflichtige Person von jemandem vertreten wird, für den eine „öffentlich beglaubigte Vollmacht“ besteht.

Gemeint ist damit eine Vorsorgevollmacht. Es genügt aber nicht jede Vorsorgevollmacht. Vielmehr muss die Unterschrift der ausweispflichtigen Person unter dieser Vollmacht öffentlich beglaubigt sein. Das kann entweder durch einen Notar geschehen oder durch eine Betreuungsbehörde. Vorsorgevollmachten ohne eine solche beglaubigte Unterschrift genügen nicht.

Wegen dieser formalen Beschränkungen ist die praktische Bedeutung von Fallgruppe 1 / Untervariante 2 deutlich kleiner als sie sein könnte. Manche Personalausweisbehörden sehen über die zusätzliche Voraussetzung der öffentlich beglaubigten Vorsorgevollmacht aus Unkenntnis oder auch bewusst hinweg. Mit der gesetzlichen Regelung ist das leider nicht zu vereinbaren. Oft hilft jedoch im Einzelfall die Anwendung von Fallgruppe 3 weiter (fehlende Fähigkeit, sich wegen einer dauerhaften Behinderung allein in der Öffentlichkeit zu bewegen). Auf die späteren Ausführungen hierzu wird verwiesen.

Fallgruppe 2:
voraussichtlich dauerhafte Unterbringung in einem Krankenhaus, einem Pflegeheim oder einer ähnlichen Einrichtung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 PAuswG)

Praktisch bedeutsam ist vor allem die Unterbringung in einem Pflegeheim. Üblicherweise wird jemand dort erst dann aufgenommen, wenn es „wirklich nicht mehr anders geht“. Es liegt in solchen Fällen deshalb nahe, dass ihm die Einhaltung der Ausweispflicht nicht mehr zuzumuten ist.

Meist erfolgt die Unterbringung in der Praxis jedoch nicht in einem reinen Pflegeheim. Vielmehr bezeichnen sich die meisten derartigen Einrichtungen als „Alten- und Pflegeheim“. Aus der Art der Einrichtung allein ergibt sich dann nicht, ob der Betroffene pflegebedürftig ist. Dies führt zu dem Problem, dass der Zustand der Pflegebedürftigkeit in irgendeiner Art und Weise nachgewiesen werden muss. Auf die späteren Ausführungen zum Thema „Nachweise“ (Punkt 9) wird verwiesen.

Fallgruppe 3:
fehlende Fähigkeit, sich wegen einer dauerhaften Behinderung allein in der Öffentlichkeit zu bewegen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PAuswG)

Diese Fallgruppe soll darauf Rücksicht nehmen, dass es für solche Personen unzumutbar sein kann, die Personalausweisbehörde aufzusuchen. Auch hier stellt sich die Frage, wie der persönliche Zustand nachgewiesen werden kann. Auf die späteren Ausführungen zum Thema „Nachweise“ (Punkt 9) wird auch hier verwiesen.

Wichtiger Hinweis zu allen Fallgruppen

Die Aufzählung der Fallgruppen im Gesetz ist abschließend. Dies bedeutet: Weitere Gründe für eine Befreiung von der Ausweispflicht gibt es nicht. Wenn eine Befreiung ausgesprochen wird, ist festzuhalten, welche der Fallgruppen vorliegt.

Dass eine Fallgruppe nach ihrem Wortlaut erfüllt ist, führt nicht automatisch dazu, dass von der Ausweispflicht befreit werden kann. Vielmehr bildet dies die Basis dafür, dass die Personalausweisbehörde ihr Ermessen ausüben muss.

Dazu ist es notwendig, dass sie sich mit der konkreten Situation des Einzelfalls befasst. Die Frage, welche Nachweise für diese Situation vorliegen, spielt dabei eine wichtige Rolle. Wir gehen auf diese Frage deshalb jetzt gesondert ein.

