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PISA-Schock: Unterfinanziertes Bildungssystem rächt sich

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Die schulischen Leistungen der Fünfzehnjährigen in Deutschland sind in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften so sehr gesunken wie noch nie.

Dieser Rückgang zeigt sich für Mathematik und Lesen auch in den meisten anderen OECD-Staaten. Durch die vergleichsweise stärkeren Einbußen in Mathematik und Lesen im internationalen Kontext verliert Deutschland seinen bisherigen Vorsprung im OECD-Vergleich und liegt nun auf durchschnittlichem Niveau. In den Naturwissenschaften liegt Deutschland nach wie vor über dem OECD-Durchschnitt. Der Rückgang in Mathematik im Vergleich zu 2018 beträgt minus 25 Punkte (OECD minus 17), in Lesen minus 18 Punkte (OECD minus 11) und in Naturwissenschaften minus 11 Punkte (OECD minus 2). Die langen Einschränkungen des Schulbetriebs in Deutschland sowie weitere pandemiebedingte Einschränkungen haben zu den negativen Entwicklungen beigetragen. Zudem ist die Schülerschaft heterogener geworden und der Anteil von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit sozialen Risikolagen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Bildungserfolg ist in Deutschland nach wie vor stark ausgeprägt.

Dazu erklärt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Katharina Günther-Wünsch: „Die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 sind besorgniserregend, sie bestätigen die Befunde der IGLU-Studie sowie der IQB-Bildungstrends 2021 und 2022. Eine zunehmend heterogene Schülerschaft stellt das Schulsystem und auch die Lehrkräfte vor enorme Herausforderungen. Zudem zeigen sich weiterhin die Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen und Schulschließungen. Und wir stehen vor der Herausforderung, sicherzustellen, dass jede Schule die notwendigen Mittel erhält, um eine hochwertige Bildung zu gewährleisten. Dies umfasst nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch die Unterstützung durch qualifizierte Lehrkräfte und zeitgemäße Lehrmaterialien. Alle sind sich einig, dass es jetzt vor allem auf die Stärkung der Basiskompetenzen ankommt, und das möglichst frühzeitig. Die KMK schärft derzeit ihre Empfehlungen für die Grundschulen und bereitet eine deutliche Stärkung des Deutsch- und Mathematikunterrichts vor. Wir brauchen insbesondere eine gezielte Sprachförderung, die in der Frühen Bildung ansetzt und die Lernenden länger begleitet. Die Ergebnisse verdeutlichen zudem, dass die Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund, die selbst zugewandert sind, besondere Unterstützung benötigen. Nicht zuletzt um ihnen einen Übergang in die berufliche Ausbildung, die soziale Teilhabe und gesellschaftliche Integration zu ermöglichen.“

Dazu erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung Dr. Jens Brandenburg: „Die Befunde der PISA-Studie sind besorgniserregend. Die Daten zeigen ein generelles Absinken des Leistungsniveaus. Der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist in Deutschland nach wie vor stark, gerade auch im Vergleich mit anderen OECD-Staaten. Wir brauchen dringend eine Trendwende und müssen die Anstrengungen erhöhen, um die Grundkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zu stärken. Und wir brauchen dringend eine gezielte Förderung für die sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen. Als Bundesbildungsministerium stehen wir bereit, die zuständigen Länder hierbei zu unterstützen. Mit dem Startchancen-Programm wollen wir etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders stärken. Bis zum Ende der Programmlaufzeit wollen wir den Anteil derjenigen, die an den Startchancen-Schulen die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen verfehlen, halbieren. Gemeinsam mit den Ländern gehen wir dieses ehrgeizige Ziel an. Laufzeit und Mittelvolumen sind dabei ein absolutes Novum im Bildungsbereich. Bund und Länder investieren insgesamt 20 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die PISA-Studie macht deutlich: Das Startchancen-Programm ist nötiger denn je. Es geht um nichts weniger als die Chancen und die Zukunft unserer Kinder.“

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Herkunftsbezogene Ungleichheiten zeigen sich in allen OECD-Mitgliedsstaaten. Im internationalen Vergleich sind diese für Deutschland stark ausgeprägt und weiterhin hoch. Sozioökonomisch begünstigte Jugendliche in Deutschland übertreffen benachteiligte Schülerinnen und Schüler in Mathematik erheblich und stärker als im OECD-Durchschnitt.

  • Jungen schnitten in Mathematik um 11 Punkte besser ab als Mädchen (OECD 9). Die Mädchen schnitten im Lesen um 20 Punkte besser ab als die Jungen (OECD 24). In den Naturwissenschaften zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen.

  • Auf der Systemebene betrachtet hielten die pandemiebedingten Einschränkungen im Schulbetrieb in Deutschland länger an als im OECD-Durchschnitt.

Quelle: Pressemitteilung des BMFSFJ vom 5.12.2023

GEW: „PISA-Ergebnisse spiegeln Lehr- und Fachkräftemangel wider“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt mit Blick auf die ernüchternden PISA-Befunde dringend eine konsequente individuelle Förderung der Kinder und jungen Menschen an. Dafür müssten die Anstrengungen, den Lehr- und Fachkräftemangel effektiv zu bekämpfen, deutlich erhöht werden. Zudem schlägt die GEW einen Masterplan gegen Bildungsarmut und soziale Ungerechtigkeit vor. Dass sich die Abhängigkeit der schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen vom Elternhaus seit über 20 Jahren nicht verringert hat, bezeichnetet die Bildungsgewerkschaft als „Skandal“.

