Der EUGH hat entschieden, dass Frauen aus Drittstaaten, welche wegen häuslicher Gewalt Schutz in der EU suchen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden kann.
Eine türkische Staatsangehörige hatte in Bulgarien um internationalen Schutz nachgesucht. Hintergrund war eine Zwangsheirat mit darauffolgender Scheidung und eine daran anknüpfende Bedrohung durch ihren Ex-Mann und ihrer Herkunftsfamilie. Die zuständigen Behörden in Bulgarien wiesen die Anträge auf internationalen Schutz und subsidiären Schutz ab. Das Verwaltungsgericht Sofia-Stadt hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
1. Geschlechtsspezifische Verfolgung in der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Qualifikations-Richtlinie
Der EuGH führt sehr schön die wesentlichen Rechtsgrundlagen aus:
Nach Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95, der Art. 1 Abschnitt A Ziff. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, ist eine Voraussetzung für die Anerkennung als „Flüchtling“, dass die Person aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der „Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ um Schutz ersucht.
Unter anderem wird in Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 2 u. a. ausgeführt, dass „[g]eschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, […] zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt [werden]“.
Der EuGH geht dann auf Rn. 30 der Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 1 betreffend geschlechtsspezifische Verfolgung ein, der erläutert, dass „das Geschlecht durchaus in die Kategorie der bestimmten sozialen Gruppe fallen kann, da Frauen ein deutliches Beispiel für eine durch angeborene und unveränderliche Charakteristika definierte Untergruppe der Gesellschaft sind und oft anders als Männer behandelt werden. … Ihre Merkmale identifizieren sie auch als eine Gruppe innerhalb der Gesellschaft, für die in manchen Ländern eine andere Behandlung und andere Normen gelten“.

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2. Rolle von Istanbul Konvention und CEDAW gestärkt
Die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und die Istanbul Konvention sind für die Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten sind an die völkerrechtlichen Instrumenten gebunden, denen sie beigetreten sind. Der CEDAW-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, der für die Überwachung der Einhaltung des CEDAW zuständig ist, hat präzisiert, dass dieses Übereinkommen die internationale Regelung gesetzlichen Schutzes für Frauen und Mädchen, auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen, verstärkt und ergänzt.
Nach Art. 60 Abs. 1 des Übereinkommens von Istanbul muss Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Ziff. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden. Zum anderen verlangt Art. 60 Abs. 2 dieses Übereinkommens von den Vertragsparteien, sicherzustellen, dass alle in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Verfolgungsgründe geschlechtersensibel ausgelegt werden und dass in Fällen, in denen festgestellt wird, dass die Verfolgung aus einem oder mehreren dieser Gründe befürchtet wird, den Antragstellerinnen und Antragstellern der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird.
Tessa Hillermann

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