9. Welche Nachweise können für eine Befreiung von der Ausweispflicht gefordert werden?

Hierzu enthält das Personalausweisgesetz keine Vorgaben. Zurückzugreifen ist deshalb auf die allgemeine Regelung, wonach jede Behörde bei der Anwendung von rechtlichen Vorschriften den Sachverhalt ausreichend zu ermitteln hat. Dazu legt das Verwaltungsverfahrensrecht fest: „Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.“ (siehe § 24 [in Bayern: Art. 24] Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG).

Diese sehr allgemeine Regelung gibt die notwendigen Spielräume für den Einzelfall. Sie führt aber manchmal auch dazu, dass übertrieben umfangreiche Nachweise verlangt werden. Das muss mit Rücksicht auf die Situation der Betroffenen vermieden werden. Es genügt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Befreiung von der Ausweispflicht nachvollziehbar ist.

Bei Personen, die in ihrer häuslichen Umgebung leben, sollte die Ermittlung des Sachverhalts sollte sich an folgenden Grundsätzen orientieren:

  • Wenn der Sachverhalt ohnehin klar ist, macht es keinen Sinn, irgendwelche Nachweise zu fordern. Solche Fälle sind gerade in kleineren Gemeinden keineswegs selten.

    Oft gibt es dort in der Verwaltung eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter, die aus eigenem Wissen bestätigen kann, dass eine bestimmte Person bettlägerig ist. Dies genügt dann, um davon auszugehen, dass Fallgruppe 3 erfüllt ist.

  • Auch die Bestätigung eines Pflegedienstes kann akzeptiert werden. Dabei sind keine Diagnosen oder dergleichen erforderlich. Im Gegenteil: Solche Angaben würden zu tief in die persönliche Sphäre eingreifen. Es genügt die Bestätigung, dass jemand im häuslichen Bereich gepflegt wird und das Haus ohne fremde Hilfe nicht mehr verlassen kann.

  • Auch die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises mit bestimmten Merkmalen kann genügen. Die Merkmale aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und H (Hilflosigkeit). Sie rechtfertigen in der Regel den Schluss, dass das Haus ohne fremde Hilfe nicht mehr verlassen werden kann. Das Merkmal G (Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) rechtfertigt diese Schlussfolgerung dagegen regelmäßig nicht.

  • Ärztliche Bescheinigungen sollten nur in Ausnahmefällen gefordert werden. Sie sind für die Betroffenen in der Regel mit gesonderten Kosten verbunden.

Bei Personen, die voraussichtlich dauerhaft in einer Einrichtung untergebracht sind, sollte ergänzend folgendes beachtet werden:

  • Sofern es sich bei der Einrichtung ausdrücklich um ein „Pflegeheim“ handelt, kann man ohne weiteres davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Ausweispflicht vorliegen.

  • Bei der Unterbringung in einem „Alten- und Pflegeheim“, einer „Senioren-Residenz“ oder in ähnlich bezeichneten Einrichtungen ist dieser Rückschluss nicht ohne weiteres möglich. Es gibt in solchen Einrichtungen ausgesprochen rüstige Bewohner, aber auch teilweise schwerste Pflegefälle.

  • Hilfreich kann in solchen Fällen die Frage sein, welche Pflegestufe besteht. Es gibt insgesamt fünf Pflegestufen. Sie reichen von Pflegestufe 1 („geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“) bis Pflegestufe 5 („schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung“). Jedenfalls ab Pflegestufe 2 („erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“) wird man davon ausgehen können, dass es nicht mehr möglich ist, die Behörde ohne fremde Hilfe aufzusuchen.

  • Intensive Befragungen zum Gesundheitszustand sind in jedem Fall zu vermeiden. Es genügen schlüssige Darlegungen.

10. Ist bei einer Befreiung von der Ausweispflicht die Ausstellung eines „Ersatzdokumentes“ möglich?

Dass jemand von der Ausweispflicht befreit worden ist, ergibt sich aus dem Bescheid, den er darüber erhält. Es ist auch möglich, ihm darüber eine gesonderte Bestätigung auszustellen. Falsch ist jedoch die Aussage, dass sich die betroffene Person damit künftig „ausweisen“ könne.

