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Schwester von gestern (15): Lily Braun

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1916, vor 100 Jahren, starb Lily Braun, eine der wichtigsten Sozialdemokratinnen Deutschlands, die sich auch als Schriftstellerin, Journalistin, Frauenrechtlerin und Vorkämpferin für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen Namen gemacht hat.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Lily Braun kommt 1865 als Amalie von Kretschmann* zur Welt, ist in erster Ehe mit einem Adligen verheiratet und heißt Lily von Gizycki – ein ungewöhnlicher Start für eine Sozialdemokratin.

Von ihrem Vater wird sie soldatisch streng erzogen und alles scheint auf einen normalen Lebenslauf für eine Frau ihrer Zeit und ihrer Gesellschaftsschicht hinzudeuten: standesgemäße Hochzeit, Kinder und deren Erziehung, Führen eines vornehmen Haushalts – eine Zierde des Hauses, wie es damals hieß.
Nur ihre Großmutter Jenny von Gustedt drängt sie immer wieder, ihr Dasein nicht als Hausmütterchen zu fristen. Auch Lily Braun selbst stößt die Rolle der Frau in der Adelsgesellschaft sehr auf.

Durch die vielen Versetzungen ihres Vaters und die so notwendigen Umzügen lernt Lily früh andere Gesellschaftsschichten und vor allem soziale Ungerechtigkeit kennen. Dieser Eindruck verstärkt sich, als ihr Vater 1889 beim Kaiser in Ungnade fällt, seine Stellung verliert und die Familie verarmt. Sie muss sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und verfasst, da sie keine Ausbildung hat, literaturhistorische Arbeiten.

Sie heiratet den Philosophieprofessor Georg von Gizycki, der sie mit den Ideen der Sozialdemokratie und den Fragen der Frauenbewegung in Berührung bringt. Sie beginnt, für die Frauenzeitung „Frauenbewegung“ zu schreiben und wird Vorstandsmitglied in Minna Cauers Verein Frauenwohl.

Nach dem Tod ihres Mannes 1895 bekennt sie sich auf dem Londoner Frauenkongress offen zur Sozialdemokratie. Ihr Beitritt zur SPD bedeutet den endgültigen Bruch mit ihrer Familie und sie wird enterbt. 1896 heiratet sie den zweimal geschiedenen Politiker und Publizisten Heinrich Braun, was erheblich Staub aufwirbelt. Aber es ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe und gemeinsam geben sie die Wochenzeitung „Neue Gesellschaft“ heraus. Dieses Projekt scheitert rasch und Lily Braun muss mit Artikeln und Aufsätzen den Lebensunterhalt der Familie bestreiten.

Ihre Stellung in der Frauenbewegung bleibt umstritten: Als (ehemalige) Adlige wird sie von den Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung wie Clara Zetkin abgelehnt, die bürgerlichen Frauen finden ihre Ideen zu radikal wie z.B. die Verbindung von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit, das sie als Modell selbst lebt. Beiden Seiten fehlt bei Lily Braun der sogenannte „Stallgeruch“. Sie gilt zwar als mitreißende Rednerin, aber viele ihrer Ideen wie auch ihre Versuche, zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung zu vermitteln, scheitern.

Um die Doppel- und Dreifachbelastung berufstätiger Frauen zu reduzieren, fordert Lily Braun z.B. die Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit und propagiert neue Formen des Zusammenlebens. Sie entwirft in einem 1901 erschienenen Aufsatz das Modell des Einküchenhauses, bei dem eine zentral bewirtschaftete Großküche innerhalb eines Mehrparteienhauses die Küchen der einzelnen Wohnungen ersetzen sollte.

Auch kritisiert sie scharf die Wöchnerinnenversicherung, da diese nicht einmal die notwendigsten Bedürfnisse von Mutter und Kind abdeckt, und weist darauf hin, dass die Sozialversicherungen insofern unzulänglich bleiben, als ganze Bereiche, die als Frauenarbeit angesehen werden, ausgeschlossen sind wie der häusliche Dienst, die Heimarbeit und die Landarbeit.

Als Schriftstellerin macht Lily Braun sich ab 1901 einen Namen, als sie ihr bekannteste Werk „Die Frauenfrage“ herausbringt, das von Clara Zetkin in ihrer Zeitung „Die Gleichheit“ verrissen wird. Enttäuscht wendet sie sich immer mehr von den Sozialdemokrat/inn/en ab.
Lily Braun ist wohl die erste, die sich bemüht, ihre Thesen und Annahmen mit Zahlen zu untermauern, und auch eine der ersten überhaupt, die das Geschlechterverhältnis in Prozentzahlen ausdrückt.
Von 1909 bis 1911 schreibt sie in Romanform ihre zweibändige Autobiographie „Memoiren einer Sozialistin“: „Lehrjahre“ und „Kampfjahre“.

Im ersten Weltkrieg unterstützt sie die Kriegspolitik des Kaiserreichs vorbehaltlos und mit zum Teil merkwürdigen Thesen und Forderungen. Sie muss nicht mehr erleben, dass ihr einziger Sohn im Krieg fällt, denn sie stirbt – ausgebrannt von leidenschaftlichen Kämpfen – mit 51 Jahren an einem Schlaganfall.

Im Netz bezeichnen zwei Autorinnen sie als „kämpferische und bekämpfte Sozialistin“, aber ihr Erbe bleibt und Schulen und Straßen tragen heute ihren Namen.

Mit herzlichen Grüßen

Ihre Kristin Rose-Möhrung


* Wikipedia kann sogar eine Verbindung zu besten deutschen (konservativen) Gesellschaftskreisen herstellen: „Lily Braun kam als Tochter des preußischen Generals Hans von Kretschmann und seiner Frau Jenny, geborene von Gustedt, zur Welt. Ihre Großmutter mütterlicherseits, Jenny von Gustedt, geborene Rabe von Pappenheim, ist die uneheliche Tochter von Jérôme Bonaparte aus dessen Liebschaft mit Diana Rabe von Pappenheim. Ihre Großnichte Marianne von Weizsäcker, geborene von Kretschmann, war die Ehefrau von Richard von Weizsäcker.“

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