Bildungsverlierer, die Zweite
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Schuld an der permanent zitierten, sogenannten Bildungsmisere ist angeblich der hohe Anteil von Frauen im Bildungsbereich oder weniger diskriminierend formuliert die dort fehlenden Männer, die den Jungen als Rollenvorbilder dienen und männliche Akzente in den Lehrplänen setzen könnten, was auch immer das sein soll.
Wir brauchen uns wohl kaum mit dem Argument aufzuhalten, dass es mehr Männer in Schulen oder Kitas gäbe, wenn diese Berufe besser bezahlt würden. Das ist bekannt und hier ist die Politik gefordert. Aber sehen wir auch, dass etwas geschieht? Lamentieren ist eben immer noch leichter als handeln (siehe auch den Blog-Beitrag „Machtlos“ vom 9.5.2011).
Noch immer ist es schließlich so, dass trotz all dieser angeblichen Bildungsverlierer die „Jungs“ die besseren/besser bezahlten Jobs kriegen, dass Frauen zu Karriere-Verliererinnen werden, sobald sie Kinder haben, und dass auch Frauen ohne Kinder die gläserne Decke nicht durchstoßen können. Und nur mal so nebenbei: Was nützt ihnen die oft zitierte längere Lebenserwartung, wenn sie im Alter wenig/er Geld haben?
Würden/werden also mehr Männer in Schulen und Kitas wirklich etwas verbessern? Studien in der Schweiz1 haben gezeigt, dass
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Jungen bei schlechteren Noten im Vergleich zu den Mädchen das Interesse am Unterricht verlieren, weil das die Schule zu einer „Mädchensache“ macht,
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das Geschlecht der Lehrperson keine Rolle spielt für die Lernerfolge von Jungen, sondern dass diese sich am Elternhaus, an den Medien und den Kollegen orientieren,
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Jungen davon ausgehen, ohnehin Karriere zu machen und sich deshalb weniger anstrengen; mit dieser „self-fulfilling prophecy“ – siehe oben – schließt sich denn auch der Kreis; und
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Schüler/innen last but not least wollen, dass die Lehrperson echtes Interesse an ihnen zeigt; das Geschlecht ist ihnen dann egal.
Ist dieses letzte Argument nicht vielleicht genau das, was die Frauen zu den besseren, und damit zahlreicheren Lehrpersonen macht und ihnen in den Auswahlverfahren die besseren Chancen gibt: soziale Kompetenz, Empathie, Aufmerksamkeit und Interesse für die Schüler/innen? Was wird wohl passieren, wenn diese Kompetenzen in den Schulen auch noch fehlen?
Um die Bildungsmisere der Jungen – wenn es sie denn so gibt – wirklich zu beheben, brauchen wir Diskussionen über Rollenverständnis und Rollenstereotype, d.h. eine Kultur des Überdenkens eigener Standpunkte bei den Männern bzw. Vätern, mehr Bereitschaft zu Erziehungsverantwortung, Elternzeit und Teilzeit.
Das kann in den Schulen geleistet werden, muss aber vor allem in den Familien und Betrieben stattfinden. Und auch hier wieder top down, d.h. von oben nach unten: Chefs in Teilzeit, Politiker, die um 17 Uhr wegen der Kinder nach Hause gehen, und Führungsmänner, die flexibel mobil oder in Telearbeit von zu Hause aus tätig sind. Alle müssen sich bewegen, nicht nur die Lehrerinnen und Erzieherinnen.
Herzlich,
Ihre Kristin Rose-Möhring
1 NZZ am Sonntag vom 2.Mai 2010 „Ehret die Lehrerin“
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