Der Zweitpass – nur ausnahmsweise erlaubt

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Ausgabe Mai 2020

Niemand darf mehrere gültige Ausweise besitzen. Davon gibt es keine Ausnahme (siehe § 4 Abs. 1 Personalausweisgesetz – PAuswG). Bei Pässen ist der Gesetzgeber etwas großzügiger. In Ausnahmefällen darf jemand auch mehr als einen Pass besitzen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller ein „berechtigtes Interesse“ an einem oder sogar an mehreren weiteren Pässen nachweist (siehe § 1 Abs. 3 Passgesetz – PassG). Wann liegt ein solches berechtigtes Interesse vor? Nur ausgesprochen selten! So lässt sich zusammenfassen, was zwei Gerichtsinstanzen anlässlich eines konkreten Falls übereinstimmend entschieden haben.

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Inhalt 

  1. Ausgangssituation
  2. Ablehnung des Antrags durch die deutsche Botschaft in Addis Abeba
  3. Klage bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit
  4. Zwischenbemerkung zu den zeitlichen Abläufen
  5. Argumente des Klägers vor Gericht
  6. Argumentatives Vorgehen des Gerichts
  7. Missbrauchsgefahr contra Ausreisefreiheit
  8. Berechtigtes Interesse an einem Zweitpass wegen der Gefahr der Einreiseverweigerung
  9. Berechtigtes Interesse an einem Zweitpass wegen einer derzeit laufenden Beantragung eines Visums
  10. Klare Position der Gerichte
  11. Offene Fragen für unseren nächsten Newsletter
  12. Fundstellen der Gerichtsentscheidungen

 

1. Ausgangssituation

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er besitzt einen gültigen Reisepass. Nun möchte er außerdem noch einen Zweitpass. Das begründet er mit seinen besonderen Lebens- und Arbeitsverhältnissen:

  • Der Kläger hat seinen hauptsächlichen Wohnsitz in Addis Abeba (Äthiopien).

  • Weitere Wohnsitze hat er in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), in Pafos (Zypern) und in Berlin (Deutschland).

  • Der Kläger ist in verschiedenen Staaten bei mehreren unterschiedlichen Unternehmen teils Inhaber, teils Anteilseigner, teils Geschäftsführer diverse Unternehmen.

  • Dies führt dazu, dass er geschäftlich wie privat sehr häufig Reisen unternimmt.

  • Im ersten Halbjahr 2016 unternahm er 25 Flüge zwischen Zielen in Äthiopien, Zypern, Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Außerdem reiste er einige Male zu Zielen in Russland und Ghana.

  • Für Juli 2016 plant er sechs weitere Flüge zwischen Zielen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ghana, Zypern, Deutschland und Russland. Dazu benötigt er seines Erachtens einen Zweitpass.

2. Ablehnung des Antrags durch die deutsche Botschaft in Addis Abeba

Aus der Sicht des Klägers handelte es sich um eine reine Routineangelegenheit:

  • Er war schon seit längerer Zeit im Besitz eines Zweitpasses. Irgendwann hatte die damals zuständige Passbehörde also bejaht, dass bei ihm ein berechtigtes Interesse für einen solchen Zweitpass vorliegt.

  • Dieser Zweitpass war allerdings mit Ablauf des 30. August 2015 ungültig geworden.

  • Deshalb wandte sich der Kläger an die deutsche Botschaft in Addis Abeba und beantragte dort am 9. März 2015 die erneute Ausstellung eines Zweitpasses.

  • Damit, dass dieser Antrag erfolgreich sein würde, rechnete er offensichtlich fest.

Dann verlief jedoch alles ganz anders, als vom Kläger erwartet:

  • Die Botschaft lehnte den Antrag ab.

  • Ihre Begründung: Ein berechtigtes Interesse des Klägers an einem Zweitpass liegt nicht vor.