Es kann sein, dass manche Stellen ein abgelaufenes Ausweispapier in Verbindung mit einer solchen Bestätigung als Nachweis der Identität akzeptieren. Dies ist jedoch zum einen nicht sicher. Zum anderen ist dies in manchen Bereichen rechtlich ausgeschlossen.

Wenn Rechtsvorschriften die Vorlage eines „gültigen“ Ausweises oder Passes fordern, scheitert die ersatzweise Vorlage eines abgelaufenen Ausweispapieres zusammen mit einer Bestätigung aus.

11. Sind nach einer Befreiung von der Ausweispflicht noch Auslandsreisen möglich?

Die Frage erscheint auf den ersten Blick etwas absurd. Sie hat aber gerade im Bereich jüngerer behinderter Menschen praktische Relevanz. Häufig werden sie von der Ausweispflicht befreit, um dann nach einigen Jahren festzustellen, dass nun doch eine Reise ins Ausland ansteht. Anlass kann etwa eine Familienfeier sein, an der sie teilnehmen wollen, oder auch eine gemeinsame Urlaubsreise einer Gruppe behinderter Menschen.

Am sinnvollsten ist es in solchen Fällen, schlicht die Ausstellung eines Ausweises zu beantragen. Das ist trotz einer Befreiung von der Ausweispflicht jederzeit problemlos möglich.

Sollte noch ein bereits abgelaufener Ausweis vorhanden sein, kann er ein ausreichendes
Dokument für eine Auslandsreise sein, wenn er noch nicht länger als ein Jahr abgelaufen ist. Einzelheiten dazu enthält das Europäische Übereinkommen über die Regelung des Personenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats (siehe Böttcher/Ehmann, Kapitel I 9).

12. Wann ist statt einer Befreiung von der Ausweispflicht die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises sinnvoll?

Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Personalausweis und einem vorläufigen Personalausweis besteht darin, dass für einen vorläufigen Personalausweis keine Fingerabdrücke abgenommen werden müssen. Dies bietet manchmal eine Lösung für Fälle, in denen zwar ein Ausweis benötigt wird, die Abnahme von Fingerabdrücken aber realistisch nicht durchzuführen ist.

Auch ein vorläufiger Personalausweis genügt für die Erfüllung der Ausweispflicht. Bei Bedarf können auch zeitlich nacheinander mehrere vorläufige Personalausweise ausgestellt werden (siehe G 3.3.1 Personalausweisverwaltungsvorschrift).

Die Befreiung von der Ausweispflicht kann in der Praxis durch die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises auch gewissermaßen „durchbrochen“ werden. Dies bedeutet:

  • Zwar besteht eine Befreiung von der Ausweispflicht.

  • Dann zeigt sich jedoch, dass (beispielsweise für eine kurze Auslandsreise oder für bestimmte Bankgeschäfte) doch ein Ausweis benötigt wird.

  • Deshalb wird ein vorläufiger Personalausweis ausgestellt. Darin liegt eine Aufhebung der Befreiung von der Ausweispflicht.

  • Anschließend (nach Ablauf der Gültigkeit des vorläufigen Personalausweises) wird die Befreiung von der Ausweispflicht erneut schriftlich ausgesprochen. Die „alte“ Befreiung lebt nicht wieder auf, wenn der vorläufige Personalausweis abläuft!

In solchen Situationen zeigt sich, wie klug die Entscheidung des Gesetzgebers war, der Personalausweisbehörde ein Ermessen bei der Befreiung von der Ausweispflicht einzuräumen. Dies ermöglicht die notwendige Flexibilität des behördlichen Handelns.

13. Wo gibt es Muster, die man bei der Befreiung von der Ausweispflicht verwenden kann?

Wie wir festgestellt haben, bieten die gängigen EDV-Programme, mit denen die Personalausweisbehörden arbeiten, brauchbare Muster für den Alltag an. Aus diesem Grund verzichten wir darauf, zusätzliche Muster zur Verfügung zu stellen. Bitte machen Sie sich mit den Möglichkeiten Ihrer EDV-Programme vertraut!


Dr. Eugen Ehmann und Matthias Brunner

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