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Nerven

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Ein Anforderungsprofil für Gleichstellungsbeauftragte gibt es nicht. Dass sie aber viele wichtige Kompetenzen, Fähigkeiten und Eigenschaften braucht, um ihren Arbeitsalltag bestehen zu können, wissen alle, die dieses Amt ausüben. Das sind z.B. innere Unabhängigkeit, Mut, Frustrationstoleranz, die Fähigkeit, unbequem zu sein, Zivilcourage und professionelle Distanz – mit all diesen „Kernkompetenzen“ haben wir uns hier schon beschäftigt1. Aber sie braucht noch mehr und vor allem eines: Nerven.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Nerven im doppelten Wortsinn – das ist wichtig. Eine Gleichstellungsbeauftragte muss nerven können, d.h. sie muss dran bleiben an den Problemen, immer wieder nachhaken, nicht aufgeben und ihr Gleichstellungsanliegen nicht aus den Augen verlieren.

Das Maß des gefühlten Nervens einer Gleichstellungsbeauftragten definiert die Entfernung der Dienststelle von echter Gleichstellung. Das ist der Wert x auf der nach oben offenen Amtsleiter-Skala. Der Seufzer eines Dienststellenleiters wie „Sie sind aber ganz schön anstrengend“ (siehe Blog „Wunschzettel ans Christkind – realitätsbesprenkelt!“ vom 16.12.2013) ist daher der Hinweis darauf, dass die Gleichstellungsbeauftragte auf dem richtigen Weg ist.

Als im Rahmen der Diskussion um den „Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag die Bundesfrauenministerin aufforderte, sie „soll nicht so weinerlich sein“ war die Empörung über diesen Machospruch groß. Viele eilten ihr zur Hilfe und der SPD-Vorsitzende sagte: „Das ist ihre Aufgabe, – in Anführungsstrichen – zu nerven, wenn die Dinge so im Argen liegen." Ja das muss sie – in der Tat. Aber sagt so etwas mal eine/r zu uns Gleichstellungsbeauftragten? Oh nein! Wir sind lästig und – nerven. Dass frau nur so ans Ziel kommt, wird gerne vergessen. In den Schoß gefallen ist Gleichstellungsbeauftragten bisher nur wenig. Da hilft nix: Sie muss nerven und: Sie braucht Nerven.

Ohne Nerven wie Drahtseile oder besser Schiffstaue kann sie ihren Job gleich an den Nagel hängen. Ob sie vertröstet, beschimpft, seidenweich umgarnt, lächerlich gemacht oder gar gemobbt wird, Fakt bleibt: die Verwirklichung der Gleichstellungsanliegen dauern, sie brauchen endlos Zeit.

  • Vor 150 Jahren, 1865, entstand mit dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein die erste Fraueninitiative in Deutschland,

  • vor gut 95 Jahren, 1919, bekamen die Frauen das Stimmrecht,

  • vor gut 65 Jahren, 1949, brachte Elisabeth Selbert nach langem Kampf den Gleichberechtigungsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes;

  • vor fast 30 Jahren,1986, kam die erste Richtlinie für die berufliche Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung,

  • 1994 folgten das Frauenfördergesetz (FFG) und die Ergänzung des Art. 3 Absatz 2 um den Zusatz „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ – auch das nur nach langem Kampf und durch eine parteiübergreifende Initiative engagierter Frauenpolitikerinnen,

  • Vor 14 Jahren, 2001, löste das Bundesgleichstellungsgesetz das FFG ab.

Und, und, und wo stehen wir heute? Vor einer Neufassung des Bundesgleichstellungsgesetzes (Artikel 2 des o.g. Gesetzentwurfs) und vielen Beteuerungen von Politiker/inne/n, dass nun – ENDLICH – alles besser wird2. Glauben können wir es angesichts dieses Entwurfes nicht und da bleibt nur der Seufzer: Die haben Nerven – im Zweifel unsere, auf denen alle seit Jahrhunderten herumtrampeln.

Also Frauen, Gleichstellungsbeauftragte wappnet euch, der Kampf ist noch nicht zu Ende. Was hat die UNO mal errechnet? Im Jahre 2490 ist es so weit: die Gleichstellung ist erreicht!3. Das hätten wir doch bitte gerne etwas früher – sonst kostet das Nerven alle zu viele Nerven!

In diesem Sinne mit genervten Grüßen

Kristin Rose-Möhring

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