Netzwerken – gestern und heute eine gute Idee!
Liebe Leserin, lieber Leser,
rechtzeitig zum Weltfrauentag 2015 ist in der Privatwirtschaft ein großer Schritt nach vorne geplant, denn für Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen soll künftig eine Geschlechterquote von 30 Prozent gelten.
Zeitgleich sollen über ein neugefasstes Bundesgleichstellungsgesetz neue Regelungen auch für den öffentlichen Dienst in Kraft treten. Diese sehen allerdings hochrangige Expert/inn/en und Gleichstellungsbeauftragte als einen beispiellosen Rückschritt1, wie die Anhörung von Sachverständigen in den Bundestagsausschüssen für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie Recht am 23. Februar 2015 zeigte2. Wie es nun weitergeht, bleibt abzuwarten.
Eins aber hat der Gesetzgebungsprozess einmal mehr gezeigt: Wann immer Frauen ihre Ziele verfolgen und um ihre Rechte kämpfen müssen - intensives Netzwerken war und ist unerlässlich. Im Alleingang sind Erfolge in der Regel nicht zu schaffen, Verschlechterungen nicht zu verhindern.
„Netzwerken! Beziehungen schaden nur der, die keine hat“ sagt entsprechend eine Netzwerk-Fachfrau und weiter „...heutzutage kann das Unterhalten von Beziehungen, das aktive Gestalten von Netzwerken durchaus als eine relevante persönliche Kompetenz begriffen werden“3. Doch ganz so neu scheint mir die Netzwerk-Idee nicht. Schon früher haben Frauen Beziehungen gepflegt, auch wenn sich das damals anders nannte.
Erste Netzwerkerinnen waren die sogenannten Salonièren, Frauen der Gesellschaft, die einen „Salon“ führten, d.h. ihre Privatwohnung für regelmäßige Treffen von Gleichinteressierten für Gespräche und Diskussionen über Musik, Literatur, Politik etc. öffneten. Der Begriff Salon setzte sich in diesem Sinne im 19. Jahrhundert durch und wurde definiert als ein „wesentlich von Frauen initiierter und gestalteter Raum einer vielseitigen Gesprächs- und Geselligkeitskultur auf der Schwelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit“4.
Eine Netzwerkerin des 18./19. Jahrhunderts, eine Salonière, die sich über ihr offenes Haus einen Platz in der Gesellschaft erobern und sichern konnte, war Rahel Levin. Weiblich, zunächst unverheiratet und Jüdin – das waren damals keine guten Voraussetzungen für eine Stellung mitten in der Gesellschaft, selbst wenn sie ihr wegen ihrer intellektuellen Fähigkeiten eigentlich zugestanden hätte.
Rahel Levin ist für mich als Gleichstellungsbeauftragte im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend besonders interessant, da sie im Laufe ihres Lebens ihre drei Salons in der direkten Nachbarschaft des Sitzes des Ministeriums in der Berliner Glinkastraße öffnete: Den ersten 1790 in der Jägerstrasse 54, den zweiten 1819 in der Französischen Straße 20 und den letzten 1827 in der Mauerstraße 36. Das Bundesfrauenministerium residiert also in einer stark frauen- und kulturgeprägten Nachbarschaft – noblesse oblige!
Dabei waren Rahel Levin geschliffene Konversation, geistreiche Gespräche und die hohe Kunst erlesener Briefwechsel mit den Geistesgrößen ihrer Zeit (6.000 ihrer Briefe sind noch erhalten) nicht in die Wiege gelegt. 1771 in eine wohlhabende Familie hineingeboren, wurde in ihrem jüdischen Elternhaus Jiddisch gesprochen und Rahel musste Hochdeutsch erst lernen.
Sie war hochintelligent und wissbegierig, durfte als Frau und Jüdin aber nicht studieren. Darunter litt sie ihr Leben lang und führte ihre vielen Krankheiten auf die so erlebte innere Zerrissenheit zurück. Sie galt als Meisterin der Konversation und wurde für ihr kluges Urteil hoch geschätzt; „Welche Tiefe von Genuß, und welche Tiefe von Belehrung aus Ihren Briefen mich anblickt […] Ihre Briefe sind gar nicht geschrieben: es sind lebendige Menschen“, schrieb ihr ein Verehrer.
In ihren Salons verkehrten viele große Persönlichkeiten der damaligen Zeit wie Jean Paul, Friedrich Schlegel, Heinrich Heine, Caroline und die Brüder von Humboldt, Bettine von Arnim, Brentano, Prinz Louis Ferdinand und dessen Geliebte Pauline Wiesel, die ihre beste Freundin wurde.
Im Alter von 44 Jahren konvertierte sie zum Christentum und heiratete den einige Jahre jüngeren Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense, der sie sehr unterstützte und ihre Arbeit als Schriftstellerin förderte. 1833 starb sie in ihrem Geburtsort Berlin – einigermaßen versöhnt mit ihrer jüdischen Herkunft, die sie nun „um keinen Preis möcht‘... missen“.
In der Erinnerung an die historischen Salons wünsche ich Ihnen einen debatten- und erkenntnisreichen Internationalen Frauentag. Diskussionen, sachliche Auseinandersetzung mit neuen Ideen und eigene Standpunkte - durchgesetzt auch gegen Widerstände - lohnen sich immer!
In diesem Sinne verbleibe ich mit ganz herzlichen Grüßen
Ihre Kristin Rose-Möhring
1 Mahnwache von Gleichstellungsbeauftragten gegen die Neufassung des Bundesgleichstellungsgesetzes am 19.2.2015 am Brandenburger Tor
2 http://www.bundestag.de/mediathek/?categorie=Ausschusssitzungen&action=search&mask=search&contentArea=common&instance=m187
3 Dr. Antje Goy, Impulsreferat auf der Bundeskonferenz der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in Potsdam am 27.1.2014, http://www.goyorga.de/veroeffentlichungen.html
4 Zum Weiterlesen: Ulrike Müller, Salonfrauen, München 2013
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