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Bringt der VW-Skandal die Gleichstellung weiter?

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Der VW-Skandal muss an dieser Stelle nicht in voller Komplexität vorgestellt werden. Der Konzern hat gegen Gesetze verstoßen und Kund/inn/en betrogen. Aber: Kann die Wirtschaft frauenpolitisch etwas daraus lernen?

Liebe Leserin, lieber Leser,

der für den Konzern drohende Schaden ist noch nicht abzusehen, aber klar ist schon jetzt: Er ist sowohl finanziell als auch imagemäßig enorm und eventuell sogar existenzbedrohend. Um die interne Beteiligung und Schuld wird wie üblich noch gestritten.
Die Verantwortung an höchster Stelle trugen Männer. Alle Vorstandsposten waren mit Männern besetzt. Das ist die Regel in der Automobilbranche. Sie gilt als eine der stärksten Bastionen gegen weiblichen Führungsanspruch. Die klassischen männlichen Seilschaften funktionieren noch. Aber seit Jahresbeginn 2016 gibt es auch bei VW eine Frau im Vorstand.

Der Konzern hat in seiner Not die neue Vorstandsposition „Integrität und Recht“ geschaffen und mit einer Frau besetzt. Christine Hohmann-Dennhardt wurde bei Daimler abgeworben, wo sie nach den dortigen Bestechungs- und Korruptionsvorwürfen sehr erfolgreich tätig war. Sie soll nun den zweiten Konzern wieder auf Kurs bringen. Es heißt, Daimler sei zum Wohle der deutschen Automobilindustrie mit der Abwerbung einverstanden gewesen.

Christine Hohmann-Dennhardt ist promovierte Juristin. Sie war sozialdemokratische Ministerin für Justiz und später für Kultur in Hessen. 1982 gab sie eine Schrift mit dem Titel „Ungleichheit und Gleichberechtigung“ heraus. Sie war Mitglied des Deutschen Juristinnenbundes, der − ohne ihre persönliche Beteiligung − die Vorstände großer Konzerne auf Aktionärsversammlungen wegen deren frauenfeindlicher Besetzung von Vorstandsposten attackierte. 1999 wurde sie ans Bundesverfassungsgericht berufen. Sie saß jahrelang als einzige Frau mit sieben Männern im Ersten Senat. Die süffisante Bezeichnung „Schneewittchen-Senat“ dürfte den damaligen Kollegen nicht gefallen haben, die sich sicher so gar nicht zwergenhaft fühlten. Dann kamen Daimler und jetzt VW. Dort sitzt Frau Hohmann-Dennhardt nun mit acht Männern im Vorstand. Schneewittchens „Zwergen-Boygroup“ ist also nicht kleiner, sondern noch größer geworden.

Menschen mit derartigen Karrieren sind und bleiben selten, egal ob Mann oder Frau. An ihnen wird Gleichstellung nicht gemessen, sondern an der durchschnittlichen Besetzung von Spitzen- oder Vorstandspositionen. Frauen haben auch dort ein Recht auf Beteiligung, wo Vorstandspositionen mit Zwergen besetzt werden. Seltene Ausnahmen wie das Beispiel von Christine Hohmann-Dennhardt ändern nicht das System. Aber sie zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, und Frauen haben damit schon einmal den Fuß in der Tür.

Kritikerinnen meinen gelegentlich, diese Beispiele schadeten dem Fortschritt der Gleichstellung. Frauen setzten sich so mit typisch männlichen Attributen in einer männlich dominierten Welt durch und bestätigten auf diese Weise eher Vorurteile als sie zu bekämpfen.

Ich bin nicht dieser Meinung! Solange Frauen an die Spitze aufsteigen, ohne dort gleich wie Männer zu denken, können sie beginnen, die gläsernen Decken durchlässiger zu machen. Und das ist von oben nach unten wahrlich leichter als von unten nach oben.

Und wenn weiterhin in Konzernen die Männer-Cliquen in den Vorständen die Sache so verbocken, dass sie Frauen brauchen, um wieder auf Kurs zu kommen, bleibt zumindest Hoffnung.
Dabei ist eins doch sicher: Der bessere Weg wäre gewesen, schon früher mehr Frauen in den Vorstand zu holen. Vielleicht wäre es dann gar nicht erst zur Katastrophe gekommen. Mit dieser Erkenntnis könnte sogar der VW-Skandal die Gleichstellung voranbringen.

Mit gar nicht zwergenhaften Grüßen

Ihre Kristin Rose-Möhring

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