Begriffsverwirrung
Liebe Leserin, lieber Leser,
in den 1970er und 1980er Jahren gab es die Forderung nach einer eigenständigen Frauenpolitik und es ging darum, durch Frauenförderung die Nachteile auszugleichen, die Frauen vor allem auf dem Arbeitsmarkt und bei der beruflichen Entwicklung hatten. Dabei ging es vorrangig um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Aufstiegsmöglichkeiten, Teilzeitarbeit und Kinderbetreuung.
1986 wurde im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) der dort bereits vorhandene „Arbeitsstab Frauenpolitik“ zur Abteilung Frauenpolitik ausgebaut und dem Ministeriumsnamen ein weiteres „F“ für Frauen hinzugefügt: Aus dem BMJGF wurde das BMJFFG.
1994 wurde Art. 3 Absatz 2 des Grundgesetzes um den Passus erweitert: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Damals ging es darum, noch fehlende rechtliche Anpassungen vorzunehmen und Gesetzeslücken zu schließen, aber gleichzeitig auch für einen Nachteilsausgleich zu sorgen.
Für den Bereich der Bundesverwaltung wurde im gleichen Jahr mit dem sogenannten Frauenfördergesetz (FFG) die Grundlage dafür geschaffen, dass Frauen in den Behörden und Dienststellen des Bundes bei gleicher Qualifikation gefördert werden konnten.
2001 löste das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) das FFG ab. Im Gesetzgebungsprozess wurde beschlossen, Begriffe wie „Frauenförderung“ und „Frauenbeauftragte“ durch „Gleichstellung“, „Gleichstellungsbeauftragte“ etc. zu ersetzen, da mit den alten Begriffen „die Vorstellung vermittelt wird, dass Frauen aufgrund mangelnder Qualifikation oder sonstiger Defizite gefördert werden“ (BT-Drs. 14/5679 vom 28.3.2001).
Der Auftrag blieb unverändert, nämlich Frauen zu fördern, wo sie benachteiligt und unterrepräsentiert waren. Der Wechsel zum Begriff „Gleichstellung“ war daher eine semantische Variante im Interesse der Frauen und als Maßnahme der Antidiskriminierung. Er beinhaltete aber keine Änderung der Politikausrichtung, denn auch 2001 gab es immer noch Nachholbedarf bei der Teilhabe von Frauen an Arbeit generell und an Führungspositionen im Besonderen. Das bedeutete fehlende Gleichstellung bei Einfluss, Macht, Geld und Ansehen– wie auch heute noch.
Also blieb auch die (weibliche) Gleichstellungsbeauftragte eine Frauenbeauftragte, die sich um den Abbau von Benachteiligungen kümmerte, da in der Regel Frauen die Nachteile hatten.
Die Neufassung des BGleiG, die am 1.5.2015 in Kraft trat, heißt weiterhin „Bundesgleichstellungsgesetz“, spricht aber in der Tat – wie ein Kommentator zu einem Blog zu Recht kürzlich hervorhob – in §1 Absatz 2 von „Gleichberechtigung“: „Nach Maßgabe dieses Gesetzes wird die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gefördert“, um dann fortzufahren: „Strukturelle Benachteiligungen von Frauen sind durch deren gezielte Förderung zu beheben.“ Die alte Begrifflichkeit scheint in der Tat nicht ganz logisch und ist es auch nicht.
Sie ist wohl dem Versuch geschuldet, zunächst ein BGleiG-neu zu verfassen, dass das Ziel einer 50:50-Geschlechterparität auf allen Ebenen gesetzlich verordnet. Das aber gibt das Grundgesetz mit seinem Auftrag der Nachteilsbeseitigung nicht her: Männer sind in der Regel dort nicht benachteiligt, wo sie in nur geringer Zahl arbeiten z.B. im Assistenz- und Erziehungsdienst, in der Kranken- und Altenpflege. Für diese Jobs haben sie meist weniger Interesse und die Notwendigkeit eines Nachteilsausgleichs besteht nicht.
Mit viel Mühe konnte Anfang 2015 die 50:50-Geschlechterparität verhindert und das neue BGleiG verfassungsgemäß gemacht werden.
In der 17. Legislatur (2009-2013) gab es Versuche, das BGleiG von 2001 durch ein sogenanntes „Chancengleichheitsgesetz“ zu ersetzen. Dagegen haben sich die Gleichstellungsbeauftragten massiv gewehrt. Einer der Gründe war die Bezeichnung, denn gleiche Chancen nützen nicht viel, wenn sie sich nicht in Jobs und Karrieren umsetzen lassen. Was nützt es Frauen, dass sie jetzt schon häufig als beste Chance die besseren Schul-, Fachhochschul- und Universitätsabschlüsse haben, wenn spätestens nach dem ersten Kind Männer karrieremäßig an ihnen vorbeiziehen? Der Gesetzentwurf verschwand – Göttin sei Dank – in der Versenkung.
Eine ähnliche Begriffsverwirrung gibt es übrigens auch bei Gender Mainstreaming in Abgrenzung zu Gleichstellung und Frauenförderung. Um es auf den Punkt zu bringen: Gender Mainstreaming ist das Verfahren, um a) festzustellen, ob Männer und Frauen gleichgestellt sind und wenn nicht, b) für das benachteiligte Geschlecht entsprechend nachzusteuern. Da in der Regel Frauen das benachteiligte Geschlecht sind (strukturelle Benachteiligung von Männern sind der Bundesregierung nach eigener Aussage vom Sommer 2014 nicht bekannt), setzt dann Frauenförderung ein, um am Ende zu Gleichstellung zu kommen.
Kurzum: Gleichstellungspolitik nach dem BGleiG bleibt in diesem Sinne Frauenförderpolitik, Gleichstellungsbeauftragte bleiben dem Grunde nach Frauenbeauftragte, solange die Realität ist, wie sie ist, und solange nicht Männer im Rahmen einer von ihnen angestrebten Vereinbarkeit von Beruf und Familie die gleichen Nachteile erleiden wie Frauen. Dann wiederum sind wir Gleichstellungsbeauftragte für sie ebenfalls zuständig.
Dass Gleichstellung auch Nachteilsausgleich für schwerbehinderte Menschen (SGB IX) oder Menschen mit einem der Diskriminierungsmerkmale nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sein kann, steht dann wieder auf einem anderen Blatt.
Mit herzlichen Grüßen bei hoffentlich nicht zu viel Verwirrung
Ihre Kristin Rose-Möhring
* Er gab die Anregung zu diesem Blog mit einer Bitte um Erläuterung der Begriffsunterschiede. Herzlichen Dank dafür.
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