Für immer mitgemeint?
Das „generische Maskulinum“ werde nun mal geschlechtsneutral verwendet, das sei schon seit 2000 Jahren so und damit eine „historisch gewachsene Übereinkunft“ und keine Diskriminierung.
Die Frankfurter Frauendezernentin Rosemarie Heilig kritisiert das BGH-Urteil und bezeichnet es als „frauenfeindlich“.
„Offenbar fürchten sie mehr die technischen Herausforderungen, als den Verlust von Kundinnen, wenn Formulare – nicht nur bei den Sparkassen, sondern auch in anderen Vertragswerken – geändert werden müssten.“ Sie sei selbst Kundin der Sparkasse, so Heilig. „Vielleicht wollen die mich ja auch loswerden?“
Mit dem Argument, das generische Maskulinum benachteilige Frauen nicht, bewege sich der BGH auf äußerst dünnem Eis, so Heilig. In der Regel werde dieser nämlich nur benutzt, wenn eine gleichgeschlechtliche Gruppe angesprochen wird. „Als Frauendezernentin der Stadt Frankfurt ist es für mich und meine Kolleginnen und Kollegen seit langem selbstverständlich, Frauen in Briefen und Reden direkt anzusprechen, wenn es ausschließlich oder auch um sie geht.“
Mit dem Urteil zeige sich der BGH außerdem rückwärtsgewandt und realitätsfern. „Glücklicherweise können Frauen inzwischen – auch ohne Erlaubnis von Ehemännern und Vätern – selbst Verträge abschließen und Konten eröffnen. Der BGH hat mit seinem Urteil aber eine Chance vertan, endlich der rechtmäßigen Forderung von Frauen zu entsprechen, das auch sichtbar zu machen.“
Quelle: Pressemitteilung v. 14.3.2018
Kritik der niedersächsischen Gleichstellungsbeauftragten
Auch die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen- und Gleichstellungs-büros Niedersachsen (lag) kritisiert das Urteil als Rückschritt scharf, bedeute es doch, dass bereits errungene Rechte wieder zurückgenommen werden. Mit dieser Entscheidung werde nicht nur die Hälfte der Bevölkerung in Formularen und Texten ausgeschlossen, vielmehr noch werden geschlechtliche Klischees verfestigt. Wenn nur von Managern und Flugkapitänen gesprochen werde, denken wir auch nur an Männer in diesen Berufen. Das bestehende strukturelle Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, das die gesellschaftlichen Realität noch immer ausmacht, werde so sprachlich manifestiert. Denn Sprache beeinflusst gesellschaftliche Wirklichkeit und Normen und hat damit eine viel größere Wirkung, als das Gericht ihr zubilligt.
Katja Weber Khan, Mitglied des lag-Vorstandes erklärt: „Ich begrüße den Mut und die Ausdauer der Klägerin, nun vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Damit kann sie Deutschland zu mehr Gleichberechtigung und zur Wahrung von Frauenrechten verhelfen. Schließlich ist der Staat laut Grundgesetz zur Förderung der tatsächlichen Umsetzung der Gleichberechtigung verpflichtet (Art. 3 Abs. 2 GG).“
Die lag hofft, dass die Sparkassen selbst erkennen, dass sich ein Dienstleistungsunternehmen im 21. Jahrhundert benutzer/innenfreundlich aufstellen muss, wenn es seine weibliche Kundschaft nicht verprellen möchte. Hilfe bei der Umsetzung einer geschlechtergerechten Ansprache halte gerne die kommunale Gleichstellungsbeauftragte vor Ort bereit.
Quelle: Pressemitteilung der lag vom 15.3.2018
Stellungnahme der BAG
Auch die Sprecherinnen der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen sind empört über das Urteil des BGH zur Klage von Marlies Krämer: „Wir befinden uns im Jahr 2018 und noch immer müssen Frauen um Gleichbehandlung, nicht nur in der Sprache, kämpfen. Sie machen weltweit 51 % der Bevölkerung aus und sollen sich auch weiterhin in der männlich konnotierten Sprache ‚mitgemeint‘ fühlen. Und das ist sehr wohl diskriminierend, auch wenn der BGH zu einem anderen Urteil kommt.
Sprache ist mit der wichtigste Schlüssel zur Gleichstellung von Frauen. Sprache prägt das Bewusstsein. Seit Jahrzehnten kämpfen die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten dafür, dass Frauen in der Sprache sichtbar sind und fordern öffentliche Einrichtungen, Verbände und Gesetzgeber auf, geschlechtergerecht zu formulieren.
Das Urteil des BGH ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich für die Gleichstellung von Frauen einsetzen. Es zementiert alte Rollenbilder und fördert weiter Rollenklischees in der Öffentlichkeit.“
2000 Jahre Historie?
Zum Argument, das generische Maskulinum sei eine seit 2000 Jahren historisch gewachsene Form, sagt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem SZ-Interview:
„Von wegen. Lange existierte gar keine feminine Form, die von einer männlichen abgeleitet werden konnte. Bis dahin wurden meist wirklich nur Männer angesprochen, etwa bei Wahlen. Als dann auch Frauen wählen durften, hieß es: Also gut, ab jetzt sind sie mit 'Wähler' auch gemeint. Insofern ist diese vermeintliche Tradition – und damit die Verlegenheit, das Problem lösen zu müssen – erst entstanden, als Frauen mehr Rechte erhielten. Nicht das generische Maskulin ist 2000 Jahre alt. Sondern das Patriarchat.“

