Zum ersten Mal wird es EU-weit Regeln für die Kriminalisierung bestimmter Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt sowie einen besseren Zugang zu Justiz, Schutz und Prävention geben. Der Rat der EU unter belgischer Ratspräsidentschaft und das Europäische Parlament unter Beteiligung der EU-Kommission haben sich auf eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt geeinigt.
Bundesfrauenministerin Lisa Paus: „Die Einigung zur EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist ein Meilenstein für Frauen in Europa. Mit der Einigung sendet die EU das klare Signal: Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Europa müssen konkret eingedämmt werden. Erstmals werden eine EU-weite Regelung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und gemeinsame Mindeststandards für den Schutz vor dieser Gewalt geschaffen. Ein Scheitern der Richtlinie wäre ein großer gleichstellungspolitischer Rückschritt gewesen. Ich bin vor allem auch den vielen Frauen dankbar, die überall ihre Stimme erhoben haben, damit Frauen besser vor Gewalt geschützt werden. Jetzt ist ein wichtiger Erfolg erzielt, die politische Auseinandersetzung für mehr Schutz für Frauen vor Gewalt wird weitergehen.“
Durch die intensiven und teils schwierigen Verhandlungen wurden bedeutende Fortschritte erzielt. Insbesondere folgende Aspekte sind positiv hervorzuheben:
- Verbesserter Zugang zu Justiz (z. B. können Strafanträge vereinfacht und leichter zugänglich eingereicht werden)
- erstmalige Regelung von gegen Frauen gerichtete Online-Gewalt, darunter Delikte wie „Cyber-Stalking“,
- Verbreitung von intimen oder manipulierten Bildern,
- Mobbing im Netz,
- Versenden von sogenannten „Dick Pics“ oder
- Aufstacheln zu frauenbezogenem Hass und Gewalt
- verbesserter Schutz für Kinder, die Gewalthandlungen beobachten
- EU-weite Standards zur Ahndung von weiblicher Genitalverstümmelung und Zwangsheirat
- Einheitliche Standards zur Unterstützung und Betreuung der Opfer (z. B. Bereitstellung von Hilfsdiensten)
Auch wenn der Tatbestand der Vergewaltigung aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur EU-Rechtsetzungskompetenz keinen Einzug in die Richtlinie gefunden hat, müssen die EU-Mitgliedsstaaten zukünftig geeignete Präventions- und Sensibilisierungsmaßnahmen gegen sexuelle Gewalt treffen. Damit soll insbesondere das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass sexuelle Handlungen Einvernehmen voraussetzen und dass sexuelle Handlungen ohne Einvernehmlichkeit strafbar sind. Damit wird ein Teil der Istanbul-Konvention aufgegriffen, nach der sexuelle Handlungen ohne freiwillige Zustimmung nicht aufgezwungen werden dürfen.
Ergänzend zur EU-Regelung haben sich das federführende Bundesjustizministerium und das Bundesfrauenministerium auf Initiative von Bundesfrauenministerin Lisa Paus auf eine Evaluation des 2016 neu gefassten nationalen Sexualstrafrechts geeinigt, in dem die „Nein heißt Nein“-Lösung verankert ist. Mit der Evaluation soll überprüft werden, ob die aktuell in Deutschland geltende Regelung den Vorgaben der Istanbul-Konvention vollständig entspricht. Die Evaluation soll noch in dieser Legislaturperiode starten.
