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Mogelpackung? - „Nach außen Gleichstellung, nach innen Feminismus“

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Mal wieder hat sich eine Frau berufen gefühlt, für Männer eine Bresche zu schlagen und das Los ebenderselben medienöffentlich zu beklagen.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Was treibt Frauen immer wieder dazu, das einst starke Geschlecht so mütterlich beschützen zu wollen? Als Mann würde mir das echt stinken. Ich verträte meine Anliegen wirklich lieber selbst. Aber diese Form der Anbiederung scheint en vogue. Nicht selten stammen die schärfsten Angriffe auf den Feminismus oder das, was die Autorinnen dafür halten, von Frauen. Meist benutzen sie den Begriff ohnehin als Schimpfwort und wollen mentale Bilder von Megären, Hexenweibern oder lila Latzhosen-Krawallschachteln heraufbeschwören. Ich kann da nur sagen: „Feministin, Emanze? – danke für das Kompliment.“

Der o.g. Artikel hat bei mir sehr ambivalente Gefühle hervorgerufen. Einerseits gebe ich der Autorin Recht. Gender Mainstreaming wurde versäumt; ein Teil des heutigen Dilemmas oder besser Lamentos über die Bildungsverlierer Jungen hätte verhindert werden können, wenn Bildungsfragen, -planungen, Lehrpläne etc. rechtzeitig unter das Gender Mainstreaming-Mikroskop gelegt und entsprechend gegendert worden wären (siehe Blogbeiträge „Bildungsverlierer“ Jungen und Gender Mainstreaming" vom 2.5.2011 sowie sowie „Gender Mainstreaming, die Xte“ vom 8.8.2011).

Die Überschrift legt jedoch nahe, dass Feminismus als Mogelpackung daherkommt. Das ist nicht so – jedenfalls nicht für den Bereich des Bundes. Wer sich gründlich informiert, kann leicht feststellen, dass das Wort Gleichstellung im Bundesgleichstellungsgesetz wirklich Frauenförderung meint2. Die gute Absicht bestand darin, durch den Wechsel zu einer neuen Terminologie Frauen aus der (verbalen) Defizit-Zone zu nehmen.

So lange wir von „Frauenförderung“ etc. sprachen, schwang immer mit, dass Frauen defizitär sind, etwas nicht können und daher auf „Vorderfrau“ gebracht, d.h. systemkompatibel gemacht werden müssen.

In Wirklichkeit ist es aber so, dass das System, in dem Frauen gleichgestellt werden sollen, sich auch an den Bedürfnissen von Frauen ausrichten muss. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nur das erste Stichwort. Insgesamt sind die von Männern über Jahrhunderte geschaffenen Systeme und Organisationen, d.h. ihre Hauptmerkmale wie Hierarchien, Hahnenkämpfe, Statussymbole, Überstunden-Wettrennen, Anwesenheitskultur, Null-Fehler-Toleranzen, für Frauen nicht attraktiv. In diesen Systemen wollen nicht viele aufsteigen. Daher müssen nicht die Frauen auf System getrimmt, sondern die Systeme auf ihre Attraktivität für Frauen überprüft und geändert werden.

Vermutlich wird das nun der Arbeitsmarkt richten, da Fachkräfte fehlen. Fraglich ist nur, wie lange das anhält. Als Männer in und kurz nach den Weltkriegen fehlten, waren Frauen gefragt. Als sich die Systeme wieder „normalisierten“, Männer aus der Gefangenschaft zurückkehrten oder im wahrsten Sinne des Wortes nachwuchsen, waren die Frauen die – heute politisch unkorrekten – Mohren, die ihre Schuldigkeit getan hatten und gehen durften – zurück zu Heim und Herd.

Schlicht absurd ist die Behauptung „Weitläufig ist man [sic!] unter Feministinnen der Meinung, für diesen Job brauche man [sic!] dringend eine Gebärmutter, auch wenn man [sic!] dieselbe nicht nutzt“. Wieder wird indirekt das Bild der sexuell frustrierten karrieregeilen Kampfemanze ohne Anhang beschworen. Aber: Es ging/geht um die normale Frau und Mutter. Ich kann der Autorin nur empfehlen, sich mit den Anfängen der modernen Frauenbewegung zu beschäftigen. Kinderläden standen schon Ende der 1960er Jahren auf der Agenda3. Frauen, die aktiv werden wollten, brauchten als erstes eine gute Kindertagesbetreuung und daraus entstand mehr.

Ähnlich abwegig ist der abstruse Vergleich zwischen „positiver Diskriminierung“ und „positiver Folter“ – was immer letzteres sein soll. Es muss für diese Löwenmütter eine unbezwingbares Bedürfnis sein, Formulierungen zu wählen, die ihre Anliegen schon beim ersten Lesen wieder lächerlich machen. Die im Artikel zitierte Monika Ebeling konnte dieser Verbal-Akrobatik ebenfalls nicht widerstehen, als sie von „weiblicher Dominanzkultur“ und „verelendeten Männerseelen“4 schrieb.

Ich schlage vor, wir kommen mal wieder in der Realität an und sortieren die echten Probleme der Gleichstellung von Frauen mit Männern. Und wenn wir dann zu einer gemeinsamen Forderung von Gender Mainstreaming in allen Lebensbereichen und Politikfeldern kommen, haben wir wenigstens etwas erreicht, das uns eint.

Herzlich,
Ihre Kristin Rose-Möhring


1 Focus vom 6.8. 2012 S. 34f.
2 Gesetzesbegründung zum Bundesgleichstellungsgesetz
3 http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderladen und
http://www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR3/frauenrechte/woher/frauenbewegung2.htm: „Zu den "Feministinnen der ersten Stunde" zählten viele Mütter. Sie gründeten "Kinderläden" zur Kinderbetreuung und setzten sich mit grundsätzlichen Erziehungsfragen auseinander: sie diskutierten geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen im Kindesalter repressionsfreie Erziehungsmethoden — die sogenannte "antiautoritäre Erziehung" war geboren. "Kinderläden" und freie Schulen entwickelten sich parallel zur Frauenbewegung und waren mit frauenpolitischen Diskussionen z.B. über die Rolle der Mutter verknüpft. An der Kinderfrage entzündeten sich später Diskussionen innerhalb der Frauenbewegung.“
4 Focus 33/2011

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1 Kommentar zu diesem Beitrag
kommentiert am 08.08.2017 um 22:42:
Danke Kristin!! Dieser Kommentar war überfällig! Ich unterschreibe ihn vom ersten bis zum letzten Satz!
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