Gleichstellung – quo vadis*?
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit 1972 war das BMJFG für Frauenfragen zuständig. 1979 wurde der o.g. Arbeitsstab eingerichtet, der 1986 zur Abteilung Frauenpolitik ausgebaut wurde, als das Ressort auch offiziell die Bezeichnung Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMFJFFG) erhielt. 1990/1991 wurde das Ministerium geteilt und es entstand ein Bundesministerium für Frauen und Jugend, das 1994 wieder mit den Politikbereichen Familie und Senioren zum jetzigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zusammengelegt wurde.
Sie sehen, die Frauenpolitik war immer wieder großen Veränderungen ausgesetzt, die sich nicht nur organisatorisch auswirkten, sondern auch inhaltlich. Frauenpolitik war mal mehr und mal weniger wichtig und wurde später als Gleichstellungs- und in der letzten Legislaturperiode zudem auch als Chancengleichheitspolitik betrachtet – was immer man/frau darunter zu verstehen beliebte.
Seit den 1970er Jahren ging es in der Regel vorwärts. Zwar war der Fortschritt eine Schnecke, aber immerhin wurden Verordnungen und Gesetze gemacht, Pilotprojekte aufgelegt und Maßnahmen ergriffen, die das Ziel hatten, die strukturellen Benachteiligungen für Frauen auszugleichen und diese dort zu fördern, wo sie aufgrund solcher Benachteiligungen unterrepräsentiert waren.
Nun auf einmal – nach mehr als 2000 Jahren Patriarchat und gerade mal gut 40 Jahren moderner Frauenbewegung – bekommt Gleichstellungspolitik einen ganz neuen Dreh und der ist mehr als erstaunlich. Gleichstellung wird nun mit dem Rechenschieber gemacht und definiert sich als zahlenmäßige Bilanz: Männer und Frauen sollen überall zahlenmäßig gleich vertreten sein. Eine nette Idee und im Endeffekt natürlich erstrebenswert. Zurzeit aber funktioniert das noch nicht.
Das Ganze nennt sich Geschlechteransprache und bedeutet, dass wo immer ein Geschlecht unterrepräsentiert ist, dieses gezielt angesprochen, d.h. gefördert werden muss. Der Haken daran: Benachteiligung wird mit Unterrepräsentanz gleichgesetzt. Und das ist schon vom Grundgedanken her falsch. So aber stellen sich die Verantwortlichen derzeit eine neue Regelung für die Gleichstellung im Bund, d.h. im Bundesgleichstellungsgesetz vor.
Dass dieser Ansatz verfassungsmäßig, d.h. nach dem Grundgesetz kaum haltbar ist, hält diese Verantwortlichen nicht davon ab, die Geschlechteransprache als Fortschritt zu deklarieren. Dabei vergessen sie, dass Frauen immer noch einen großen Nachholbedarf haben – siehe oben: bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, in der Sprache und vor allem in Führungspositionen.
Angesichts von 21% Frauen in Führungspositionen in der Bundesverwaltung und im Umkehrschluss 79% Männern geht eine Förderung von ggf. unterrepräsentierten Männern z.B. auf der Ebene der Referent/inn/en am Gleichstellungsziel völlig vorbei. In der Regel sind die (wenn überhaupt) zahlenmäßig überrepräsentierten Referentinnen – um bei o.g. Beispiel zu bleiben – unter Leistungsgesichtspunkten in diese Positionen gekommen. Eine Benachteiligung von Männern liegt hier also normalerweise nicht vor.
Zudem: Wenn vor der sogenannten „gläsernen Decke“ Frauen überrepräsentiert sind, ist dies mit Blick auf das Potential für die Führungsebene gerade förderlich, denn trotz besserer Hochschulabschlüsse und besserem Abschneiden in Auswahlverfahren sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor krass unterrepräsentiert, wie die o.g. Zahlen und jede Statistik für den öffentlichen Dienst und die Privatwirtschaft zeigen.
Das Potential an qualifizierten Frauen darf daher nicht durch sofortige Maßnahmen zur Erhöhung des Männeranteils wieder verringert werden, denn diese würden dann noch schneller als bisher in Führungspositionen aufsteigen.
Noch konträrer wäre es, Männer in Berufen zu fördern wie Schreib- oder Bibliotheksdienst oder gar Büroassistenz, sprich Vorzimmerdienst. Hier sind sie in der Tat krass unterrepräsentiert, aber bei weitem nicht benachteiligt, denn diese Berufe sind schlecht bezahlt und Männer interessieren sich daher nicht dafür. Hier kann Gleichstellung nur über Tarifverträge funktionieren. Würde in solchen Berufen mehr Geld verdient und würden diese dann besser anerkannt, wollten Männer sie auch ausüben.
Ein echtes Bundesgleichstellungsgesetz aber, d.h. ein Gleichstellungsgesetz für alle Ebenen der Privatwirtschaft –wenn es denn endlich einmal kommt – muss stringent darauf ausgerichtet sein, bestehende Benachteiligungen von Frauen abzubauen. Erforderlich sind eindeutige und unmissverständliche Regelungen im Gesetz und Maßnahmen zur proaktiven Umsetzung solcher gesetzlicher Vorschriften.
Nach wie vor fehlt es bei der Gleichstellung – im Bund und anderswo – an dem entscheidenden Willen, wirklich voranzukommen. Daher erneut die Frage: Gleichstellung – quo vadis?
Herzlich
Kristin Rose-Möhring
*Quo vadis – wohin gehst du?
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