3. Klage bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Damit blieb dem Kläger nur noch der Versuch, sich an die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu wenden:

  • Örtlich zuständig ist in solchen Fällen das Verwaltungsgericht Berlin, weil die deutschen Botschaften rechtlich gesehen zum Auswärtigen Amt gehören und das Auswärtige Amt seinen Sitz in Berlin hat.

  • So kam es in der ersten Instanz zu einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Ausstellung eines Zweitpasses hat. Dies geschah durch Urteil vom 1. Juli 2016.

  • In einem Beschluss vom 3.4.2020 ließ das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin nicht zu. Damit bestätigte es im Ergebnis die Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

4. Zwischenbemerkung zu den zeitlichen Abläufen

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin als erster Instanz erging tatsächlich bereits am 1. Juli 2016. Dagegen legte der Kläger damals umgehend Berufung ein. Das allein bewirkte aber gar nichts. Eine Berufung gegen das Urteile eines Verwaltungsgerichts ist nämlich nur möglich, wenn das Verwaltungsgericht selbst oder das zuständige Oberverwaltungsgericht als nächste Instanz die Berufung ausdrücklich zulassen (siehe dazu § 124 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung).

Das Verwaltungsgericht selbst hatte die Berufung nicht zugelassen. Deshalb beantragte der Kläger beim Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung. Die Entscheidung über diesen Antrag traf das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erst am 3.4.2020. Das Verfahren ist damit ein negatives Beispiel dafür, wie lange Kläger in der Verwaltungsgerichtsbarkeit manchmal auf eine endgültige Entscheidung warten müssen.

5. Argumente des Klägers vor Gericht

Häufige Reisen allein begründen kein berechtigtes Interesse an einem Zweitpass. Das war auch dem Kläger bewusst. Deshalb beschränkte er sich vor Gericht nicht darauf, seine Lebens- und Arbeitsverhältnisse darzustellen. Vielmehr führte er daran anknüpfend zwei Argumente an, die in der Praxis ständig vorkommen:

  • Argument 1:
    Er müsse auch dann reisen können, wenn sein Erstpass bei der Botschaft eines anderen Staates hinterlegt ist, damit dort für eine künftige weitere Reise ein Visum erteilt werden kann. Das gehe nur, wenn er einen Zweitpass besitze.

  • Argument 2:
    Er beabsichtige Reisen nach Israel. Israel bringe bei der Einreise in seinem Reisepass einen Sichtvermerk an. Wenn er diesen Pass dann bei der Einreise in die Vereinigten Arabischen Emiraten vorlege, müsse er wegen dieses Vermerks mit Schwierigkeiten rechnen. Möglicherweise werde ihm die Einreise deshalb sogar verweigert. Deshalb benötige er einen Zweitpass, um ihn bei der Einreise in die Vereinigten Arabischen Emirate anstelle des Erstpasses vorlegen zu können.

6. Argumentatives Vorgehen des Gerichts

Um die Relevanz dieser Argumente einordnen zu können, ist ein Blick auf zwei rechtliche Aspekte nötig:

Zunächst stellt sich die Frage, warum ein Zweitpass grundsätzlich verboten ist. Nicht nur Laien außerhalb der Verwaltung fragen manchmal: Warum stört es eigentlich, wenn jemand mehrere Pässe besitzt? Was soll da schon passieren?

Sodann ist die Frage zu beantworten, wann ein „berechtigtes Interesse“ vorliegt, das ausnahmsweise die Ausstellung eines Zweitpasses rechtfertigt.

Genau so gehen auch die beiden Gerichte vor, die mit dem Fall befasst waren.

