Gartenzwerge – eine Gender-Diaspora
Liebe Leserin, lieber Leser,
kürzlich meldete mein Lokalblatt, dass Gartenzwerge 1886 erstmals auftauchten und damit heuer ihren 130. Geburtstag feiern können. Sie sind also viel jünger als die Heinzelmännchen von Köln, die erstmals 18262 in einer Sage erschienen. Ich erinnere mich noch gut an ein Kinderbuch, das mit den Worten begann: „Wie war zu Cölln es doch vordem, mit Heinzelmännchen so bequem!“ Seitdem träume ich wie wohl jede Hausfrau von kleinen Wesen, die die Hausarbeit erledigen, während ich schlafe. Und männliche noch dazu – sehr ungewöhnlich und eine schöne Lächel-Gelegenheit!
Wenn bei Gartenzwergen das Entstehungsjahr stimmt, sind sie Preußen und nicht Thüringer, wie immer behauptet wird. Der älteste, derzeit bekannte Nachweis eines Gartenzwerges stamme, so berichtete nämlich der „Zwergen-Experte“ Frank Ullrich, von 1886 aus einer Manufaktur in Neuwedel im damaligen Preußen, der älteste Nachweis in Thüringen aus dem Jahr 1893.
Klassische Gartenzwerge sind angeblich oft Gärtnern oder mittelalterlichen Bergleuten nachempfunden. Sie haben eine Lederschürze und eine Schaufel, Spitzhacke, Laterne oder Schubkarre und tragen in der Regel eine rote Zipfelmütze, die an die Mütze des Weihnachtsmanns erinnert. Vielleicht sind es deshalb alles Männer: Bergbau und Weihnachten bleiben männlich – trotz aller gegenteiligen Bemühungen (s. auch Blog vom 6.12.2010 „Nikolaus, Weihnachten und das weibliche Element“).
Obwohl Gartenzwerge schnell als spießig galten und die Produktion im Lauf der Jahre stark zurückging, wurde 1981 eine „Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge“ mit Sitz in Basel gegründet; Vorsitzender wurde der inzwischen verstorbene „Zwergenpapst“ Fritz Friedmann3. Anliegen der Vereinigung ist „die Verbreitung der „Zwergenkunde“ („Nanologie“) und die Produktion historisch „korrekter“ Gartenwichtel“.
Ab den 1980er Jahren tauchten nämlich auf einmal karikierende Gartenzwerge auf, die z.B. Politikergesichter hatten, einen nackten Hintern zeigten oder in denen ein Messer steckte (wohl nach dem alten Emanzen-Motto: In jedem Mann steckt etwas Gutes, auch wenn es nur das Küchenmesser ist!). Die Vereinigung fühlte sich daher genötigt zu definieren, was ein „artiger“ oder „beseelter" – also echter – „nanus hortorum vulgaris", d.h. Gartenzwerg ist: Er ist maximal 69 Zentimeter groß, aus Ton, hat eine Zipfelmütze, einen Bart und ist – na klar! - männlich.
Daher sorgte auch im Frühjahr 2002 folgende Pressemeldung für größte Unruhe unter den Zwergenliebhabern: „Zoff im Reich der Zipfelmützen - Stein des Anstoßes ist eine weibliche Variante der altbewährten Gartenzwerge. Dass im thüringischen Gräfenroda Firmenchef Reinhard Griebel eine Gartenzwergin mit roter Zipfelmütze herstellt, sorgt bei der "Internationalen Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge" ... für Empörung. ... Für Friedmann ist Griebel nun ein "Schänder der Gartenzwerg-Ehre". Sei es denn nicht ein großer Vorzug gewesen, dass es mehr als ein Jahrhundert nur männliche Gartenzwerge gegeben habe, fragte der Präsident polternd. Die Zwerge seien unter sich friedlich, freundlich und deshalb ein Vorbild für alle. "Unvorstellbar, dass nun auch Frauen mitmischen könnten", empörte sich der Präsident ... Und augenzwinkernd dozierte er "mit 100 Prozent Ernsthaftigkeit und mit 100 Prozent Humor", dass die Gartenzwerge zur Fortpflanzung keine Frauen bräuchten.“ Allerdings: Eine neuzeitliche Variante des Gartenzwerg-Motivs findet sich in der Figur der Schlümpfe. Und da gibt’s schließlich auch Frauen.
Tja, überall sind Frauen auf dem Vormarsch und die selige Männerwelt von Anno Tobak gerät ins Wanken.
Und überhaupt schien der gute Ruf der Zwerge angekratzt, denn der Dritte Zwergenkongress und die 2006 gegründete Internationale Zwergenpartei mit etwa einhundert Mitgliedern fühlten sich aufgerufen, sich gegen die Verunglimpfung der Zwerge zu wehren, auf denen immer herumgehackt werde. Sie würden sogar für rassistische oder sexistische Zwecke missbraucht oder in der Werbung entwürdigt. Geplant wurde also „eine Resolution an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.“ Was daraus wurde, wissen wir nicht und auch nicht, ob es gelang, den „deutschen Gartenzwerg“ wie vorgeschlagen auf die Unesco-Welterbeliste für immaterielles Kulturerbe der Menschheit setzen zu lassen. Was für eine Vorstellung!
Da dürfen wir sicher alle milde lächeln, gilt doch der Gartenzwerg als Inbegriff des Spießbürgertums, als Zeichen des schlechten Geschmacks und gutes Beispiel für Kitsch. Und mögen ihn andere auch als ironisierende Darstellung des Deutschen Michels und deutsches Kulturgut sehen: Er bleibt unzeitgemäß und zudem fast ausschließlich männlich-ungegendert-frauenfrei – auch wenn gelegentlich ein Messer in ihm steckt!
Hier bleibt also für eine Zwergen-Gleichstellungsbeauftragte viel zu tun: Sie muss dringend einen Zwerg/inn/en-Aufstand organisieren....
Mit unerklärlichen Wesen haben wir Gleichstellungsbeauftragte es auch immer wieder zu tun. Daher mit lächelnden Grüßen
Ihre Kristin Rose-Möhring
1 Begründet hat ihn der US-amerikanische Werbegrafiker Harvey Ball, der als Erfinder der „Smileys“ gilt.
2 Sie tauchten auf in einem Werk des Kölner Schriftstellers Ernst Weyden: „Es mag noch nicht über fünfzig Jahre seyn, daß in Cöln die sogenannten Heinzelmännchen ihr abentheuerliches Wesen trieben. Kleine nackende Männchen waren es, die allerhand thaten, Brodbacken, waschen und dergleichen Hausarbeiten mehrere; so wurde erzählt; doch hatte sie Niemand gesehen.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Gartenzwerg
3 Fritz Friedmann gab sich im Scherz als Gartenzwerg-Experte aus und erhielt dann zahllose Zuschriften von Gartenzwerg-Haltern. Daraufhin durchforstete er Bibliotheken, informierte sich bei Besitzern und Herstellern und unterhielt sich mit Germanisten und Philologen. 1994 erschien sein Werk: „Zipfel auf! Ein rein wissenschaftliches Lehr- und Lesebuch“. Er nannte sich «prof. nan.», was so viel heißt wie Professor der Nanologie, die Wissenschaft vom Gartenzwerg, die er kurzerhand selber ins Leben gerufen hatte.
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