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Ausdifferenzierte Leistungsbeurteilungen verfassungswidrig?

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Vor exakt 220 Jahren führte der preußische Soldatenkönig König Friedrich Wilhelm I. das sogenannte Leistungsprinzip ein. Das ist eine verkürzte Darstellung, denn vor das Leistungsprinzip hatte der König das Berufsbeamtentum gesetzt, d.h. unter seiner Regierung gab es zum ersten Mal Regelungen für den „Beamtenberuf“. 1794 wurden dafür im Preußischen Allgemeinen Landrecht mit den „Rechten und Pflichten der Diener des Staates“ die Grundlagen geschaffen. Daraus entwickelten sich die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“, an die wir alle – sofern wir Beamt/inn/en oder DO-, d.h. Dienstordnungsangestellte1 sind - auch heute noch glauben (sollen).

Liebe Leserin, lieber Leser,

zu diesen wunderbaren Grundsätzen2 zählen Dinge wie das Lebenszeitprinzip, das Laufbahnprinzip, das Alimentationsprinzip3, die volle Hingabe an den Beruf4 und im Gegenzug die Fürsorgepflicht des „Dienstherrn“, die Neutralitätspflicht (die wünschte ich mir im politischen System Behörde wirklich!), und eben auch das Leistungsprinzip.

Das Leistungsprinzip verwirklicht sich in Beurteilungen und wie ausgefeilt dieses System inzwischen geworden ist, wissen wir alle. Kaum eine Personalentscheidung kann mehr ohne vorherige Beurteilung der Kandidat/inn/en getroffen werden. Das Beurteilungswesen wird als Instrument gottähnlicher Objektivität dargestellt und kein Instrument ist subjektiver und daher fehleranfälliger als genau diese Beurteilungen.

2001 kam das Bundesgleichstellungsgesetz und darin die Regelung des § 8 „Sind Frauen in einzelnen Bereichen unterrepräsentiert, hat die Dienststelle sie bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen, Einstellung, Anstellung und beruflichem Aufstieg bei Vorliegen von gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Qualifikation) bevorzugt zu berücksichtigen, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen.“ Das ließ auf Gleichstellung hoffen - zumindest im Laufe der Jahre. Aber nix da.

Im Laufe genau dieser Jahre wurde die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht so ziseliert und kleinteilig, dass es nach Auswertung der Einzelkriterien von Beurteilungen praktisch nie mehr zu gleicher Qualifikation kam. Alle, die ihre (meist männlichen) Augensterne bevorzugen wollten, konnten dies tun, wenn sie sie in der Beurteilung nur in ausreichend vielen Einzelkriterien hoch genug einstuften. Da blieb auch gerne einmal die Logik von Einzelbewertungen im Vergleich zur Gesamtbewertung auf der Strecke. Und ein bisschen Absprache hinter den Kulissen musste natürlich auch sein. Aber in einem gut funktionierenden (old) boys‘ network läuft das schon.

Nun hat ausgerechnet ein Mann, noch dazu ein Staats- und Verfassungsrechtler von höchstem Rang, mit einem Gutachten an den Grundfesten der „hergebrachten“ Verfahren gerüttelt. Im Auftrag der Landesregierung NRW, vertreten durch das Ministerium für Inneres und Kommunales, hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Papier ein „Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit von Zielquoten für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst sowie zur Verankerung von Sanktionen bei Nichteinhaltung“ verfasst, das ganz neue Wege für die Gleichstellung aufzeigt.

Auf Seite 455 schlagen er und sein Ko-Autor eine „Gesetzliche Schranke der Ausdifferenzierung“ vor, die zu einer 180°-Wende bei Frauenförderung und Gleichstellung zur Folge haben könnte. Die Verfasser führen dazu aus: „Der Mangel der bisherigen Praxis leistungsbezogener Frauenquoten auf der Ebene der Auswahlentscheidung lässt sich deshalb beheben, wenn die derzeit praktizierte Ausdifferenzierung der Qualifikationskriterien des Art. 33 Abs. 2 GG begrenzt wird. Vorzuschlagen ist daher eine gesetzliche Beschränkung der verwaltungsinternen Ausdifferenzierung der Qualifikationsmerkmale des Art. 33 Abs. 2 GG, um der Durchsetzung der Staatszielbestimmung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG [Gleichstellung] hinreichend Raum zu lassen. Leistungsbezogene Merkmale, wie sie in Art. 33 Abs. 2 GG zwingend festgelegt sind, bleiben die Grundlage von Beförderungen. Die Ausdifferenzierung oder „Ausschärfung“ darf allerdings nicht so weit getrieben werden, dass unter Rückgriff auf Art. 33 Abs. 2 GG kein Ermessensspielraum mehr bleibt und damit andere verfassungsrechtlich gebotene Ziele, wie insbesondere das in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG formulierte, nicht berücksichtigt werden können. Die bisherige Praxis im Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG erweist sich als nicht mehr verfassungskonform.“

Staatsziel Gleichstellung „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ contra Staatsziel Leistungsprinzip „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte“ – nie zuvor hat jemand das so auf den Punkt gebracht.

Nachdem ich seit Jahren gefordert hatte: „Erst (Gesamt-)Note, dann Quote“ nun endlich die Bestätigung durch einen hochangesehenen Verfassungsrechtler. Das tut gut!

Und wie geht es jetzt weiter? Meines Erachtens müsste eine entsprechende Regelung in die aktuell ohnehin heftig umkämpfte Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes aufgenommen werden.

Antwort der Bundesregierung auf eine etwas anders gelagerte Frage zum Papier-Gutachten in einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke6: „Der Bundesregierung ist das zitierte Gutachten bekannt. Es bezieht sich allerdings nicht auf Bundesrecht.“7

Herzlich

Kristin Rose-Möhring


1 http://de.wikipedia.org/wiki/Dienstordnungsangestellter
2 Für weitere Details siehe Grundgesetz Artikel 33, insbesondere Absatz 5, das Bundesbeamtengesetz und http://de.wikipedia.org/wiki/Hergebrachte_Grunds%C3%A4tze_des_Berufsbeamtentums
3 Es verpflichtet den „Dienstherrn“, Beamt/inn/en und ihre Familien lebenslang einen „Unterhalt zu gewähren“, der bezogen auf den Dienstrang, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung etc. und entsprechend der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessen ist.
4 Es heißt nun aber nicht mehr so, sondern wurde modernisiert in „Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen“ - § 34 Abs 1 BeamtStG.
5 http://www.mgepa.nrw.de/ministerium/presse/pressemitteilungsarchiv/pm2014/pm20140708a/index.php
6 BT-Drs. 18/2318 vom 8.8.2014 - http://dipbt.bundestag.de/dip21.web/bt?rp=http://dipbt.bundestag.de/dip21.web/searchProcedures/simple_search.do?nummer=18/2318%26method=Suchen%26wahlperiode=%26herausgeber=BT
7 BT-Drs. 18/2402 vom 26.8.2014 – gleicher Link

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