Quelle: Pressemitteilung des BMFSFJ vom 7.2.2024
Stellungnahme des Juristinnenbundes: Große Leerstelle bleibt
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt die am 6. Februar 2024 erzielte Einigung über die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt mit Nachdruck als wichtigen historischen Schritt. „Die Richtlinie bietet erstmals auf europäischer Ebene ein umfassendes, für alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtendes Regelwerk zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und stellt insbesondere bei der Bekämpfung von digitaler Gewalt einen Meilenstein dar“, stellt Ursula Matthiessen-Kreuder, Präsidentin des djb, fest. Mit der politischen Einigung über die von der Kommission am 8. März 2022 vorgeschlagene EU-Richtlinie, die nach langwierigen Verhandlungen erzielt wurde, kann diese Richtlinie nun noch vor den Europawahlen im Juni 2024 endgültig verabschiedet werden. Dies ist in Anbetracht der Zunahme rechtspopulistischer Parteien und der aktuellen Angriffe auf demokratische Systeme und Schutzmechanismen für Frauen dringend erforderlich.
Eine große Leerstelle bleibt: Wegen rechtlicher Bedenken insbesondere der Bundesregierung ist das Vergewaltigungsdelikt aus der Richtlinie gestrichen worden. Diese Blockadehaltung, die die Richtlinie insgesamt zeitweilig an den Rand des Scheiterns brachte, hat der djb bereits in einem Offenen Brief stark kritisiert. Somit wurde ein effektiver und einheitlicher strafrechtlicher Schutz in ganz Europa vor dieser schweren Form sexualisierter Gewalt gegen Frauen, unabhängig von ihrem Wohn- oder Aufenthaltsort, verhindert.
„Mit Nachdruck zu begrüßen ist, dass es dem Europäischen Parlament zumindest gelungen ist, ein konsensbasiertes Verständnis einer Vergewaltigung bei den Bestimmungen zur Prävention und eine wirksame Überprüfungsklausel durchzusetzen“, betont Dilken Çelebi, die Vorsitzende der Strafrechtskommission des djb. Die verabschiedete Richtlinie stellt so einen ersten wichtigen Schritt zu einer konsensbasierten Kultur sexueller Handlungen dar. Dies kann als Grundstein dafür dienen, dieses Verständnis künftig auch im Strafrecht als einen europaweiten Standard zu etablieren.
Quelle: Pressemitteilung des djb vom 8.2.2024

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Scharfe Kritik des Frauenrats
Auch der Deutsche Frauenrat begrüßt die EU-Gewaltschutzrichtlinie als wegweisend zum Schutz von Frauen und Mädchen in der gesamten EU. Dass jedoch der Tatbestand Vergewaltigung – als einem der schwersten Verbrechen gegenüber Frauen – nicht in die Richtlinie aufgenommen wurde, kritisiert die größte frauenpolitische Interessenvertretung Deutschlands scharf.
„Die Entscheidung des EU-Rats, die Aufnahme von Vergewaltigung in die Richtlinie abzulehnen, ist empörend. Dennoch sendet diese Richtlinie ein wegweisendes Zeichen: Alle Länder in der EU müssen Maßnahmen umsetzen, um Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu beenden. In Anbetracht eines drohenden Rechtsrucks bei den EU-Wahlen ist das ein Erfolg,“ sagt Sylvia Haller, Mitglied im Vorstand und Verantwortliche für das Schwerpunktthema Gewalt gegen Frauen im Deutschen Frauenrat.
Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten gemeinsame Tatbestände in ihr Strafrecht aufzunehmen, die bislang nicht einheitlich geregelt sind. Beim Tatbestand Vergewaltigung stellte sich unter anderem Deutschland gegen die Aufnahme. Für Betroffene in vielen EU-Staaten bedeutet dies, dass sie weiterhin körperliche Gewalt und Bedrohungen durch den Täter nachweisen müssen.
„Nach Schätzungen werden in der EU jedes Jahr mindestens 1,5 Millionen Frauen vergewaltigt. Aus nationalen Studien wissen wir, dass es am Ende bei nur rund 1% der Fälle zu einer Verurteilung kommt. Die deutsche Bundesregierung, die ihre Haltung trotz massiven öffentlichen Drucks nicht geändert hat,“ kritisiert Haller.
Quelle: Pressemitteilung des DF vom 7.2.2024

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