„Die PISA-Ergebnisse sind für die Lebens- und Berufschancen vieler Schülerinnen und Schüler sehr problematisch, für die Schulpolitik beschämend“, sagte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, in Frankfurt a.M. „Deutschland hat seit Jahrzehnten sowohl ein Leistungs- als auch ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem. Fatal ist: Nach einigen leichten Verbesserungen in den PISA-Runden in den 2000er-Jahren sind wir ungebremst wieder auf dem Niveau von vor 22 Jahren angekommen. Das ist eine schulpolitische Bauchlandung.“ Bensinger-Stolze schlug unter anderem eine durchgängige Förderung der Grundkompetenzen vor, die weder nach der Grundschule noch vor dem Schultor aufhöre, und verlangte, soziale Hürden im Schulsystem abzubauen.

„Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat – als Reaktion auf die erste PISA-Studie in 2001 – den Fokus zu sehr auf das Thema ‚Qualitätsentwicklung und Standardisierung‘ gelegt und viel zu wenig auf andere Handlungsfelder wie die Sprach- und Leseförderung, die wirksame Unterstützung benachteiligter Kinder und die Ganztagsschulentwicklung gesetzt“, erläuterte die GEW-Schulexpertin.

„Anstatt immer wieder die Alarmglocken neu zu läuten und das ‚Scheitern‘ von Schülerinnen und Schülern zu beklagen, müssen wir die Fehler im System analysieren - und beheben“, betonte Bensinger-Stolze. Mit Blick auf die frühe Selektion, die sozial ungerechte Finanzierung des Schulsystems und den eklatanten Personalmangel unterstrich sie: „Der ‚Output‘ wird nicht besser, wenn der ‚Input‘ nicht stimmt. Die Schülerleistungen werden sich nie in der Breite verbessern, wenn wir die Kinder weiterhin so früh auf hierarchische Schulformen aufteilen. Es ist ein Fehler zuzulassen, dass sich soziale und personelle Probleme in bestimmten Schulen stark konzentrieren. Wer hier zu wenig unternimmt oder gar spart, muss sich nicht wundern, dass so viele Schülerinnen und Schüler durchs Netz fallen und später Fachkräfte fehlen“, sagte die GEW-Expertin. Das Startchancenprogramm der Bundesregierung sei nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, wenn es nicht verstetigt und Teil des Systems werde.

„Die unzureichenden Matheleistungen spiegeln den Lehrkräftemangel wider. Laut der in der PISA-Studie befragten Schulleitungen hat sich der Anteil der Schulen, die über Lehrkräftemangel oder ungenügend ausgebildete Lehrkräfte klagen, seit 2018 deutlich erhöht“, hob Bensinger-Stolze hervor. „Es sind massive Anstrengungen notwendig, um viel mehr Lehr- und Fachkräfte zu gewinnen: Das Thema gehört ganz oben auf die Agenda!“ Zudem müsse die Debatte über die Qualität von Schule über das Prüfen und Vergleichen von Leistungen hinausweisen. „Schulqualität muss genauer daraufhin untersucht werden, wie gut die Schule alle Kinder – unabhängig von deren sozialer Lage oder Wohnort – fördert, wie bedarfsgerecht Ressourcen und Personal verteilt und wie gut Lern- und Arbeitsbedingungen ausgestaltet sind. Gute Bildung und gute Arbeit sind zwei Seiten einer Medaille“, betonte die Schulexpertin.

Quelle: Pressemitteilung der GEW vom 5.12.2023

PISA-Absturz gefährdet wirtschaftlichen Wohlstand

„Der Leistungsrückgang deutscher Schüler*innen bei PISA gibt Anlass zu größter Sorge. Gute Bildung ist die wichtigste Basis für unseren Wohlstand“, sagt Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. „In Mathematik und Lesen liegen die Leistungen der 15-Jährigen ein ganzes Schuljahr hinter dem zurück, wo sie noch vor vier Jahren standen. Einen derartigen Rückgang der Bildungsergebnisse hat es noch nie gegeben. Mittlerweile sind die Leistungen sogar unter das Niveau gefallen, das vor gut 20 Jahren den ersten PISA-Schock ausgelöst hat. Der Rückgang von 25 PISA-Punkten, wie wir ihn gerade in Mathematik gesehen haben, kostet Deutschland langfristig rund 14 Billionen Euro an Wirtschaftsleistung bis zum Ende des Jahrhunderts.“

Wößmann fügt hinzu: „Als Gesellschaft müssen wir einen größeren Schwerpunkt auf die Lernergebnisse legen und sicherstellen, dass alle Kinder und Jugendlichen die benötigten Basisfähigkeiten vermittelt bekommen.“ Die Verbesserung der schulischen Ergebnisse müsse in Politik, Bildungsverwaltung, Schulen und Familien Vorrang haben. Die Wirtschaftsforschung belege, dass die in PISA gemessenen Grundkompetenzen die Basis für die späteren Einkommensmöglichkeiten der Schüler*innen und für die Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft seien.

Quelle: Pressemitteilung des Ifo Instituts vom 5.12.2023

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