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Ist Deutsch eine weibliche Sprache?

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Im Bereich Sprache ist Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit ein schwieriges Geschäft. Wir sprechen eine Muttersprache, haben aber ein Vaterland. Andererseits gilt z.B. England als Mutterland des Parlamentarismus. Ja, was denn nun?

Liebe Leserin, lieber Leser,

Zusammensetzungen mit „Vater“ und „Mutter“ sind wirklich verwirrend. Der Duden definiert das „Vaterhaus“ als Elternhaus – was in der Realität ja oft ganz anders aussieht, denn „drinnen waltet die züchtige Hausfrau“ – wie Schiller in seinem „Lied von der Glocke“ schrieb.

Das „Mutterhaus“ dagegen ist laut Duden weit weniger emotional geprägt, denn es steht für „eine Ausbildungsstätte für [kirchliche] Krankenschwestern oder ein Kloster, von dem aus andere Klöster gegründet wurden, oder den Sitz einer Muttergesellschaft“.

Etwas ähnliches wiederholt sich bei „Vaterland“, das der Duden definiert als „Land, aus dem man stammt, zu dessen Volk, Nation man gehört, dem man sich zugehörig fühlt; Land als Heimat eines Volkes“. Das „man“ kommt vielleicht nicht ganz von ungefähr….

Gebe ich hingegen „Mutterland“ ein, lautet die Erklärung erneut emotional wesentlich distanzierter: „Land, Staat im Verhältnis zu seinen Kolonien oder Land, in dem etwas heimisch ist, seinen Ursprung hat und eine weite Verbreitung gefunden hat“.

Vaterländisch“ bedeutet das „Vaterland liebend, patriotisch“. Gebe ich hingegen „mutterländisch“ ein, erhalte ich die Frage, ob ich ggf. „vaterländisch“ meine.

Denke ich diese Ergebnisse logisch weiter, müsste jeweils die Bindung zum Vater weit enger sein als die zur Mutter. Komisch, dass jahrhundertelang gleichzeitig die gegenteilige These vertreten wurde und u.a. eine Debatte über Rabenmütter entstand, wenn diese angeblich nicht ihrer „natürlichen Bestimmung“ als erste Bezugsperson von Kleinkindern nachkamen.

Bastian Sick hat sich vor Jahren in seiner Kolumne „Zwiebelfisch“ intensiv mit der Frage beschäftigt, was das Geschlecht eines Substantivs bestimmt, und ein köstliches Beispiel aufgetan: Das Wort „Mut“ und Zusammensetzungen damit.

So sind Hochmut, Übermut und Wagemut, Langmut, Edelmut und Großmut männlich; Schwermut, Demut, Sanftmut und Anmut aber weiblich. Er suchte in einer Grammatik eine Erklärung und fand: „Extrovertierte Affektbegriffe sind meist maskulin, introvertierte meist feminin“ – was ihn auch nicht so recht zufriedenstellte.

Er berichtete im Folgenden von einer Schulklasse, in der er das „Mut“-Beispiel nannte. Ein Schüler fand das gar nicht problematisch und wies darauf hin: „Mein Vater heißt schließlich auch Helmut und meine Mutter Almut“. So einfach scheint das im Alltag!

Übrigens ist Deutsch – wir wagen es nach den o.g. Vater/Mutter-Beispielen kaum zu glauben – überwiegend weiblich geprägt, was sich daran zeigt, dass 46 % der Substantive ein grammatikalisch weibliches Geschlecht haben, 34% sind maskulin und 20 % neutral.1 Und Substantive machen immerhin 74,3% der Wörter im Duden aus2.

Deutsch als „Femisprache“? Das wäre ja fast ein Wunder!

Dazu passend noch eins: Das von Gegnern des Sprachgenderns und der übertriebenen sprachlichen Gleichstellerei vielgeschmähte Wort „Gästin“ ist keine Erfindung durchgeknallter Emanzen. Es stand bereits im Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, die immerhin Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts lebten3. Na also.

Herzlich

Kristin Rose-Möhring


1 Duden: Unnützes Sprachwissen – Erstaunliches über unsere Sprache, Duden 2012, S. 4
2 13,8% sind Adjektive, 10,1 % Verben, 1,3% Adverbien und 0,5% alle übrigen Worte, a.a.O., S. 22
3 a.a.O., S. 5

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