7. Missbrauchsgefahr contra Ausreisefreiheit

Zur grundsätzlichen Frage, warum ein Zweitpass im Regelfall unzulässig ist, bei einem berechtigten Interesse aber durchaus ausgestellt werden kann, weisen die Gerichte auf zwei Aspekte hin:

Das grundsätzliche Verbot von Zweitpässen soll mögliche Missbräuche vermeiden. So ist es denkbar, dass jemand seinen Zweitpass an einen anderen weitergibt, der dann so tut, als sei dies sein eigener Pass. Wer nur über einen einzigen Pass verfügt, wird ihn kaum aus der Hand geben. Wer zwei Pässe besitzt, könnte dieser Versuchung eher erliegen.

Die ausnahmsweise Ausstellung eines Zweitpasses soll dafür sorgen, dass die Möglichkeit, nach Belieben aus Deutschland auszureisen, auch tatsächlich genutzt werden kann.

Diese Überlegungen wirken nur auf den ersten Blick eher theoretisch. Vor allem der Maßstab „Nutzung der Ausreisefreiheit“ führt aber zu direkten praktischen Konsequenzen: Die Ausstellung eines Zweitpasses ist nur dann gerechtfertigt, wenn ohne ihn eine Ausreise zum gewünschten Zeitpunkt nicht möglich ist. Nur in solchen Fällen ist ein „berechtigtes Interesse“ an einem Zweitpass gegeben.

In der Praxis gibt es vor allem zwei Gründe, die zu einem berechtigten Interesse an einem Zweitpass führen:

  • Grund Nr. 1: Der Antragsteller muss befürchten, dass ihm ein Staat die Einreise verweigert, wenn in seinem Pass Einträge bestimmter anderer Staaten vorhanden sind, beispielsweise ein Visum eines anderen Staates oder eine Einreisebestätigung eines anderen Staates.

  • Grund Nr. 2: Der Antragsteller muss seinen Pass bei der Botschaft oder dem Konsulat eines Staates abgeben, wenn er dort ein Visum beantragt. Während der Zeit, in der er den Pass nicht in Händen hat, braucht er ihn jedoch für die Einreise in einen anderen Staat.

Beide Gründe werden oft pauschal behauptet. Der Antragsteller muss jedoch konkret belegen, dass sie wirklich gegeben sind. Gelingt ihm dies nicht, ist seine Ausreisefreiheit nicht berührt. Dann gibt es auch keinen Grund, ihm einen Zweitpass auszustellen.

Wichtig ist die Formulierung des Gesetzes, dass das berechtigte Interesse nachzuweisen ist (§ 1 Abs. 3 PassG. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, dass dies Sache des Antragstellers ist, nicht Sache der Passbehörde.

8. Berechtigtes Interesse an einem Zweitpass wegen der Gefahr der Einreiseverweigerung

Bezüglich Grund Nr. 1 (Gefahr der Einreiseverweigerung in einen Staat) argumentieren Antragsteller oft, sie müssten mit Schwierigkeiten bei der Einreise in Israel rechnen. Dies sei angeblich der Fall, wenn im Pass Vermerke arabischer Staaten enthalten sind. Deshalb bräuchten sie einen Zweitpass. Dann könnten sie die Vermerke arabischer Staaten im Erstpass anbringen lassen, während der Zweitpass in dieser Hinsicht „sauber“ bleibe.

Umgekehrt sei es genauso. Wenn in einem Pass Einreisevermerke für Israel enthalten sein, gebe es Schwierigkeiten bei der Einreise in arabische Staaten. Oft werde die Einreise schlicht verweigert.

Auf dieses Argumentationspaar griff auch der Kläger zurück. Damit hatte er bei den Gerichten jedoch keinen Erfolg, und dies völlig zurecht. In seinem Fall war es so, dass er keinerlei konkrete Planungen für eine Reise nach Israel vorweisen konnte. Deshalb setzten sich die Gerichte mit seiner Argumentation im Einzelnen gar nicht auseinander. Vielmehr verneinten sie schon aus diesem Grund das berechtigte Interesse an der Ausstellung eines Zweitpasses.

9. Berechtigtes Interesse an einem Zweitpass wegen einer derzeit laufenden Beantragung eines Visums

Bezüglich Grund Nr. 2 (Erstpass nicht verfügbar, da mit ihm gerade ein Visum beantragt wird) argumentierte der Kläger, wegen seiner erhöhten Reisetätigkeit könne diese Situation jederzeit vorkommen. Deshalb brauche er gewissermaßen zur Vorsicht einen Zweitpass als eine Art Reserve.

Dies ließen die Gerichte zu Recht nicht genügen. Vielmehr sagt das Oberverwaltungsgericht Berlin in Rn. 12 seiner Entscheidung ganz klar: „Ein berechtigtes Interesse ist in diesen Fällen nur anzunehmen, wenn aus den beabsichtigten Reisezielen und -daten ersichtlich ist, dass sich die Beantragung der benötigten Visa und die Durchführung der beabsichtigten Reisen im konkreten Fall ausschließen.“

Mit anderen Worten: Der Antragsteller für einen Zweitpass muss detailliert darlegen (durch Vorlage von Buchungsbelegen, Flugtickets usw.), wann genau die Situation eintreten wird, dass sich eine solche konkrete Überschneidung ergibt. Alles andere ist unzureichend.

Das Argument des Klägers, er müsse es nicht erst auf eine solche Situation ankommen lassen, weist das Oberverwaltungsgericht Berlin klar zurück. Es hält ihm vor, das in diesem Fall die Möglichkeit bestehe, sich einen Zweitpass in Form eines Expresspasses ausstellen zu lassen - und zwar gerade dann, wenn dies wirklich konkret nötig ist, nicht jedoch vorbeugend.

10. Klare Position der Gerichte

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Gerichte für die Ausstellung eines Zweitpasses hohe Hürden aufstellen. Dies wird dem Ausnahmecharakter eines Zweitpasses gerecht.

Passbehörden tun gut daran, diese Linie zu beachten und strenge Maßstäbe anzulegen. Dies führt dazu, dass eine genaue Prüfung der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen erforderlich ist. Auch sind Antragsteller mit einem solchen strengen Vorgehen häufig unzufrieden. Beides muss die Passbehörden jedoch in Kauf nehmen. Die gesetzliche Regelung ist eindeutig. Darüber darf sie sich nicht hinwegsetzen.

11. Offene Fragen für unseren nächsten Newsletter

Der Fall wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, zu denen die Gerichte nichts sagen. Beispiel: Was wäre denn, wenn der Kläger nachweisbar eine Reise nach Israel vorhätte? Würde er dann einen Zweitpass bekommen?

An diesem Beispiel sieht man, dass Gerichtsentscheidungen eben etwas anderes sind als ein Fachartikel oder gar ein Lehrbuch. Die Gerichte behandeln nicht alles, was einen Leser der Entscheidung interessieren könnte. Vielmehr sprechen sie nur das an, was für die Entscheidung wirklich notwendig ist. Gerade das zeichnet gute Gerichtsentscheidungen aus.

Wir als Newsletter-Autoren müssen uns nicht in dieser Weise beschränken. Deshalb werden wir im nächsten Newsletter die beiden Entscheidungen aus diesem Newsletter nochmals aufgreifen. Dort beantworten wir dann ergänzende Fragen, die für Praktiker wichtig sind, zu denen die Gerichte im konkreten Fall aber nichts sagen mussten.

12. Fundstellen der Gerichtsentscheidungen

Der Beschluss des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vom 03.04.2020 OVG 5 N 59.16 ist hier abrufbar.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1.7.2016 VG 23 K 238.15 ist derzeit noch nicht im Netz verfügbar. Stattdessen siehe PDF-Datei.

Den Hinweis auf die Entscheidungen und die Anregung, dazu einen Newsletter zu verfassen, verdanken wir einem treuen Leser aus der Oberpfalz, der laut www.oberpfalz.de
„lebenswertesten Region Bayerns“.

 

Dr. Eugen Ehmann und Matthias Brunner

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